Christlicher Kommentar eines zentralen buddhistischen Textes
Opus Magnum-Förderung der VW-Stiftung für Religionswissenschaftler Schmidt-Leukel
Zum Abfassen des weltweit ersten christlichen Kommentars des einflussreichen buddhistischen Textes „Bodhicaryāvatāra“ erhält der Religionswissenschaftler und Theologe Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ die Opus Magnum-Förderung der Volkswagenstiftung. Der weit verbreitete Text des buddhistischen Lehrers „Śāntideva“ entstand im Indien des 7. oder 8. Jahrhunderts und behandelt das „Bodhisattva-Ideal“, das heißt, die ethischen, spirituellen und philosophischen Grundlagen des Weges zur Erlangung der Buddhaschaft. „Der Text ist bereits Gegenstand vieler buddhistischer Kommentare und zeitgenössischer Diskussionen, aber noch nie aus christlicher Perspektive theologisch kommentiert worden.“
Die Kommentierung wurde als Teil des Forschungsprojektes C2-16 „Interreligiöse Theologie“ von Perry Schmidt-Leukel am Exzellenzcluster begonnen. Die auf 18 Monate angelegte Opus Magnum-Förderung der Stiftung ermöglicht ihm durch Finanzierung einer Lehrvertretung, das interreligiöse Vorhaben fertig zu stellen. 2015 hielt er als erster Deutscher seit 25 Jahren die renommierten Gifford-Lectures in Schottland. Er stellte darin Interreligiöse Theologie als Theologie der Zukunft vor und präsentierte erstmals seine fraktale Interpretation der Religionsvielfalt.
Wichtiges Instrument des interreligiösen Dialogs
„Das Erarbeiten von transreligiösen Schriftkommentaren gehört zu den spannenden neuen Entwicklungen im interreligiösen Dialog“, erläutert der Religionswissenschaftler und Vertreter der interreligiösen Theologie. „Interreligiöse Kommentare verleihen dem Dialog jene Präzision und methodische Struktur, die diesem ansonsten häufig fehlt.“ Zugleich würden aber auch gewichtige hermeneutische Fragen aufgeworfen: „Ist es überhaupt möglich, den heiligen Text einer anderen religiösen Tradition in einer Weise zu interpretieren, die für die Religion des Kommentators Sinn eröffnet, ohne dem originalen Kontext des Textes Gewalt anzutun?“
Zugleich zeigt sich der Forscher überzeugt: „In dem Maß, in dem transreligiöse Kommentare Erfolg haben, werden sie zu wichtigen Instrumenten des interreligiösen Dialogs und der Vergleichenden Theologie.“ In China, so Schmidt-Leukel, wurden interreligiöse Schriftkommentare ab dem 16./17. Jahrhundert Zu einem wesentlichen Instrument im Zusammenwachsen von Daoismus, Konfuzianismus und Buddhismus.
Der „Bodhicaryāvatāra“ bietet nach den Worten des Wissenschaftlers nicht nur „eine besondere Symbiose aus der Ethik, Spiritualität und Philosophie des Mahāyāna Buddhistismus“. Diese Schrift hat auch politische Implikation, was man daran sieht, dass er dem gegenwärtigen 14. Dalai Lama als Hauptrichtschnur seines Handelns gilt. Als Textbasis für den auf Englisch verfassten Kommentar verwendet Schmidt-Leukel das Sanskrit Original, von dem Ernst Steinkellner, von der Universität Wien, für diesen Kommentar eine neue englische Übersetzung anfertigt hat. Diese Übersetzung werde in Verbindung mit der kommentierenden Analyse weiterentwickelt.
Förderung herausragender Wissenschaftler
Mit der Opus Magnum-Förderung ermöglicht die Volkswagenstiftung regelmäßig herausragenden Professorinnen und Professoren der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, ein größeres wissenschaftliches Werk, ein „Opus magnum“, zu einem anspruchsvollen Thema zu verfassen. Die Forscher erhalten Entlastung von ihrer Lehrverpflichtung an der Universität, indem eine Vertretung für 6 bis 18 Monate finanziert wird. Die Stiftung fördert nach eigenen Angaben besonders die interdisziplinäre und interkulturelle Forschungsarbeit.
Prof. Dr. Perry Schmidt-Leukel ist seit 2009 Direktor des Seminars für Religionswissenschaft und Interkulturelle Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster und Mitglied des Exzellenzclusters „Religion und Politik“. Seine Forschungsschwerpunkte sind Theologie der Religionen, Interreligiöse Beziehungen, Christlich-buddhistischer Dialog, Interreligiöse Theologie und Pluralismusfähigkeit der Religionen. (ill/vvm)