„Ein Gefühl von Vertrautheit und Heimat“
Drei Fragen an den Religionssoziologen Detlef Pollack zum großen Zuspruch für Weihnachtsgottesdienste
Münster (epd). An Heiligabend sind die Gottesdienste anders als an normalen Sonntagen überfüllt. Die Attraktivität der Weihnachtsgottesdienste führt der Religionssoziologe Detlef Pollack darauf zurück, dass sich für die Menschen an Weihnachten in der Kirche „ein Gefühl von Vertrautheit und Heimat“ einstelle. Der Besuch von Weihnachtsgottesdiensten schaffe in einem durch Wechsel bestimmten Leben „ein Moment der Kontinuität und eine Atmosphäre der Zugehörigkeit, der Gemeinschaft“, sagte Pollack, der an der Universität Münster lehrt, in einem epd-Gespräch.
epd: Alle Jahre wieder sind am 24. Dezember die Gottesdienste überfüllt. Mehr als neun Millionen Menschen besuchen Erhebungen zufolge die evangelischen Gottesdienste am Heiligen Abend - mit steigender Tendenz. An normalen Sonntagen sind es weniger als eine Million. Wie erklärt die Religionssoziologie dieses Verhalten?
Weihnachten wird in der Familie gefeiert. Zum Gottesdienst gehen die Menschen zumeist mit ihren Familienangehörigen. In der Kirche hört man die Weihnachtsgeschichte, die bekannten Weisen. Wenn man irgendetwas an christlichen Chorälen und Liedern mitsingen kann, dann die Weihnachtslieder. So stellt sich in der Kirche ein Gefühl von Vertrautheit und Heimat ein, vielleicht auch eine Erinnerung an Kindertage, an denen man ebenfalls schon in die Kirche ging.
Der Besuch der Weihnachtsgottesdienste und Metten schafft in einem durch Wechsel bestimmten Leben ein Moment der Kontinuität und eine Atmosphäre der Zugehörigkeit, der Gemeinschaft. Das vermittelnde Glied zwischen dem Einzelnen und der Kirche ist die Familie, die für die meisten Menschen einen hohen Wert darstellt. Mit den Menschen, die einem nah sind und die man liebt, besucht man die Kirche. Sie spielen ebenso eine Rolle wie die festliche Stimmung, die Musik, die Predigt, die Möglichkeit, über das vergangene und das kommende Jahr nachzudenken, und die Tatsache, dass man auch im vergangenen Jahr zu Weihnachten schon in der Kirche war. Religionssoziologisch gesprochen, ist es diese Multifunktionalität, die den Weihnachtsgottesdienst so attraktiv macht.
epd: Die Zahlen sprechen ja eine deutliche Sprache. Für viele gehört es zum Weihnachtsmodus, an Heiligabend zur Kirche zu gehen. Wer sind diese sogenannten Weihnachtschristen? Sind es treue Kirchenferne, Gelegenheitsgläubige, religiös Suchende, Familienmenschen, ehemalige Kirchenmitglieder?
Sozialstrukturell handelt es sich bei den Besuchern der Weihnachtsgottesdienste um den Bevölkerungsdurchschnitt. Unter ihnen sind natürlich die Kirchennahen auf jeden Fall vertreten, die auch sonst in die Kirche gehen, aber auch die Kirchendistanzierten, und sogar Kirchenentfremdete und Ausgetretene finden sich unter ihnen. Wahrscheinlich ist es weniger eine starke religiöse Sehnsucht als Gewohnheit und Tradition, die die Menschen zu Weihnachten in die Kirche führt.
epd: Und was erwarten „Weihnachtschristen“ an diesem Festtag in der Kirche? Besinnliche und feierliche Atmosphäre mit Weihnachtsgeschichte, Liedern und Orgel, Gemeinschaftsgefühl, familiäres Zusammensein, Deutungsangebote?
Ja, eben genau das alles, und dass man das alles auf einmal haben kann, macht den Reiz aus. Da sind die Sinne, da ist das Herz und da ist der Verstand angesprochen. Und nachdem man den Weihnachtsbraten hinter sich hat, ist so mancher froh, sich auch einmal bewegen zu können.
epd-Gespräch: Rainer Clos
Mit freundlicher Genehmigung des Evangelischen Pressedienstes (epd).