UN-Sonderberichterstatter Bielefeldt sieht neue Vorbehalte gegen Religionsfreiheit – Feier zur Eröffnung der zweiten Förderphase des Exzellenzclusters
Das Recht auf Religionsfreiheit steht nach Einschätzung von UN-Sonderberichterstatter Prof. Dr. Heiner Bielefeldt zunehmend unter Druck. „Selbst in der Menschenrechtsbewegung ist gelegentlich Skepsis zu hören, ob die Religionsfreiheit nicht eher ein lästiges Hindernis auf dem Weg zu einer diskriminierungsfreien Gesellschaft sei“, sagte er am Freitagabend in Münster. „Außerdem wird der freiheitsrechtliche Kern dieses Menschenrechts in Debatten der Vereinten Nationen von manchen Staaten ins Gegenteil verkehrt.“ In Europa verbreite sich diese Haltung besonders in akademischen Kreisen. Das habe zuletzt die Beschneidungsdebatte „mit ihrem ätzenden, religionsverachtenden Tonfall“ und „ihren populistischen Beschimpfungen“ offenbart. „Neu ist, dass die Religionsfreiheit so offen hinterfragt wird.“
In unzähligen Ländern der Welt würden bis heute Menschen wegen ihrer Religion ausgegrenzt, attackiert und vertrieben und ihre Gotteshäuser zerstört, betonte der Experte. Das reiche von der christlichen Orthodoxie über islamische Staaten bis zu buddhistischen und hinduistischen Gruppen. Vor diesem Hintergrund gelte es, weiter für die Religionsfreiheit und gegen wachsende Vorbehalte zu kämpfen. „Die Religionsfreiheit ist kein Recht, das eine religiöse Weltsicht privilegiert. Sie schützt alle Menschen. Dazu gehört auch das Recht, nicht zu glauben“, sagte der UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Er sprach zur feierlichen Eröffnung der zweiten Förderphase des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ vor mehreren hundert Gästen.
Die Rektorin der Universität Münster, Prof. Dr. Ursula Nelles, hob in ihrem Grußwort hervor, Münster sei durch den Exzellenzcluster zu einem einzigartigen Standort der interdisziplinären Religionsforschung geworden. „Es trifft sich gut, dass das Spannungsfeld von Religion und Politik gerade in Münster im Zentrum der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschung steht.“ Die Friedensschlüsse von Münster und Osnabrück seien „Schlüsselereignisse nicht nur in der deutschen, sondern auch in der europäischen Geschichte“. Sie hätten das Verhältnis zwischen Religion und Verfassungsordnung auf eine neue Grundlage gestellt.
„Forschungsthema von hoher Aktualität“
Die Sprecherin des Exzellenzclusters, Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger, hob die intensive Zusammenarbeit von 200 Wissenschaftlern aus 20 Fächern im Forschungsverbund hervor. Sie habe sich in einer Fülle an Ergebnissen zum Spannungsfeld von Religion und Politik von der Antike bis heute niedergeschlagen. Der Gewinn bestehe nicht nur „für eine kleine Spezialisten-Gemeinde, sondern für die Gesellschaft allgemein, denn das Thema Religion und Politik ist von hoher Aktualität.“ Ein Beispiel sei die Beschneidungsdebatte, die alle Schwerpunkte des Exzellenzclusters berühre: Religion und Gewalt, Religion und Geschlecht, die Begründung von Normen, die Funktion von Ritualen und die Integration religiöser Minderheiten.
Mitglieder des Forschungsverbundes hätten in zahlreichen Interviews zum Thema Beschneidung ihre juristische, historische, theologische, religions- und politikwissenschaftliche Expertise eingebracht, so die Historikerin. Diese Vermittlungsarbeit leiste der Cluster auch in vielen anderen gesellschaftspolitischen Fragen, auf die es nie nur „eine einzig richtige Antwort“ gebe, sondern stets eine Vielzahl an Perspektiven. „Wenn Wissenschaftler aufhören, sich zu streiten, ist höchste Vorsicht geboten. Die Gefahr besteht im Exzellenzcluster allerdings nicht.“ Aktuelle Gesellschaftsfragen seien erst in historischer Tiefendimension und aus Sicht unterschiedlicher Fächer angemessen zu beurteilen, so Prof. Stollberg-Rilinger. „Es geht uns darum, Aufklärung zu betreiben und reflexive Distanz zur Gegenwart zu erzeugen. Nach dem Motto: Wer nur die Gegenwart kennt, kennt auch die Gegenwart nicht richtig.“
„Ängste religiöser Traditionalisten“
In seinem Festvortrag führte UN-Sonderberichterstatter Prof. Bielefeldt aus, dass die Religionsfreiheit inzwischen von zwei Seiten unter Druck stehe: neben die wachsende Zahl akademischer Religionskritiker trete die Gruppe religiöser Traditionalisten. „Die einen haben Angst vor der Religion, die anderen fürchten die Freiheit.“ Allen sei entgegenzuhalten, dass es sich bei der Religionsfreiheit um ein klassisches, international anerkanntes Menschenrecht handle. Es dürfe genauso wenig aus dem Kanon der Menschenrechte gestrichen werden wie die Versammlungs- oder Meinungsfreiheit. „Das würde das gesamte Gefüge zerstören. Eine freiheitliche Gesellschaft kann es ohne Religionsfreiheit nicht geben.“
Wer sich für die Rechte von Homosexuellen, für Gleichberechtigung oder Meinungsfreiheit einsetzt, sollte nach Meinung des Experten auch die Religionsfreiheit an Bord nehmen. Andernfalls würden religiöse Minderheiten überall auf der Welt verraten. Prof. Bielefeldt: „Die Religionsfreiheit ist kein Recht der Religionen, sondern ein Recht der Menschen.“ Es gehe nicht darum, „die Wahrheit der Religion zu schützen, sondern die freie Wahrheitssuche der Menschen“. Das müsse besonders Traditionalisten entgegengehalten werden, die nur ihre eigene Religion geschützt sehen wollten.
Die Förderdauer des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ war im Sommer 2012 im Rahmen der Exzellenzinitiative bis 2017 verlängert worden. Neue Forschungsschwerpunkte sind das Verhältnis von Religion und Geschlecht, Religion und Wirtschaft, der Einfluss der Medien auf Religion und Politik, der Umgang mit normativen Krisen sowie transkulturelle Verflechtungen in einer globalisierten Welt. (vvm/ska)