„Religionen können Motor für Veränderung sein“
Weltreligionen geben sich häufig unveränderlich, zeigen Forschungen zufolge jedoch eine starke Dynamik von Wandel und Veränderung – Tagung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Uni Münster fragt danach, wie Judentum, Christentum und Islam Wandel verstehen und mitgestalten – „Religionen haben keinen stabilen Kern“
Pressemitteilung des Exzellenzclusters vom 25. Februar 2019
Judentum, Christentum und Islam geben sich häufig unveränderlich, hinter dieser „Fassade der Kontinuität“ steht aber aktuellen Forschungen zufolge eine starke Veränderungsdynamik. „Religionen tendieren dazu, den eigenen Wandel zugleich zu rechtfertigen und zu kaschieren“, so der katholische Theologe Prof. Dr. Michael Seewald vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der WWU. „Im Christentum spiegelt sich dies sogar im Gottesbild: Der Heilige Geist wird als Kraft gesehen, die das Werk Jesu über seine Lebenszeit hinaus weiterführt und somit trotz aller Veränderung die Kontinuität zum Ursprung garantieren soll.“ Mit dem Thema „Wandel als Thema religiöser Selbstdeutung“ in Judentum, Christentum und Islam befasst sich am Mittwoch und Donnerstag eine Tagung des Exzellenzclusters und des Centrums für Religion und Moderne der WWU, zu der die Praktische Theologin Prof. Dr. Judith Könemann und der Dogmatik-Professor Michael Seewald einladen. Erwartet werden renommierte Forscherinnen und Forscher aus der Judaistik, Islamwissenschaft, Soziologie und den Theologien, darunter der Soziologe Prof. Dr. Hans Joas, Ernst-Troeltsch-Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin, und Prof. Dr. Alfred Bodenheimer, Professor für Religionsgeschichte und Literatur des Judentums an der Universität Basel.
Den Anstoß zum religiösen Wandel gaben historisch sowohl Religionsführer „von oben“ als auch Gläubige „von unten“, wie Judith Könemann ausführt. Das verlief nicht ohne Konflikte. Michael Seewald: „Veränderungen gehen mit Auseinandersetzungen darüber einher, wie man sie gestalten sollte. Diese Konfliktgeschichte des Wandels ist Teil der Religionsgeschichte.“ Religiöse Institutionen seien zwar nicht veränderungsresistent, fügt Könemann an, aber auch nicht besonders veränderungsaffin. „Veränderungen erfolgen oft nur durch äußeren oder inneren Druck.“ Amtsträger oder Geistliche seien aber, so Seewald, „nicht von Natur aus konservativ, sondern durchaus anpassungsfähig, wenn es ihren Überzeugungen oder Interessen dient.“ Jeder Aspekt einer Religion könne prinzipiell einem Wandel unterzogen werden: „Religionen haben keinen stabilen Kern, um den eine zeitbedingte, austauschbare Schale gelegt wird. Wo die Schale aufhört und wo der Kern beginnt, ist selbst strittig.“
Wandel „von unten“ und „von oben“
Wenn Religionen sich verändern, hat dies den Forschern zufolge auch viel mit ihrer gesellschaftlichen Umgebung zu tun. Das zeige sich schon an der je unterschiedlichen Ausprägung einer Weltreligion auf verschiedenen Kontinenten. „Religionen verhalten sich nicht passiv zu gesellschaftlichen Veränderungen, sondern prägen sie im Kontext ihrer eigenen theologischen Traditionen aktiv mit“, so Prof. Könemann. Wenn sich die soziale Gestalt einer Religion durch gesellschaftlichen Wandel verändere, gehe das immer mit theologischen Deutungen einher, die dem Wandel manchmal vorauslaufen, manchmal nachgeordnet sind. „In manchen Strömungen der islamischen Theologie wird eine feministische Koranauslegung dazu verwendet, der Forderung nach einer Gleichberechtigung der Geschlechter religiöse Autorität zu geben. In anderen Strömungen wird genau diese Gleichberechtigung, ebenfalls mit religiöser Autorität, verneint.“ Auch im Judentum hätten sich die theologischen Vorstellungen von Gemeinschaft genauso wie von Geschlechterunterschieden verändert. Judith Könemann: „Im Christentum haben sich unter dem Dach der Vergemeinschaftungsform ‚Pfarrei‘ erhebliche Wandlungsprozesse ereignet. Aktuell werden in den Diözesen mit der Einrichtung ‚pastoraler Räume‘ Restrukturierungsprozesse vollzogen, die großes Konfliktpotential in sich bergen. Dabei handelt es sich um einen Veränderungsprozess ‚von oben‘, in dem die Bischöfe den Wandel vorantreiben. Das Beharrungsvermögen liegt hier vielfach aufseiten der Gläubigen.“