„Religionsunterricht braucht ein pluralistisches Selbstverständnis“
Buchvorstellung und Diskussion mit islamischem Theologen Mouhanad Khorchide und Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel am 27. Oktober – Jüdische, christliche und islamische Theologen und Religionspädagogen für neue Denkrichtung im Religionsunterricht – Religionsvielfalt an Schulen theologisch einbeziehen – „Keine exklusivistischen Haltungen“
Pressemitteilung vom 20. Oktober 2022
Zu einer Buchvorstellung und Diskussion über pluralistische Religionspädagogik am 27. Oktober laden der Religionswissenschaftler und evangelische Theologe Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel und der islamische Religionspädagoge Prof. Dr. Mouhanad Khorchide vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster ein. „Die pluralistische Religionspädagogik bedeutet eine erhebliche Umstellung im Selbstverständnis des Religionsunterrichts“, betonen die beiden Wissenschaftler. Angesichts der religiösen Vielfalt an Schulen sei dies nach jüdischen, christlichen und islamischen Theologen und Religionspädagogen unerlässlich. „Heute kann und darf bei der Vermittlung des Glaubens an die nächste Generation nicht mehr die Auffassung vermittelt werden, nur die eigene Religion besitze die Wahrheit und sei allen anderen überlegen.“ Es gehöre zum Bildungsauftrag von Schulen, junge Menschen zu einem respektvollen und konstruktiven Umgang mit weltanschaulicher Pluralität zu befähigen. „Die Praxis zeigt, wie Religionen gerade aus exklusivistischer Haltung zu Machtinstrumenten gemacht werden und Gesellschaften spalten.“
Ein solches neues Verständnis von Religionsunterricht ist von hoher gesellschaftspolitischer Relevanz und Aktualität. Das Buch „Dialog und Transformation. Pluralistische Religionspädagogik im Diskurs“ präsentiert die umfangreiche Diskussion, die sich hierzu entwickelt. Der Religionspädagoge Prof. Dr. Clauß Peter Sajak von der Uni Münster stellt das Buch zunächst mit einer kritischen Würdigung vor. Die anschließenden Statements von Prof. Dr. Ephraim Meir, jüdischer Philosoph der Bar-Ilan-Universität Israel, und Mouhanad Khorchide leiten zur offenen Diskussion im Plenum über, die von Prof. Dr. Andreas Obermann vom „Bonner evangelischen Institut für berufsorientierte Religionspädagogik“ (bibor), Mitausrichter der Veranstaltung, moderiert wird. Die soeben im Waxmann Verlag erschienene Publikation geht auf ein gleichnamiges Diskussionspapier zurück, das Schmidt-Leukel und Khorchide mit insgesamt 14 jüdischen, christlichen und muslimischen Theologinnen und Theologen, überwiegend aus dem Fach Religionspädagogik, erarbeitet haben. Rund 30 Fachkolleginnen und -kollegen nehmen in dem Buch Stellung dazu.
Ein Religionsunterricht, der der gewachsenen Religionsvielfalt Rechnung trage, müsse zum interreligiösen Lernen und zum Dialog zwischen den Religionsgemeinschaften beitragen, heißt es in dem Diskussionspapier. Sinnvoll könne eine Religionsgemeinschaft diese Bildungsverantwortung „nur gemeinsam mit anderen Religionsgemeinschaften im System Schule wahrnehmen“. Den Autorinnen und Autoren geht es um den theologisch-pädagogischen Hintergrund von Religionsunterricht. In Judentum, Christentum und Islam seien die theologischen Grundlagen dafür gegeben. Sie könnten die Verabsolutierung der eigenen Sichtweisen vermeiden und sich als Teil „einer interreligiösen Lerngemeinschaft“ begreifen. Das Dokument leitet daraus nicht die Festlegung auf ein spezifisches Modell zur Organisation des Religionsunterrichts ab. Man wolle aber, so Schmidt-Leukel und Khorchide, „Diskussionen über schulische Möglichkeiten und Organisationsformen einer dialogorientierten interreligiösen Bildung anregen“.
Verschiedene Organisationsmodelle
Religionsunterricht an öffentlichen Schulen in Deutschland ist entsprechend dem Grundgesetz als Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften geregelt: Der Staat ist Veranstalter der Schule, die Unterrichtsinhalte werden von den Religionsgemeinschaften verantwortet, er wird somit als konfessioneller Unterricht durchgeführt. In mehreren Bundesländern werden inzwischen konfessionell-kooperative Modelle durchgeführt, in denen die beiden christlichen Großkirchen den Unterricht gemeinsam ausrichten; ferner existiert in Hamburg das Modell eines „Religionsunterrichts für alle“.
„Daneben lassen sich“, so Schmidt-Leukel, „auch religions-kooperative Modelle diskutieren, bis hin zu einem von unterschiedlichen Religionsgemeinschaften gemeinsam verantworteten Religionsunterricht wie in Hamburg.“ In jedem Fall sei es höchste Zeit zu diskutieren, „wie wir mit den Wahrheitsansprüchen verschiedener Religionen im Klassenraum umgehen, mit welcher Haltung wir wachsender Vielfalt begegnen“. Schülerinnen und Schüler sollten den Reichtum an Einsichten in das Leben aus verschiedenen Religionen im Religionsunterricht erleben können.
Das der Publikation zugrundeliegende Diskussionspapier ging aus einer Arbeitsgruppe auf Initiative des „Bonner evangelischen Instituts für berufsorientierte Religionspädagogik“ (bibor) der Universität Bonn und des „Pädagogisch Theologischen Instituts der Evangelischen Kirche im Rheinland“ (PTI) hervor und wurde im Jahr 2020 auf einem Studientag präsentiert. (apo/vvm)