Wissenschaftskommunikation für Geisteswissenschaften

dpa-Interview über Formate der Forschungsvermittlung am Exzellenzcluster

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Viola van Melis

Das dpa-Dossier Bildung Forschung der Deutschen Presse-Agentur präsentiert in seiner aktuellen Ausgabe die Wissenschaftskommunikation des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ als Modellprojekt für die Forschungsvermittlung aus den Geistes- und Sozialwissenschaften. Es folgt das dpa-Interview mit der Leiterin des Zentrums für Wissenschaftskommunikation, Viola van Melis, im Original-Wortlaut:

Cluster-Kommunikatorin: Hochschulen brauchen Forschungsredakteure

Berlin/Münster (dpa) – Die Akademien in Deutschland sind besorgt über eine zunehmend schlechte Qualität von Berichten über Wissenschaft. Dabei haben sie nicht nur den Trend zum Sensationsjournalismus im Blick, sondern auch gravierende Schwächen der Öffentlichkeitsarbeit mancher Hochschulen selbst. Dazu zählt vor allem ein Werbungscharakter mit Event- und Unterhaltungselementen (vgl. 26/2014, S. 6ff.). Als ein positives Beispiel gilt das Zentrum für Wissenschaftskommunikation am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster. Eine seriöse Präsenz in den Medien könne zur nationalen und internationalen Sichtbarkeit des Exzellenzclusters und damit der Universität beitragen, wie die Zentrumsleiterin Viola van Melis in einem Interview des dpa-Dossiers Bildung Forschung sagte.

Auch wegen der Arbeit des Zentrums für Wissenschaftskommunikation wurde der Cluster im Rahmen der Exzellenzinitiative verlängert. Was macht diese Pilotfunktion aus, gilt sie allgemein oder nur für die Geisteswissenschaften?

Während sich die Kommunikation der MINT-Fächer in den vergangenen 15 Jahren stark ausdifferenziert und professionalisiert hat, werden Forschungsergebnisse aus den Geisteswissenschaften viel seltener systematisch vermittelt. Die Exzellenzinitiative ermöglichte es 2009, in Münster ein Pilotprojekt für die Kommunikation aus 20 geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern aufzusetzen. Die Hauptantragsteller des Clusters gründeten unser Zentrum innerhalb des Forschungsverbundes, das eng mit der Uni-Pressestelle zusammenarbeitet. Bundesweit hat keine andere geisteswissenschaftliche Einrichtung nach unserem Wissen eine solche Dialogstelle.

Teil des Konzeptes war, dass ich als langjährige Fachjournalistin für Religion, Politik, Bildung und Ethik eingestellt wurde. Im engen Austausch mit den Wissenschaftlern bereiten wir ihre Forschung auf, möglichst differenziert und im nüchternen Nachrichtenformat. Durch nationale und internationale Medienangebote sowie Ausstellungen, Podien, Filme, Konzerte und Digitalangebote erzielen wir große Reichweiten und viel Publikum. So gelingt auch der Austausch mit Verantwortlichen in Politik, Religionen und Zivilgesellschaft. Kommunikatoren anderer Institute fragen zuweilen nach unserem Konzept, um auch Geisteswissenschaftler in ihren Einrichtungen zur Kommunikation zu motivieren.

Wie sieht Ihr Vermittlungskonzept aus?

Wir stellen wie viele Hochschulkommunikatoren nicht die Institution ins Zentrum, sondern die Expertise unserer Forscherinnen und Forscher, die strukturelle und historische Hintergründe gegenwärtiger Fragen verständlich erläutern. Ob Beschneidung oder religiös motivierte Gewalt, ob Wertewandel, Islam-Fragen oder Kirchenpolitik: Die Anfragen von Journalisten, Bildungshäusern, Museen oder Politikern halten an. Im Ergebnis tragen die Cluster-Forscher zur Versachlichung aktueller Debatten bei. Wir arbeiten also die gesellschaftliche Relevanz der Cluster-Studien und damit deren Nachrichtenwert heraus.

Dass wir nicht nur auf geeignete Interviewpartner verweisen, sondern ihre Expertise textlich aufbereiten, schützt den Cluster vor unzulässigen Vereinfachungen. Die unterschiedlichen Logiken des Wissenschafts- und des Mediensystems beziehen wir in unsere Überlegungen ein. Wir steuern unredlichen Zuspitzungen gemeinsam mit den Forschern entgegen – etwa nach einer Europa-Umfrage zum Image der Muslime –, erlangen aber dennoch Aufmerksamkeit. Wir versuchen auch stets den Forschungskontext einer Studie, ihre Methoden und die Grenzen ihrer Fragestellung aufzuzeigen. Die Prüfung unserer Angebote, etwa durch eine zweite wissenschaftliche Meinung, können freilich nur die berichtenden Journalisten übernehmen.

Welche hochschulinternen Voraussetzungen sind Ihrer Erfahrung nach für eine solide Öffentlichkeitsarbeit notwendig? Und welchen Nutzen zieht eine Hochschule aus einem solchen Engagement?

