Grundlagenwerk „Religion in der Moderne“ ausgezeichnet
Übersetzungspreis „Geisteswissenschaften international“ für den Religionssoziologen Detlef Pollack – Bundeszentrale veröffentlicht Sonderausgabe des Buches
Das Grundlagenwerk „Religion in der Moderne“ der Religionssoziologen Prof. Dr. Detlef Pollack und Dr. Gergely Rosta vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ ist als kostengünstige Sonderausgabe in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) erschienen. Außerdem erhalten die Forscher den Übersetzungspreis „Geisteswissenschaften international“, damit das Werk in englischer Sprache einer weltweiten Leserschaft zugänglich gemacht werden kann. „Diese Resonanz freut uns sehr“, sagen die Wissenschaftler. Bei der Studie handelt es sich um eine der bislang umfassendsten empirischen Untersuchungen internationaler religiöser Entwicklungstrends von 1945 bis heute.
Die Wissenschaftler werten in dem Buch ein so reichhaltiges Datenmaterial für mehrere Kontinente aus wie kaum eine andere Religionsstudie zuvor und filtern Einflussfaktoren auf Religion heraus. „Glaube und Spiritualität sind nicht nur Ergebnis individueller Vorlieben und Abneigungen oder privater Erfahrungen, sondern hängen auch von sozialen Bedingungen ab“, erläutert Prof. Pollack. „Länderübergreifend stellen wir Muster des religiösen Wandels sowie kausale Mechanismen fest, die religiöse Auf- und Abschwünge beeinflussen. So lässt sich zwischen Religion und Moderne ein Spannungsverhältnis nachweisen, das zu einer Abschwächung der sozialen Bedeutung von Religion führt, auch wenn es Gegenbewegungen gibt.“
Mit dem Programm „Geisteswissenschaften international“ fördern die Fritz Thyssen Stiftung, die Verwertungsgesellschaft Wort, der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und das Auswärtige Amt gemeinsam die Übersetzung geistes- und sozialwissenschaftlicher Werke, um Forschungsergebnisse aus Deutschland, die Verlage vorschlagen, weltweit zu verbreiten. Die Schriftenreihe der Bundeszentrale richtet sich mit ihren Themen aus Zeitgeschichte, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Umwelt, Bildung und Kultur an Akteure der politischen Bildung sowie an Interessierte aus Wissenschaft, Studium und Schule. Ziel sind die Wissensvermittlung, die Befähigung zur Beteiligung an gesellschaftlichen und politischen Prozessen und die Begleitung aktueller gesellschaftlicher Diskurse.
Die Studie erschien erstmals 2015 im Campus Verlag als erster Band der Schriftenreihe „Religion und Moderne“ des Centrums für Religion und Moderne (CRM) der Universität Münster. In der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung ist auch die Studie „Der verlorene Himmel“ aus dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“ von Zeithistoriker Prof. Dr. Thomas Großbölting, die erste historische Gesamtschau über „Glaube in Deutschland seit 1945“, als Sonderausgabe erschienen.
Zentrale Ergebnisse des Grundlagenwerkes
Das Buch „Religion in der Moderne. Ein internationaler Vergleich“ zeichnet detailreich ein lebendiges Panorama des religiösen Wandels in verschiedenen Gesellschaften. Aktuelle Analysen werden durch historische Perspektiven ergänzt. Die Forscher nehmen Fallstudien für Italien, die Niederlande, Deutschland, Polen, Russland, die USA, Südkorea und Brasilien vor und ziehen aus dem Vergleich zwischen Ost- und Westeuropa, den USA, asiatischen und südamerikanischen Ländern verallgemeinerbare Schlussfolgerungen. Sie beziehen eine Vielzahl an repräsentativen Datensätzen aus verschiedenen Zeiträumen ein. Zentrale Ergebnisse des Grundlagenwerkes über Mechanismen des religiösen Wandels finden sich hier.
Zu den Faktoren, die die Vitalität von Religionen negativ beeinflussen, gehören dem Grundlagenwerk zufolge ein hohes Wohlstandsniveau in einer Gesellschaft, ein hoher Grad an Individualisierung, ein breites Freizeit- und Unterhaltungsangebot sowie ein hohes Maß an kultureller und weltanschaulicher Vielfalt einer Gesellschaft. Positiv wirkt sich dagegen aus, wenn das religiöse Leben in Gemeinschaften eingebettet ist oder wenn sich religiöse Identitäten mit politischen, nationalen oder wirtschaftlichen Interessen verbinden. „Zugleich liegt hier ein Konfliktpotential, besonders, wenn kleine, aggressive Religionsgruppen beteiligt sind, die dieses Konfliktpotential für sich ausnutzen und auf Kosten von Mehrheiten Attraktivitätsgewinne erzielen können“, sagt Prof. Pollack. Die Abnahme des kirchlichen Bestandes in Westeuropa vollziehe sich „lautlos, nicht eruptiv und erweckt den Eindruck eines alternativlos voranschreitenden Prozesses“. Zuwächse einer alternativen außerkirchlichen Religiosität, etwa esoterisch-spirituelle Glaubensformen, blieben demgegenüber vergleichsweise schwach.
Fundamentalistische Bewegungen
„Die Gegenwart erlebt eine explosionsartige Vervielfältigung des religiösen Feldes“, erläutert der Soziologe. „Fundamentalistische Bewegungen ergreifen hochgebildete Jugendliche, Christen wenden sich millionenfach von ihrer Kirche ab, esoterische Weltbilder stoßen in Medizin und Wissenschaft zunehmend auf Resonanz. Durch den Aufweis von Mustern und Faktoren des Wandels lässt sich das unübersichtlich gewordene religiöse Feld ordnen.“ Methodisch streben die Soziologen keine Universaltheorie wie die Säkularisierungsthese an, sondern bieten Theorie-Bausteine, die in der Forschung auf verschiedene Weise kombiniert werden können.
Die Bundeszentrale für politische Bildung hat seit 1952 die Aufgabe, in der Bevölkerung das Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern sowie demokratisches Bewusstsein und politischen Mitarbeit zu stärken. Mit Veranstaltungen, Büchern, Zeitschriften, audiovisuellen und Online-Angeboten vermittelt sie Wissen über historische und aktuelle Zusammenhänge in Politik, Kultur und Wirtschaft. Gemeinsam mit Landeszentralen, Bildungseinrichtungen und -trägern arbeitet die bpb unabhängig und überparteilich für politische Bildung und Kultur. (vvm/ill)