„Religionspolitik schützt jüdisches Leben“
Religions- und Weltanschauungsvertreter diskutieren am Exzellenzcluster in Münster über Religionspolitik – Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz: Staat soll religiöse Bräuche der Juden schützen – Ahmadiyya-Vertreter: Es kann nicht nur einen muslimischen Ansprechpartner für den Staat geben – Vertreter des Humanisten-Verbandes: Gleiche Möglichkeiten für religiöse und nicht-religiöse Menschen – Evangelische Vertreterin: Religionsverfassungsrecht gilt für alle Religionsgemeinschaften, nicht für Kirchen
Vertreter des Judentums in Deutschland erwarten vom Staat eine Religionspolitik, die ihre jahrtausendealten Traditionen schützt. „Religionspolitik ist für uns ein Schutz, durch den wir hierzulande seit Jahrzehnten sicher unseren Glauben leben können“, sagte Rabbiner Avichai Apel, Vorstandsvorsitzender der Orthodoxen Rabbinerkonferenz, am Dienstagabend in Münster. „Wir erwarten, dass wir unsere religiösen Sitten und Bräuche in Ruhe und ohne Einmischung pflegen können.“ Das Religionsverfassungsrecht biete diesen Schutz, so der Dortmunder Rabbiner, der im Sommer nach Frankfurt wechselt. Dass es Regelungen wie das Beschneidungsgesetz geben müsse, sei bedauerlich, biete jüdischen Eltern nun aber Rechtssicherheit.
Rabbiner Apel fügte an, Juden lebten schon seit 1.000 Jahren in Deutschland, doch erst seit 50 Jahren führten Kirchen und Judentum einen Dialog auf Augenhöhe. „Das hat zu einem guten Verhältnis und gegenseitiger Unterstützung geführt, wie auch die kirchlichen Stimmen in der Beschneidungsdebatte gezeigt haben.“ Ohne die Unterstützung des Staates für die jüdischen Gemeinden könnten diese heute nicht bestehen, so Apel. Mittlerweile lebten wieder rund 120.000 Juden in Deutschland in mehr als 110 lebendigen Gemeinden. Apel sprach auf dem Podium „Reformdruck in der Religionspolitik?“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ und des Centrums für Religion und Moderne (CRM) der WWU.
Auch der Leiter der Abteilung für externe Angelegenheiten der muslimischen Gemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland, Dr. Mohammad Dawood Majoka, würdigte, dass das Religionsverfassungsrecht die Traditionen von Religionsgemeinschaften schütze. „Als Körperschaft öffentlichen Rechts können wir mit dem Staat auf Augenhöhe reden und erhalten Rechte, ohne die wir unsere Religion nicht leben könnten.“ Als Beispiel nannte er das Recht, eigene Friedhöfe zu betreiben. „Für uns gilt die ewige Grabesruhe, die auf anderen Friedhöfen in Deutschland nicht sichergestellt ist.“ Dass die Ahmadiyya-Gemeinde in Hamburg und Hessen den Körperschaftsstatus erlangt habe, beweise, dass dies muslimischen Gemeinschaften generell möglich sei. Das gelte aber nur dann, hob Majoka hervor, „wenn sie wie die Ahmadiyya eine rein religiöse Gemeinschaft sind und nach religiösem Bekenntnis organisiert“. Andere Islam-Verbände seien national, ethnisch und sprachlich ausgerichtet. Hier fehle die Voraussetzung für den Status. Majoka kritisierte zugleich die anhaltende Forderung nach einem gemeinsamen Ansprechpartner aller Muslime für den Staat. „Im Christentum gibt es mit den verschiedenen Kirchen auch mehrere Ansprechpartner.“
„Rechtliche Einbindung kann Religionen liberaler machen“
Die Präsidentin des Landeskirchenamtes der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, Dr. Stephanie Springer, betonte, das Religionsverfassungsrecht gelte für alle Religionen und solle ihre freie Entfaltung ermöglichen. „Es erfüllt die Anforderungen einer religiös vielfältigen Gesellschaft.“ Die Begriffsverschiebung vom „Staatskirchenrecht“ zum „Religionsverfassungsrecht“ zeige diesen Wandel, von dem auch andere Religionen als Christentum und Judentum profitieren könnten. So stehe der Körperschaftsstatus allen Religionsgemeinschaften offen, die die säkular begründeten mitgliedschaftsrechtlichen Voraussetzungen schafften und die fundamentalen Verfassungswerte einhielten. Historisch betrachtet, habe die Einbettung der christlichen Kirchen in demokratische Prozesse positiv auf sie zurückgewirkt und sie zur Anerkennung von Werten wie Demokratie, Geschlechtergleichheit und Pluralität gebracht. „Das Religionsverfassungsrecht bietet auch anderen Religionsgemeinschaften diese Chance, sich in Richtung Liberalisierung zu öffnen.“
