„Gab es das Mittelalter im Islam?“
Podium über Epochengrenzen in globalgeschichtlicher Perspektive mit Arabist Thomas Bauer
Unter dem Titel „Gab es das Mittelalter im Islam?“ diskutiert der Arabist Prof. Dr. Thomas Bauer mit Forschern aus Geschichte, Philosophie und Religionswissenschaft Thesen seiner Publikation „Warum es kein islamisches Mittelalter gab“. Die Podiumsdiskussion am 25. April 2019 befasst sich mit Nutzen und Nachteil von Epochengrenzen in globalgeschichtlicher Perspektive. Veranstalter sind der Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der WWU und das Institut für Arabistik und Islamwissenschaft. Die Einführung übernimmt Althistoriker Dr. Matthias Haake vom Seminar für Alte Geschichte, der die Veranstaltung initiiert hat.
Es diskutieren: Althistoriker Prof. Dr. Ralf Behrwald von der Universität Bayreuth, die Mittelalter-Historiker Prof. Dr. Wolfram Drews vom Exzellenzcluster und Prof. Dr. Bernhard Jussen von der Universität Frankfurt, Prof. Dr. Kianoosh Rezania, der an Universität Bochum Westasiatische Religionsgeschichte lehrt, und Prof. Dr. Andreas Speer, der an der Universität Köln Mittelalterliche Philosophie unterrichtet. Die Moderation übernimmt Viola van Melis, Leiterin der Wissenschaftskommunikation des Exzellenzclusters.
„Im Mittelalter steckengeblieben, Reformation und Aufklärung verpasst“
In seinem Buch hinterfragt der Islamwissenschaftler Thomas Bauer historische Epochengrenzen und verbreitete Klischees über die islamische Geschichte. „Der Islam ist im Mittelalter steckengeblieben, hat Renaissance, Reformation und Aufklärung verpasst, so lautet die gängige Diagnose. Was aber, wenn es gar kein islamisches Mittelalter gab?“, so der Forscher. Er zeigt an Beispielen, wie in der islamischen Welt bis zum 11. Jahrhundert die Antike weiterlebte, und will damit eingespielte Epochengrenzen und das Bild von einem reformbedürftigen „mittelalterlichen“ Islam widerlegen.
„Jahrhundertelang waren im Orient die antiken Städte lebendig, mit Bädern, Moscheen und anderen steinernen Großbauten, während sie in Europa zu Ruinen verfielen“, so Thomas Bauer. Ärzte hätten die Medizin des römischen Arztes Galen (130–210 n. Chr.) fortgeführt und die Naturwissenschaften und Liebesdichtung seien aufgeblüht. „Kupfermünzen, Glas, Dachziegel, Papier: Im Alltag des Orients gab es lauter antike Errungenschaften, die Mitteleuropäer erst zu Beginn der Neuzeit (wieder) neu entdeckten.“ Der Leibniz- und Tractatus-Preisträger Thomas Bauer beschreibt in seiner Studie, wie die antike Kultur von al-Andalus in Spanien über Nordafrika und Syrien bis Persien fortlebte und warum das 11. Jahrhundert in ganz Eurasien, vom Hindukusch bis Westeuropa, eine Zäsur bildet, auf die in der islamischen Welt bald die Neuzeit folgte. (sca/vvm)