Von den Königspsalmen bis zur Volkskirche
Doktoranden stellten beim „Tag der Graduiertenschule“ Dissertationsprojekte vor
Beim dritten „Tag der Graduiertenschule“ des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ haben Doktorandinnen und Doktoranden einen Einblick in ihre Forschungsarbeiten gegeben. Die theologischen, historischen und islamwissenschaftlichen Vorträge reichten von der Antike bis in die Gegenwart, von Deutschland über die Levante bis nach Ostasien. Themen waren die Legitimation des judäischen Königtums in den biblischen Psalmen, die Rezeption des Pentateuchs in den Chronikbüchern und die Diskurs-Tradition der muslimischen Hui-Chinesen und der Uiguren. Außerdem ging es um den Herrscherratgeber des arabischen Dichters Ibn Nubāta und den Begriff der „Volkskirche“ als Ordnungssystem im deutschen Protestantismus des 20. Jahrhunderts.
Das Programm folgte fünf Begriffen, die in vielen Promotionsprojekten der Graduiertenschule eine Rolle spielen und interdisziplinär diskutiert wurden: Legitimation, Intertextualität, Materialität des Diskurses, Säkularisierung und semantischer Wandel. Der Sprecher des Exzellenzclusters, Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack, eröffnete den „Tag der Graduiertenschule“. Er sagte, der Tag der Graduiertenschule biete „nicht nur eine Gelegenheit, die Dissertationsprojekte der Promovenden der Cluster-Öffentlichkeit bekannt zu machen, sondern auch eine Chance für den Austausch zwischen den innovativen Ideen der Promovenden und dem Erfahrungsschatz der gestanden Wissenschaftler“. Die Moderation übernahmen die vier Mentoren der Graduiertenschule, der evangelische Theologe Prof. (apl.) Dr. Rüdiger Schmitt, Religionssoziologin Prof. (apl.) Dr. Christel, Historikerin Dr. Felicity Jensz und Historiker PD Dr. Klaus Große Kracht. Ein Fazit der Tagung zogen die Vertreter der Graduiertenschule Vít Kortus und Denise Motzigkeit. Die ersten beiden „Tage der Graduiertenschule“ fanden 2010 und 2011 statt.
Die evangelische Theologin Reettakaisa Sofia Salo legte in ihrem Vortrag die Legitimation des judäischen Königtums am Beispiel der Psalmen 2 und 45 dar. „Sowohl Kleinstaaten wie Juda als auch Großmächte im Vorderen Orient des 1. Jahrtausends vor Christus legitimierten ihre Herrschaftsstrukturen durch eine religiös geprägte Königsideologie, die in allen altorientalischen Kulturen Gemeinsamkeiten aufwies“, erläuterte die Wissenschaftlerin. Der Kleinstaat Juda habe an diesem Herrschaftsdiskurs im Rahmen der Texte der sogenannten Jerusalemer Tempeltheologie oder Zionstheologie teilgenommen. Die Theologin untersuchte die Königspsalmen in Bezug auf die Beziehung zwischen Gott und König und verglich das Motiv mit der Herrschaftsideologie der Nachbarkulturen, um Gemeinsamkeiten, aber auch lokale Ausprägungen auszuarbeiten. „Die zwei beispielhaften Psalmen sind für diese Fragestellung interessant, weil sie von den weiteren Königspsalmen abweichen. Die beschriebene Beziehung zwischen Jahwe und dem Jerusalemer König ist besonders eng, wenn nicht sogar verwandtschaftlich.“
Der Vortrag des evangelischen Theologen Lars Maskow befasste sich mit der Rezeption der kultischen Texte der fünf Bücher Mose in den Chronikbüchern der hebräischen Bibel beziehungsweise des christlichen Alten Testaments. Maskow interessierte sich vor allem für Sinn, Bedeutung, Inhalt und Umfang des Tora-Begriffes in den Chronikbüchern. Die semasiologische Analyse der „Tora“, bei der nach der Wortbedeutung gefragt wird, bestimmt seine Forschung genauso wie eine pragmatische Textanalyse, die untersucht, wie die kultischen Texte des Pentateuchs, der ersten fünf Bücher der hebräischen Bibel, in den Chronikbüchern ihre Wirkung entfalten. Seine Forschung bietet nach eigener Aussage einen „methodischen Neueinsatz“, da das intertextuelle Verhältnis von Pentateuch und Chronik nicht in einliniger Abhängigkeit gedeutet, in diesem Fall die Chronikbücher von der Tora, sondern vor dem Hintergrund der Vorlage der Chronikbücher – den Samuel- oder Königebüchern, die ebenfalls zum Kanon der hebräischen Bibel gehören, entfaltet wird. „Die Chronikbücher sind stark vereinfacht gesagt eine Abschrift der Samuel- oder Königebücher unter Auslassung der Geschichte des Nordreiches und den Vorzeichen der Tora.“ Inwiefern die Unterschiede zwischen diesen beiden Büchern und der Chronik auf den Einfluss der Tora zurückzuführen sind, ist eine Grundfrage der Forschungsarbeit. Der Wissenschaftler versteht dies nicht als „semantische Oberflächenanalyse“, sondern als „exegetische Tiefenbohrung unter Zuhilfenahme textlinguistischer und literaturwissenschaftlicher Methoden zur Erhellung des Phänomens Tora in der Chronik“. An einem Beispieltext führte Maskow seine Arbeitsweise vor und regte zur Diskussion darüber an, welche inhaltlichen und methodischen Probleme mit seinem Vorgehen verbunden sind und ob die Chronik als „Fortsetzung der Tora mit anderen Mitteln“ verstanden werden kann.
