„Kein Erbarmen mit den Gottlosen“
Alttestamentliche Kriegstexte rechtfertigten Gewalt bei Thomas Müntzer und den Täufern
Radikale Reformatoren wie Thomas Müntzer und Bernhard Rothmann haben sich in ihren theologischen Schriften immer wieder auf biblische Kriegsschilderungen bezogen, um die Anwendung von Gewalt gegen vermeintlich gottlose Herrscher zu rechtfertigen. Das sagte der evangelische Theologe Prof. Dr. Rüdiger Schmitt vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ in der Ringvorlesung „Religion und Gewalt“. „Durch den Bezug vor allem auf apokalyptische Bibelstellen kam es in der Frühen Neuzeit zu einer neuen Qualität der Sakralisierung von Kriegen“, so der Alttestamentler in seinem Vortrag „‘Yr sollet euch nit erbarmen…‘ Biblische Legitimation religiöser Gewalt bei Thomas Müntzer“.
„Biblische Kriegstexte wurden in Situationen politischer, sozialer und religiöser Konflikte benutzt, um Gewaltanwendung zu begründen und die bestehende soziale Ordnung außer Kraft zu setzen“, erläuterte der Forscher. Nachdem die Kriegstexte des Alten Testaments Aufnahme in den Kanon der Heiligen Schrift fanden, wurden sie laut Prof. Schmitt als Kriegsgesetze und kriegslegitimierende Texte gelesen. Thomas Müntzer sei hierfür ein besonders eindrucksvolles Beispiel, da er in seinen Schriften immer wieder auf alttestamentliche Kriegstexte zurückgegriffen habe. Die im Deuteronomium dargestellte Vernichtungsweihe habe er beispielsweise als unmittelbar von Gott befohlene Handlungsanweisung gelesen, die Gegner zu vernichten und kein Erbarmen mit den Gottlosen zu haben: „Müntzers Überzeugung reichte schließlich so weit, dass er den Fürsten gewaltsam die Macht nehmen und sie den Auserwählten Gottes übertragen wollte“, machte der Wissenschaftler deutlich.
Radikale Deutung durch Münsteraner Täufer
Die biblischen Darstellungen von Krieg und Glaubensabfall habe Müntzer ebenso zur Rechtfertigung von Gewalt gegen die bestehende politische Herrschaft herangezogen wie den gewaltsamen Vorgang der Landnahme Israels, so Prof. Schmitt: „In seinem apokalyptischen Selbstverständnis sah er sich selber als der berufene Gottesknecht und Prediger des göttlichen Gerichts“. Die Münsteraner Täufer haben dem Experten zufolge ihre Gegenwart schließlich noch radikaler und endzeitlicher gedeutet: „Wie Müntzer griffen die Täufer auf den Begriff des alttestamentlichen Bundes zurück und verstanden sich selbst als das wahrhafte und neue Israel. Indem das Hier und Jetzt als Anbruch der Endzeit gedeutet wurde, konnten die alttestamentlichen Kriegstraditionen auch hier zur Legitimierung und Sakralisierung eines gewaltsamen Umsturzes benutzt werden“.
Der evangelische Theologe Prof. Dr. Rüdiger Schmitt forscht im Cluster-Projekt „Sakralisierung des Krieges im Alten Testament“. In der Ringvorlesung „Religion und Gewalt. Erfahrungen aus drei Jahrtausenden Monotheismus“ sprechen Vertreter unterschiedlicher Disziplinen wie Historiker, Germanisten, Theologen und Religionswissenschaftler. Die öffentlichen Vorträge mit anschließender Diskussion finden dienstags ab 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 statt. Die Reihe ist Teil der „Dialoge zum Frieden“, für die der Exzellenzcluster in der „Allianz für Wissenschaft“ mit der Stadt Münster kooperiert.
In der nächsten Woche spricht der Historiker und katholische Theologe Dr. Andreas Pietsch vom Exzellenzcluster zum Thema „Wehrlos um Christi willen. Zur Delegitimierung von Gewalt im Täufertum“. (frö)