„Humanistische Lebenskunde einführen“
Michael Bauer vom Humanistischen Verband Deutschlands (HVD) warb für ein Umdenken in der Religionspolitik. „Nicht-gläubigen Menschen sollten dieselben Möglichkeiten wie religiösen Menschen zukommen.“ So sollten auch nicht-religiöse Menschen das Recht haben, „dass ihre Kinder ihre Weltanschauung und Tradition in der Schule fundiert erlernen können“. Daher solle in Deutschland flächendeckend das Schulfach „Humanistische Lebenskunde“ gleichwertig zum konfessionellen Religionsunterricht eingeführt werden, wie es dies in Berlin und Brandenburg bereits gebe. „An diesen bekenntnisgebundenen Unterricht kann und soll sich das gegenseitige Kennenlernen unterschiedlicher Religionen und Weltanschauungen anschließen. Doch zunächst ist die eigene Tradition kennenzulernen, damit dieser Dialog untereinander auf einer guten Basis stattfinden kann.“ In Zukunft werden Christen nach Einschätzung des HVD-Vertreters in Deutschland in der Minderheit sein. „Religiöse Menschen überhaupt werden in der Minderheit sein, schon jetzt richten nur 40 bis 50 Prozent der Bevölkerung ihr Leben religiös aus.“ Der Rechtfertigungsdruck für eine Privilegierung der Religionsgemeinschaften werde damit steigen. „Das kann der Diskussion nur gut tun“, so Bauer, dessen Verband in mehreren Bundesländern den Körperschaftsstatus erlangt hat.
„Religionsfreiheit ist Fundament der Religionspolitik“
Die vier Vertreter der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften diskutierten mit der Sozialethikerin und katholischen Theologin Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“, die die Bedeutung des Menschenrechts auf Religionsfreiheit unterstrich. „Sie ist das normative Fundament einer staatlichen Religionspolitik. Sie lässt sich allerdings nicht allein rechtlich erreichen, wir können dabei nicht nur auf das Religionsverfassungsrecht setzen.“ Vielmehr seien die Religionsgemeinschaften auch selbst in der Verantwortung für das Gut der religiösen Freiheit.
„Gerade in pluralen Gesellschaften sollten sie sich an der Auseinandersetzung der weltanschaulichen Positionen beteiligen“, unterstrich die katholische Theologin. „Wo Menschen unterschiedlicher Religion und Weltanschauung zusammenleben und Konflikte entstehen, brauchen wir offene, gut hörbare, aber zugleich respektvolle Debatten.“ Solche Spannungen ließen sich nicht durch die Privatisierung von Religion lösen. „In einer religionsfreiheitlichen Gesellschaft haben alle die Vielfalt an Religionen und Weltanschauung zu ertragen. Entscheidend ist es, den anderen Menschen mit seiner Weltanschauung zu akzeptieren, auch wenn diese von der eigenen abweicht.“
Dem Podium war vergangene Woche eine Veranstaltung vorangegangen, bei der Parteienvertreter ihre religionspolitischen Positionen darlegten. Die Politiker Volker Beck (Die Grünen), Kerstin Griese (SPD) und Thomas Sternberg (CDU) diskutierten mit dem Politikwissenschaftler Ulrich Willems vom Forschungsverbund über aktuelle Konflikte, Lösungsansätze sowie Grundsatzfragen der Religionspolitik in Deutschland. Die Religionspolitiker mahnten eine offenere Debatte über und mit Religionen an. Beide Podien leitete der Religionsfachjournalist und Chefkorrespondent der DuMont Mediengruppe, Joachim Frank. Die Podiumsdiskussionen sind Teil der Ringvorlesung „Religionspolitik heute. Problemfelder und Perspektiven in Deutschland“ des Exzellenzclusters und des CRM. Ziel der Veranstaltungsreihe ist es, eine differenzierte Debatte in Politik und Gesellschaft über religionspolitische Grundsatzfragen sowie aktuelle Konflikte und Lösungen zu stärken.
Kommenden Dienstag, 12. Juli, spricht Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Hinnerk Wißmann zum Thema „Freiheit braucht Form!? Organisationsvorgaben als Herausforderung des Religionsverfassungsrechts“. Die Religionswissenschaftlerin PD Dr. Astrid Reuter vom CRM kommentiert die Ausführungen. (ska/vvm)