„Vorbildlicher Modernisierungsprozess“

Neue Erkenntnisse über Katholizismus und Religionsfreiheit aus dem Exzellenzcluster

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Prof. Dr. Karl Gabriel

Wissenschaftler des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Universität Münster haben neue Forschungsergebnisse über das Verhältnis von Katholizismus und Religionsfreiheit vorgelegt. „Auf dem Weg zur Anerkennung des Menschenrechts der Religionsfreiheit hat die Kirche einen tiefgreifenden Lernprozess vollzogen – von teils schroffer Ablehnung bis zur offiziellen Anerkennung“, sagte Sozialethiker Prof. Dr. Karl Gabriel am Freitag. „Die Folge: Der Katholizismus integrierte sich in die westliche Moderne, nach innen öffnete er sich unterschiedlichen theologischen Positionen.“ Das stellt nach Einschätzung des Forschers ein „eindrucksvolles Beispiel für den Modernisierungsprozess von Religionsgemeinschaften“ dar. Für Lernprozesse von Religionen könne diese Entwicklung angesichts des wachsenden religiösen Pluralismus als vorbildlich gelten.

„Gerade Prozesse, die zur Anerkennung und Förderung von Freiheitsrechten und Demokratie führen, spielen eine Schlüsselrolle für die Formen des zukünftigen Zusammenlebens in kulturell zunehmend pluralen Gesellschaften“, unterstrich der Religionssoziologe. Er untersucht das Thema im Rahmen des Cluster-Projektes C11 „Gewaltverzicht religiöser Traditionen“. Erste Ergebnisse hat er mit seinen Mitarbeitern Dr. Christian Spieß und Katja Winkler in dem Buch „Religionsfreiheit und Pluralismus“ aus dem Paderborner Verlag Schöningh veröffentlicht. Es ist der erste Band der Reihe „Katholizismus zwischen Religionsfreiheit und Gewalt“.

Die Wissenschaftler untersuchen darin die Gründe für die Wende in der kirchlichen Lehrmeinung zur Religionsfreiheit. „Der Wandel einer derart traditionsgebundenen Institution lässt sich nicht allein mit Vorgängen um das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) erklären“, so die Wissenschaftler. Entgegen der bisherigen Forschungsmeinung sei der Wechsel nicht nur auf eine bahnbrechende Intervention der US-Bischöfe auf dem Konzil zurückzuführen. „Die Gründe waren viel komplexer. Die amerikanischen Impulse fielen auf einen Boden, der durch eine Vielzahl an politischen und gesellschaftlichen Faktoren für die Anerkennung der Religionsfreiheit bereitet war.“ Dazu gehörten laut Gabriel die Erfahrungen des Nationalsozialismus und Stalinismus, die Rolle des politischen Katholizismus und Laienkatholizismus, die Kodifizierung der Menschenrechte sowie die Ausbreitung freiheitlicher Demokratien im Westen.

Charismatische Rolle des Papstes

Wichtige Impulse gaben nach Erkenntnissen der Forscher auch die charismatische Rolle von Papst Johannes XXIII. und die Dynamik des Konzils. „Außerdem zeigten Strömungen der wissenschaftlichen Theologie, die lange an den Rand gedrängt worden waren, eine positive Haltung gegenüber dem philosophischen Liberalismus und dem Menschenrecht auf Religionsfreiheit“, so der Religionssoziologe. All das habe sich in der Intervention der US-Bischöfe niedergeschlagen. „Sie war sowohl von der kirchlichen Tradition als auch vom modernen Menschenrechtsdenken inspiriert und forcierte schließlich die eindeutige Anerkennung der Religionsfreiheit durch das Konzil.“

Die Bedeutung der historischen Erfahrungen sind nicht zu unterschätzen, wie die Experten hervorheben: „Zum einen hat der Nationalsozialismus der Kirche die Notwendigkeit von Freiheitsrechten deutlich vor Augen geführt. Aber auch die Etablierung der freiheitlichen Demokratie als Gegenmodell zum Staatssozialismus hat sich positiv auf die Anerkennung von demokratischen Werten und Religionsfreiheit ausgewirkt.“ Mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 habe schließlich die Ausbreitung des Menschenrechtsethos einen Höhepunkt erreicht, so Prof. Gabriel: „Als Folge der Totalitarismus-Erfahrungen hat auch die Erklärung den Druck auf die Kirche erhöht, ebenfalls die grundlegenden Menschenrechte anzuerkennen.“ Um die ablehnende Haltung der Kirche gegenüber liberalen Menschenrechten in der Zeit zwischen der Französischen Revolution und den 1960er Jahren zu verstehen, müsse die „teilweise massive kirchen- und religionsfeindliche Haltung“ mancher Vertreter des philosophischen Liberalismus und der Politik berücksichtigt werden. „So ist die Haltung der Kirche zu einem gewissen Teil als Reaktion auf den Antikatholizismus im Zeitalter der europäischen Kulturkämpfe zu verstehen.“ (vvm)

Hinweis: Karl Gabriel, Christian Spieß, Katja Winkler (Hg.), Religionsfreiheit und religiöser Pluralismus – Entwicklungslinien eines katholischen Lernprozesses (Religionsfreiheit - Katholizismus - Gewalt, Band 1), Schöningh: Paderborn 2010.