Malträtierte Kaiserleichname und digitale Friedhofsevents
Internationale Tagung am Exzellenzcluster über Praktiken der Totenfürsorge von der Antike bis heute – Byzantinist Michael Grünbart: Früherer Umgang mit Toten weckt heute Befremden, ist aber Ausdruck damaliger Fürsorge und Pietät – Berühmtes Beispiel: der zerteilte Leichnam von Kaiser Barbarossa – Begräbnisfürsorge begann oft bereits zu Lebzeiten
Pressemitteilung vom 22. Oktober 2021
Leichenzerteilungen, Einkochen sterblicher Überreste oder politisch kritische Inschriften auf Grabsteinen: Historische Praktiken der Totenfürsorge wirken heute oft befremdlich, lassen sich Historikern zufolge aber aus ihrer Zeit heraus verstehen. „Die Totenfürsorge früherer Epochen war nicht pietätlos, sondern im damaligen Verständnis Ausdruck der Fürsorge und der Wertschätzung des Verstorbenen“, erläutert der Byzantinist Prof. Dr. Michael Grünbart vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster im Vorfeld einer internationalen Tagung zur Totenfürsorge in den Epochen der Vormoderne. „Ein prominentes Beispiel ist der malträtierte Leichnam des mittelalterlichen Stauferkaisers Barbarossa, dessen sterbliche Überreste zum Zwecke der Einbalsamierung und Teilbestattung zerteilt wurden. Dies wirkte dem Verfall entgegen und diente der Ehrung des Verstorbenen an mehreren Orten“, so Prof. Grünbart.
Die internationale Tagung, die kommenden Mittwoch bis Freitag in Münster und online läuft, untersucht viele Fallbeispiele: etwa die oströmischen antiken Totenstädte in Assos und Boğazköy in der heutigen Türkei, die Furcht vor Untoten und Vampiren vom Frühmittelalter bis zur Neuzeit, jüdisches Totengedenken zwischen Synagoge und Friedhof im Hochmittelalter und das byzantinische Totenmahl in Kontinuität von heidnischer zu christlicher Gedenkpraxis. Auf dem Programm steht auch Totenfürsorge heute zwischen „Entsorgung, Event und digitalem Friedhof“.
Maßgeblich sei stets das Bedürfnis nach Absicherung des Totengedenkens und, für Christen, der Vorbereitung auf das Jüngste Gericht, so Byzantinist Michael Grünbart. „Dies zieht sich wie ein roter Faden etwa durch den mittelalterlichen Alltag.“ Dabei fand Totenfürsorge durchaus bereits zu Lebzeiten statt: „Herrscherfamilien ließen schon im Voraus Ruhestätten nach eigenen Wünschen anlegen, die gegebenenfalls noch viele Jahre leer standen. Die Sorge für Verstorbene war selbstverständlicher Teil des Lebens. Das eigene Ableben wurde früh bedacht.“
Zerteilung des Leichnams von Kaiser Barbarossa
Das Totengedenken hatte oft auch politische Dimensionen: So ranken sich um die Bestattung von Kaiser Barbarossa (um 1122 – 1190) unterschiedliche Berichte. Einige Quellen erzählen von der feierlichen Beisetzung der Gebeine in der Kathedrale von Antiochia in der heutigen Türkei, andere von der Zerteilung des Leichnams und getrennter Bestattung von Eingeweiden, Fleisch und Knochen. „Die abweichenden Beschreibungen in westlichen und arabischen Quellen könnten eine Art Angriff auf die Bestattungskultur der jeweils anderen Seite darstellen“, führt der Wissenschaftler aus.
Barbarossas Vorgänger, den römisch-deutschen Stauferkönig Konrad III. (1093/94 – 1152), treibt eine lange und schließlich tödliche Erkrankung, die er ungewöhnlich offen thematisiert, zu aktiven Vorsorgemaßnahmen: „Konrad setzt sich für seinen Sohn Friedrich von Rothenburg als Nachfolger ein. Die Quellen zum Tod Konrads richten den Blickwinkel nicht auf die Todesursache, sondern auf den tatsächlichen Nachfolger, seinen Neffen Friedrich.“
Kritische Grabinschriften und verwahrloste Friedhöfe in Konfliktregionen
Politische Implikationen des Totengedenkens prägen das Bild von den Bestatteten bis heute. In jüngerer Vergangenheit wurden tausende Grabinschriften aus dem spätmittelalterlichen China entdeckt, die nicht nur Leben, Tod und Beerdigung der Bestatteten festhalten, sondern oft auch Kritik am königlichen Hof oder gar am Herrscher persönlich. „Die Inschriften erlauben damit eine klare politische Einordnung des Bestatteten – sowohl für die Zeitgenossen als auch bei der späteren historischen Rekonstruktion“, sagt Grünbart.
Ein jüngeres Beispiel für Politisierungen im Umgang mit Gedenkstätten: Nach der Teilung und ethnischen Säuberung der Insel Zypern im Jahr 1974 musste die jeweils angestammte Bevölkerung hunderte Kirchen, Moscheen und Friedhöfe zurücklassen. Der Umgang der je verbliebenen Bevölkerungsgruppe damit war größtenteils von Verachtung, Respektlosigkeit oder Ignoranz geprägt“, führt der Forscher aus. Die christliche und muslimische Gesellschaft habe jeweils andere Auffassungen von der Bedeutung des Erhalts und dem Umgang mit diesen religiösen Stätten.
Die Tagung vom 27. bis 29. Oktober trägt den Titel „Vormoderne Totenfürsorge. Perspektiven einer lebendigen Praxis“. Historikerinnen und Historiker mit unterschiedlichen disziplinären Ansätzen beleuchten archäologische, kultur- und mentalitätsgeschichtliche Aspekte. Die Menge an historischen Quellen zur Totenfürsorge sei oft gering, so Grünbart, biete aber trotzdem Anhaltspunkte zur Rekonstruktion und Analyse des Umgangs mit Toten. Die Tagung geht aus dem Forschungsprojekt A3-1 „Deathscapes im östlichen mediterranen Raum: Memorialorte und ihre politische Instrumentalisierung im Mittelalter“ am Exzellenzcluster hervor, in dem Michael Grünbart und die Byzantinistin Hildegard Poeschel die Inszenierung von Macht an Erinnerungsorten sowie die Beschädigung oder gar Auslöschung ihrer Autorität durch Zerstörungen untersuchen. (apo/vvm)