Wenn eine Hochschule in der Wissenschaftskommunikation auf die sachliche Vermittlung von Forschung und auf Qualitätsstandards setzt – also werbliche PR oder Übertreibungen vermeidet – trägt das nach Erfahrungen der Uni Münster und der vieler anderer deutscher Hochschulkommunikatoren zur nationalen und internationalen Profilierung bei. Die Öffentlichkeit kann dadurch die gesellschaftliche Relevanz der Forschungsleistung beurteilen und erkennen, durch welches Profil und welche Kompetenzzentren sich eine Universität von anderen unterscheidet. Dabei braucht die seriöse Themenaufbereitung viel Zeit für Recherche in wissenschaftlichen Projekten, Publikationen und Veranstaltungen.

Wichtig ist es daher aus unserer Sicht, dass die Kommunikationsprofis der Hochschulpressestellen durch eine ausreichende Zahl von Forschungsredakteuren mit spezifischem Fachwissen unterstützt werden. An US-Universitäten sind übrigens weit mehr solcher Forschungsredakteure tätig als hier. Sie sind dort eng an Fachbereiche gebunden, ähnlich wie unser Zentrum im Exzellenzcluster. Auch der zweite Exzellenzcluster in Münster, „Cells in Motion“, baut eine so verstandene Wissenschaftskommunikation auf.

Sie waren kürzlich in den USA und haben sich in New York und Washington D.C. über den aktuellen Stand der Wissenschaftskommunikation informiert. Gibt es dort ähnliche Probleme wie in Deutschland und wohin geht der Trend beim Vorreiter USA?

In den Gesprächen mit Kommunikationsstrategen von Hochschulen wie der Columbia, Georgetown oder New York University wurde deutlich: Deutschland hat in der Wissenschaftskommunikation aufgeholt. Die Konzepte und Instrumente ähneln einander sehr. Leider zählen auch dort die Geisteswissenschaftler zu den Nachzüglern. Und auch in den USA wird die Qualitätsdebatte geführt, die die Akademien in Deutschland sowie die führenden Wissenschaftskommunikatoren des Siggener Kreises initiiert haben.

Auch in den USA gibt es noch keine zentrale Stelle, die ethische und handwerkliche Standards im Sinne einer Selbstverpflichtung setzt oder ein Monitoring vornimmt, also eine Art Wissenschafts-Presserat. Die Kollegen in den dortigen Pressestellen beklagen ebenfalls einen Rückgang des Qualitätsjournalismus, der wiederum weniger kritische Recherchen und Berichte über wissenschaftliche Themen nach sich ziehe. Zugleich stehen auch US-Hochschulen im Wettbewerb, weit mehr noch als deutsche Universitäten. Das schlägt sich in den Medien nieder: Journalisten in den USA folgen bei der Auswahl von Experten den Rankings, die das Renommee dortiger Hochschulen seit langem manifestieren. Deutsche Journalisten verhalten sich nach unserer Erfahrung themenorientierter und sprechen Experten dann an, wenn die Expertise überzeugt.

Vor welchen Herausforderungen, Aufgaben und Zielen steht das Zentrum für Wissenschaftskommunikation am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ in den nächsten Jahren?

Die nächsten Jahre wollen wir nutzen, die Schlussfolgerungen, die sich aus unserem Pilotprojekt für Geisteswissenschaften ziehen lassen, an andere weiterzugeben. Am Exzellenzcluster wollen wir zudem versuchen, die internationale Medienarbeit auszubauen. Wenn Forscher Themen wie die Kultur des Islams, nationale Mythen der Ukraine oder Religionen in China untersuchen, deren Relevanz nicht an Landesgrenzen endet, lässt sich für ihre Ergebnisse international Interesse erzielen. Das konnten wir anhand von Cluster-Studien und einer Kampagne zum 32. Deutschen Orientalistentag feststellen. Wir wollen weiterhin den wissenschaftlichen Nachwuchs schulen, durch Medientrainings, Hospitanzen und in Seminaren für Studierende. Geplant ist auch, den Austausch zwischen Wissenschaft und Politik auszubauen, der in den USA weit ausgeprägter ist, sicher befördert durch die langjährige Kultur renommierter Think Tanks. Ziel ist es schließlich, dass unser Pilotprojekt für Geistes- und Sozialwissenschaften an der Universität Münster einen festen Platz erhält. Die Exzellenzinitiative ist mit dem Ziel angetreten, solche Innovationen nachhaltig zu verankern.


ZUR PERSON: Viola van Melis ist seit Juli 2009 Leiterin des Zentrums für Wissenschaftskommunikation am Exzellenzcluster „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne“ der Universität Münster. Zuvor leitete sie fünf Jahre die Landesredaktion Nordrhein-Westfalen der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Bonn. Die 43-jährige studierte Historikerin moderiert regelmäßig Podien über politische und wissenschaftliche Themen.

Fragen: Ursula Mommsen-Henneberger

Mit freundlicher Genehmigung der dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH, Hamburg, www.dpa.de

Das dpa-Interview im Original-dpa-Dossier