Mimik entscheidend bei Ersteindrücken Deutscher von Geflüchteten
Flüchtlingsstatus hat neuen Forschungen zufolge weniger Einfluss auf Ersturteil als Attraktivität und Mimik – Abwertung gläubiger Muslime vor allem durch Deutsche mit rechtspolitischer Haltung – Psychologen betonen hohe gesellschaftliche Bedeutung direkter Kontakte – „Alltagsdiskriminierungen Geflüchteter nicht relativieren“
Pressemitteilung vom 24. September 2021
Lächeln gewinnt: Bei ersten Eindrücken von Geflüchteten beeinflussen Gesichtsausdruck und Attraktivität nach neuen Forschungen die Beurteilung der Zugewanderten stärker als ihr Flüchtlingsstatus. Spontane Abwertungen von Geflüchteten finden sich vor allem für Deutsche aus dem politisch rechten Spektrum. Zu diesen Ergebnissen kommen Studien des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Universität Münster. „Forschungen zu Vorurteilen gegenüber abstrakt beschriebenen Personengruppen bringen meist klare negative Stereotype zutage. Unsere Studien zur Wahrnehmung Einzelner im Erstkontakt bestätigen das nicht“, erläutert der Psychologe Prof. Dr. Mitja Back vom Exzellenzcluster. „Ein solcher Ersteindruck kann etwa bei Auswahlgesprächen, sei es für Job oder Wohnung, entscheidend sein“, so Mitja Back zur First-Sight-Forschung. „Der positive Effekt des freundlichen Gesichtsausdrucks, den unsere Studien für den Ersteindruck aufweisen, unterstreicht die gesellschaftliche Relevanz direkter Begegnungen zwischen Einheimischen und Geflüchteten. Persönliche Kontakte ermöglichen das individuelle Kennenlernen und differenzierte Einschätzungen. Der Befund relativiert freilich nicht alltägliche Diskriminierungserfahrungen.“
In den Untersuchungen von Mitja Back gemeinsam mit Fachkollegen der Universitäten Münster und Stuttgart wurden 900 Probanden deutscher Staatsangehörigkeit gut hundert standardisierte Personenfotos von Männern aus dem Mittleren Osten mit ihren natürlichen Gesichtsausdrücken vorgelegt, deren Sympathie sie bewerten sollten. Dabei reagierten alle Teilnehmenden positiv auf freundliche Mimik und Attraktivität – unabhängig vom Grad einer politisch rechten Haltung. „Die Annahme, dass etwa das Lächeln einer Zielperson keinen Einfluss hat, sobald sie als Geflüchteter identifiziert wurde, hat sich nicht bestätigt“, so Back. Wie die Studien weiter ergaben, beeinflusst die politische Orientierung der Probanden die Beurteilung der abgebildeten Menschen stärker als der Flüchtlingsstatus oder die Religion der zu bewertenden Personen. Probanden mit einer rechtsgerichteten Einstellung bewerten Geflüchtete und Muslime insgesamt negativer.
„Fromme Muslime werden besonders abgewertet“
„Unsere Ergebnisse zeigen keine pauschalen Abwertungen von Geflüchteten aus dem Nahen Osten oder von Muslimen“, so der Forscher. „Wir konnten aber eine Abwertung feststellen, wenn die Menschen auf den Fotos zuvor als religiös ausgewiesen wurden – insbesondere als fromme Muslime. Doch selbst hier haben Lächeln und Attraktivität einen größeren Effekt als die reine Gruppenzugehörigkeit.“
Im ersten Teil der Befragung erhielten die Probanden die Information, bei den abgebildeten Personen handle es sich entweder um Geflüchtete aus dem Mittleren Osten oder um Deutsche ohne Migrationsgeschichte, ohne dies den Personen eindeutig zuzuordnen. In der zweiten Befragung gab es zusätzlich Angaben zu Religionszugehörigkeit und Grad der Religiosität der abgebildeten Männer. Die politische Einstellung der deutschen Probanden erfassten die Forscher hinsichtlich ihrer rechtsautoritären Neigung, rechten politischen Ideologie und sozialen Dominanzorientierung. Letztere beschreibt das Ausmaß, in dem eine Person hierarchische Beziehungen zwischen Gruppen bevorzugt.
Die Forscher zielen mit ihren Studien auf ein besseres Verständnis von Ersteindrücken ab, weil diese gerade für Angehörige umstrittener Minderheiten wie Geflüchteten und Muslimen oft folgenreich seien: „In Auswahlgesprächen etwa in Firmen kann der erste Eindruck des Personalverantwortlichen ein wichtiger Faktor für die Entscheidung sein“, sagt Mitja Back. „Wenn ein geflüchteter Mensch im Erstkontakt positiv wahrgenommen wird, verbessert dies auch seine sozialen und beruflichen Chancen. Die persönliche Begegnung ermöglicht das Kennenlernen und in der Folge differenziertere Urteile über andere Menschen, die sich nicht allein auf deren Gruppenzugehörigkeit beziehen.“ Zudem könne der Austausch für Unterschiede zwischen Angehörigen sowohl einer Minderheiten- als auch der Mehrheitsgruppe sensibilisieren und Alltagsdiskriminierungen entgegenwirken.
Die Studien entstanden im Rahmen des Projekts C2-27 „Integration at first sight: Die Bedeutung des Religiösen für erste gegenseitige Eindrücke von Geflüchteten und Deutschen“ am Exzellenzcluster „Religion und Politik“. Weitere Autoren sind die Psychologen Prof. Dr. Steffen Nestler, Joscha Stecker und Dr. Jens H. Hellmann von der Universität Münster sowie Dr. Paul C. Bürkner vom Exzellenzcluster SimTech der Universität Stuttgart. (apo/vvm)