Aufschwung des Religiösen?

Neue Studie über Kirchlichkeit und Religiosität in Ostmittel- und Osteuropa

Buchcover
© Springer VS

Mit der Entwicklung von Kirchlichkeit und Religiosität in postkommunistischen Gesellschaften während der letzten 20 Jahre befasst sich eine neue Studie des Religionssoziologen Dr. Olaf Müller vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“. „Wenn in letzter Zeit vom Aufschwung des Religiösen die Rede war, dann wurde nicht selten auf die Situation in Ostmittel- und Osteuropa verwiesen“, schreibt Müller in seiner kürzlich veröffentlichten Dissertation. Diese Vorstellung hinterfragt Müller jedoch in seinem Buch kritisch. „Eine allgegenwärtige Rückkehr des Religiösen seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ist in dieser Region empirisch nicht festzustellen.“ Genauso wenig gebe es ein einheitliches Muster, das den religiösen Wandel für die gesamte Region beschreibe, so der Forscher.

„Während die meisten orthodox dominierten Gesellschaften einen deutlichen religiösen Aufschwung erlebt haben, stellt sich die Situation in den mehrheitlich katholisch oder protestantisch geprägten Ländern sehr unterschiedlich dar“, schreibt Müller in seiner Studie mit dem Titel „Kirchlichkeit und Religiosität in Ostmittel- und Osteuropa“. In Ländern wie der Tschechischen Republik oder der ehemaligen DDR scheint sich der Säkularisierungsprozess seit dem politischen Umbruch nach Einschätzung des Religionssoziologen sogar noch fortgesetzt zu haben.

Internationale Bevölkerungsumfragen

Das Buch beleuchtet, welche Faktoren für das Ausmaß an Religiosität und Kirchlichkeit innerhalb der untersuchten Transformationsstaaten wie etwa Russland, Kroatien, Polen oder Slowenien eine Rolle spielen. Die Ergebnisse der empirischen Studie basieren überwiegend auf internationalen Bevölkerungsumfragen, der Autor lässt aber auch andere Religionsstatistiken sowie Strukturdaten wie etwa das Bruttoinlandsprodukt oder den Grad des religiösen Pluralismus in der Gesellschaft in seine Analysen einfließen.

Den theoretischen Rahmen der Studie bilden drei Ansätze zur Erklärung religiösen Wandels, die derzeit in der Religionssoziologie stark diskutiert werden: die Säkularisierungstheorie, die Individualisierungsthese und die Theorie des religiösen Wettbewerbs. Müllers Forschung ergab, dass eine Variante der Säkularisierungstheorie, die spezifische kulturelle und politische Entwicklungen in den Blick nimmt, am besten geeignet ist, um die Entwicklungen im religiösen Feld in Ostmittel- und Osteuropa zu erklären.

Religionssoziologe Dr. Olaf Müller ist Mitglied des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ und hat im Cluster-Projekt C21 „Die Legitimität des religiösen Pluralismus: Wahrnehmung und Akzeptanz religiöser Vielfalt in der europäischen Bevölkerung“ geforscht. (han)


Hinweis: Olaf Müller, Kirchlichkeit und Religiosität in Ostmittel- und Osteuropa. Entwicklungen – Muster – Bestimmungsgründe,Wiesbaden: Springer VS, 2013, ISBN 978-3-531-19850-7, 288 Seiten, 39,99 Euro.