Zur Wahrnehmung des Islams in Deutschland
Religionssoziologe Pollack und islamischer Theologe Khorchide im dpa-Interview
Zur Wahrnehmung des Islams in Deutschland haben sich der Religionssoziologe Prof. Dr. Detlef Pollack und der islamische Theologe Prof. Dr. Mouhanad Khorchide vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ anlässlich der Sonderauswertung des Religionsmonitors der Bertelsmann Stiftung zum Islam, die am Donnerstag vorgestellt wurde, in einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur (dpa) geäußert. Es folgen Ausschnitte aus dem Originalbericht:
Studie: Thema Gewalt verdrängt positives Islam-Bild
Von Carsten Linnhoff, dpa
Viele Muslime hierzulande haben längst das Gefühl, in Deutschland angekommen zu sein. Doch die deutsche Mehrheitsgesellschaft will davon oft nichts wissen.
Gütersloh (dpa/lnw) […] Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt […]: Muslime in Deutschland stehen immer mehr zu Staat und Gesellschaft. Je länger sie in Deutschland sind, je mehr Generationen hier aufwachsen, desto größer ist die Identifikation. Beeindruckend sind die Zahlen zum Beispiel zur Anerkennung homosexueller Partnerschaften. Während nur 12 Prozent der streng gläubigen Muslime in der Türkei eine gleichgeschlechtliche Ehe befürworten, sind in Deutschland immerhin 40 Prozent der hochreligiösen Muslime dafür. Generell beschreibt sich die Mehrheit dieser Glaubensgemeinschaft in Deutschland als fromm und liberal.
[…] Nicht-Muslime nehmen diese Annäherung innerhalb der Gesellschaft kaum war. Die Studie der Bertelsmann-Stiftung bestätigt das. 57 Prozent der Befragten Nicht-Muslime empfinden den Islam als Bedrohung. Im Jahr 2012 waren es noch 53 Prozent. Während vor drei Jahren noch 52 Prozent sagten, der Islam passe nicht in die westliche Welt, waren es 2014 bereits 61 Prozent.
Mouhanad Khorchide, Soziologe und Islamwissenschaftler an der Universität Münster, zeigt sich vom Ergebnis der Studie nicht überrascht. „Immer mehr muslimische Frauen sind Akademikerinnen. Trotzdem wird immer das Paradebeispiel der unterdrückten, kopftuchtragenden muslimischen Frau in der Öffentlichkeit strapaziert. Das ist aber nicht das real existierende Bild“, sagt der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie (ZIT). Er fordert, positive Vorbilder und Erfolge von Muslimen in Deutschland auch zu zeigen. „Das wird einfach zu wenig kommuniziert, nur die negativen Geschichten stehen immer an erster Stelle.“
Das Bündnis „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ („Pegida“) wendet sich gegen eine angebliche „Überfremdung“ Deutschlands. Experten ordnen Teile der Organisatoren und Demonstranten dem rechtsextremen Spektrum zu. Genährt wird die Bewegung nach Ansicht von Sozialforschern von einer diffusen Angst vor sozialem Abstieg.
Der Lehrstuhlinhaber Khorchide bildet in Münster auch Lehrer für Islam-Unterricht an Schulen aus. „Nur durch Begegnungen mit dem Islam können Vorurteile abgebaut werden. Ein Schulleiter, der bislang immer Islam-Lehrer an seiner Schule abgelehnt hatte, hat mich kürzlich überrascht. Jetzt plötzlich hat er zugestimmt. Ihm ging es aber vorrangig nicht um den Unterricht. Er wollte den Austausch im Kollegium zum Thema Islam fördern. Das hat mich überrascht“, sagte Khorchide der Deutschen Presse-Agentur.
Detlef Pollack widerspricht Khorchide in einem Punkt. Der Religionssoziologe der Uni Münster weist auf den Zusammenhang von Gewalt und Islam hin. „Das Bild des Islam ist eben nicht nur positiv. Fast täglich gibt es weltweit Nachrichten über Gewalt im Zusammenhang mit dem Islam. Ob es der IS ist oder Boko Haram in Afrika oder jetzt aktuell der Anschlag in Paris. Es ist fast unausweichlich, dass die Menschen in Deutschland Gewalt und Islam verknüpfen, auch wenn das mit der Rolle der Muslime in Deutschland nichts zu tun hat“, sagt Pollack.
Der Wissenschaftler des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ verweist auf eine ältere seiner Studien, nachdem 70 bis 80 Prozent der Befragten den Islam mit Gewaltbereitschaft verbinden. „Das ist ungerecht, denn das spiegelt die Situation der Muslime in Deutschland natürlich nicht wider“, sagt der Forscher.
Wie andere Wissenschaftler sieht Pollack im Austausch und Kontakt mit Muslimen, die einzige Chance, die Vorurteile zu durchbrechen. „Die USA sind dafür ein gutes Beispiel, auch wenn der Anteil der Muslime dort nur bei einem Prozent liegt und damit niedriger ist als bei uns. Dort gibt es deutlich mehr Toleranz und Religions-Pluralität. In den USA sind die Familien durch Einwanderung und Hochzeiten über Generationen viel vermischter bei den Religionen als bei uns“, sagt Pollack, der in Leipzig aufwuchs.
Die Angst vor dem Islam ist laut Studie dort am größten, wo die wenigsten Muslime leben: In Nordrhein-Westfalen, wo jeder dritte deutsche Muslim zu Hause ist, fühlen sich 46 Prozent bedroht. In Thüringen und Sachsen mit nur sehr wenigen Muslimen sind es 70 Prozent.
Mit freundlicher Genehmigung der dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH, Hamburg, www.dpa.de