„Krisen als Wiege neuer Religionen“
Soziologe Wolfgang Eßbach über Religion, Religionskritik und Gesellschaft
Der Freiburger Religionssoziologe Prof. Dr. Wolfgang Eßbach spricht am Dienstag, 14. Juli, am Exzellenzcluster über das Thema „Religion, Religionskritik und gesellschaftliche Erfahrung“. Der gleichnamige Vortrag, der im Rahmen der Cluster-Projektgruppe „Religionssoziologie“ stattfindet, präsentiert zentrale Aussagen seines Werkes „Religionssoziologie. Glaubenskrieg und Revolution als Wiege neuer Religionen“ aus dem Jahr 2014. Im ersten der auf zwei Bände angelegten Arbeit geht der emeritierte Professor für Soziologie das Thema der „Wiederkehr der Religion“ historisch an, wie Soziologin Prof. (apl.) Dr. Christel Gärtner erläutert. „Er folgt nicht dem bekannten Narrativ, das die europäische Religionsentwicklung zwischen der Bipolarität ,Christentum und Säkularismus‘ ansiedelt, sondern nimmt eine ,Mehrfaltigkeit‘ der Entwicklung ,zwischen christlichen Konfessionen und religiöser Indifferenz‘ in den Blick.“
Die Veranstaltung ist als Dialog zwischen Soziologie und Geschichte konzipiert, wie die Wissenschaftlerin ausführt. Im Anschluss an den Vortrag werden Mittelalter-Historiker Prof. Dr. Gerd Althoff, Frühneuzeit-Historikerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger und Frühneuzeit-Historiker Dr. Andreas Pietzsch vom Forschungsverbund die Religionssoziologie von Professor Eßbach aus historischer Sicht kommentieren. Der Vortrag richtet sich an alle Mitglieder des Exzellenzclusters und ist um 18:00 Uhr in Raum JO101, Hörsaalgebäude des Exzellenzclusters, in der Johannisstraße 4, zu hören.
In seiner Studie geht der Wissenschaftler von der Annahme aus, dass Religionsdiskurse eine Reaktion auf vordringliche Krisenerfahrungen wie die Glaubenskriege oder die Revolutionen und die darin enthalten Probleme darstellten, in denen Religion jeweils neu – als Lösung oder Problem – verhandelt werde. Dabei entwirft er eine europäische Religionstypologie, die aus der Geschichte heraus die Wandlungen und Verschiebungen von Religionsdiskursen und ihren Begriffen beobachtet.
Prof. Eßbach legt dar, wie der Typus der „Bekenntnisreligion“ im Zuge der Konfessionalisierung entstanden sei und die „Rationalreligion“ als Folge der Glaubenskriege durch die Religionskritik der Aufklärung. Die Erfahrung der Revolutionsperiode zwischen 1789 bis 1848 habe zwei neue Typen von Religion entstehen lassen, die „Nationalreligon“ und die „Kunstreligion“, während die Religionskritik im 19. Jahrhundert eine „Wissenschaftsreligion“ hervorgebracht habe.
Mit der Religionstypologie des Freiburger Soziologen beschäftigten sich im Sommersemester auch Doktoranden des Exzellenzclusters in einem Lektürekurs unter Anleitung von Prof. (apl.) Gärtner, die als Mentorin tätig ist. Zudem steht Wolfgang Eßbach den Doktoranden und Doktorandinnen am Mittwochvormittag auch für einen Workshop zur Verfügung. Die Projektgruppe „Religionssoziologie“ bietet Wissenschaftlern am Exzellenzcluster, die zu religionssoziologischen Fragen forschen, ein Forum für die fachliche Diskussion und den intellektuellen Austausch. Die Teilnehmer sind besonders daran interessiert, die Gegenwartsorientierung der Soziologie aufzubrechen und historische Fragestellungen in ihre Arbeit einzubeziehen. (exc/ska)