Ein weiterer Vortrag am „Tag der Graduiertenschule“ befasste sich mit der islamischen Diskurs-Tradition der muslimischen Hui-Chinesen und der Uiguren. Darüber sprach die Sinologin Elke Spiessens. In der Forschung werde die islamische Literatur der Uiguren bisher nur am Rande behandelt. Mit ihrer Dissertation möchte Spiessens mehr Aufmerksamkeit auf die Situation dieser islamischen Schriften lenken. Sie legte in ihrem Vortrag dar, welche Rolle Materialität in ihrer Entwicklung und Interaktion spielt. „Seit der Frühzeit des Islams sind Muslime in den chinesischen Territorien präsent“, sagte die Forscherin. Heute sei China die Heimat von rund 21 Millionen Muslimen – vor allem der Hui-Minderheit und der turkisch-sprachigen Uiguren.
Islamwissenschaftler Stephan Tölke befasste sich mit dem Herrscherratgeber des arabischen Dichters Ibn Nubāta (gestorben 1366). Der Wissenschaftler erörtert in seinem Promotionsvorhaben, wie Herrschaft und Politik in islamischen Gesellschaften der Mamlukenzeit (1250-1517) losgelöst von Religion in verschiedenen Diskursen thematisiert wurden. Er untersucht dies anhand der tiefgehenden Analyse und Kontextualisierung des Herrscherratgebers „Sulūk duwal al-mulūk“ (Die Wege die Staaten der Fürsten nehmen/Die Wege des Auf-und-Ab der Fürsten), der in seiner anthropozentrischen Empirie Niccolò Machiavellis „Il Principe“ (Der Fürst) von 1513 in nichts nachstehe. „Mit seiner Weltsicht ist Ibn Nubāta seiner Zeit keineswegs voraus, da sich in seinem Gesamtwerk verschiedene zeitgenössische Diskurse spiegeln. Dieser repräsentative Charakter seines Schaffens ergibt sich daraus, dass er seine Werke sowohl an die herrschenden Eliten als auch an die breite Masse des städtischen ‚Bildungsbürgertums‘ adressierte, die sie fleißig rezipierten.“
Die Volkskirche als Ordnungssystem im deutschen Protestantismus des 20. Jahrhunderts untersuchte der Historiker Benedikt Brunner. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie die erstaunliche Kontinuität des Begriffs „Volkskirche“ vom Ende des Ersten Weltkrieges 1918 bis zur Friedlichen Revolution 1989/90 in Ostdeutschland zu erklären ist. Das Dissertationsprojekt versucht nach Aussage von Brunner dieser Frage mit der Hypothese von einer Doppelsemantik des Begriffes „Volkskirche“ nachzugehen. „Zum einen wurde mit dem Begriff der Versuch unternommen, divergierende Ordnungsvorstellungen im landeskirchlich organisierten Protestantismus zu integrieren. Zum anderen wurde er als ,Kampfbegriff‘ verwendet, um sich von alternativen Konzeptionen wie der Freikirche abzugrenzen.“ Der Wissenschaftler legte in seinem Vortrag dar, welche Erklärungspotenziale die Methoden der Begriffsgeschichte und der historischen Semantik im Hinblick auf religiös-kirchlichen Wandel bieten. (ska/vvm)