„Träume waren Motoren der Konversion“
Vortrag über das Spannungsfeld von Traum, Konversion und Autobiographie im Mittelalter
Über die Rolle von Träumen bei Bekehrungen im Mittelalter hat der Pariser Mediävist Prof. Dr. Jean-Claude Schmitt in der öffentlichen Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Konversion. Glaubens- und Lebenswenden“ gesprochen. „Der Traum war ein wichtiger Teil im Konversionsprozess. Er galt im Mittelalter als Kontaktmittel zwischen Diesseits und Jenseits und als himmlische Voraussage der künftigen Bekehrung“, erläuterte der Historiker. Es sei daher nicht erstaunlich, dass der Traum ein „wichtiger Motor für die Konversion“ gewesen sei. Umgekehrt wurden dem Wissenschaftler zufolge auch Bekehrungen häufig von Träumen begleitet. Einblick in ihre Träume hätten Konvertiten überwiegend in Selbstzeugnissen gegeben. In dem Vortrag „Konversionsträume im Mittelalter“ stellte Prof. Schmitt einige der autobiographischen Schriften von der Spätantike bis in das 13. Jahrhundert vor.
Der Traum sei eine Theaterbühne gewesen, auf der die zukünftigen Konvertiten mit „himmlischen Mächten und unterirdischen Gegenkräften“ konfrontiert gewesen seien, sagte der Mediävist. „Dort trafen sie einerseits den Teufel, andererseits die Jungfrau Maria und Christus selbst, die die Träumenden einluden, ihnen zu folgen und sich zur christlichen Botschaft bekehren zu lassen“, so Prof. Schmitt. „Der Traum drückte die innere Gefühlslage des Schlafenden aus.“
Konversion habe ab dem 12. Jahrhundert vor allem „den Übergang von einer Form des religiösen Lebens zur anderen innerhalb des Christentums“ bedeutet, so der Historiker. Als Beispiele nannte er den Klostereintritt eines Laien oder den Übertritt eines Benediktinermönches zu den Zisterziensern. Anhand zeitgenössischer Autobiographien, etwa der Mönche Otloh von Sankt-Emmeran (1010-1070), Guibert von Nogent (1055-1125) und Rupert von Deutz (1070-1129), machte der Referent deutlich, dass es unterschiedliche Gründe für eine Konversion gab. Allerdings hätten die Gläubigen im Bekehrungsprozess unter den gleichen Zweifeln gelitten: „Sie mussten sich entscheiden zwischen weltlichen Lebensformen wie der Ehe oder dem Lesen heidnischer Autoren und der Berufung zu einem geistlichen Leben mit spirituellen Werten.“ Der Traum habe den Konversions-Kandidaten Antworten und somit den Weg zur Konversion weisen können.
Der Referent lehrt an der Pariser Hochschule „École des Hautes Études en Sciences Sociales“. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die Sozial- und Kulturgeschichte des westeuropäischen Mittelalters. Das Spannungsfeld von Traum, Bekehrung und Autobiographie im Mittelalter untersuchte er bereits 2003 in der Studie „Die Bekehrung Hermanns des Juden. Autobiographie, Geschichte und Fiktion“. Prof. Schmitt ist Träger des renommierten Reimar Lüst-Preises der Alexander von Humboldt-Stiftung.
Die Ringvorlesung des Exzellenzclusters im Wintersemester 2015/16 untersucht religiöse, aber auch politische und weltanschauliche Konversionen von der Spätantike bis heute. Die Themen der Ringvorlesung reichen von Bekehrungen im alten Rom über frühneuzeitliche Reformatoren bis zur Taufe europäischer Juden im 19. Jahrhundert. Auch Konversionen innerhalb des Islams in Indonesien, die Konversion zum evangelikalen Christentum des US-Musikers Bob Dylan und der Wandel von Geisterheilungen zur Psychiatrie im heutigen Indien werden unter die Lupe genommen. Es kommen Vertreter verschiedener Disziplinen zu Wort: der Geschichts- und der Rechtswissenschaft, der Ethnologie, Theologie, Arabistik, Germanistik, Indonesischen Philologie, der Judaistik und der Mittellateinischen Philologie.
Die Vorträge sind dienstags von 18.15 bis 19.45 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 in Münster zu hören. Den nächsten Vortrag am 1. Dezember hält der Göttinger Kirchenhistoriker und evangelische Theologe Prof. Dr. Thomas Kaufmann zum Thema „Reformatoren als Konvertiten“. (ska)