Lehrveranstaltungen im WiSe 2024/2025
Einführung in die germanistische Literaturwissenschaft (098003)
Mo. 16:00 - 18:00 Uhr (Johannisstr. 12-20 - Audi Max)
Die Vorlesung führt in zentrale Fragestellungen und Betrachtungsweisen der germanistischen Literaturwissenschaft ein. Sie setzt auf der Grundlage exemplarischer Texte historische wie systematische Akzente, und zwar unter besonderer Berücksichtigung des Wissenstandes von Studienanfängerinnen und -anfängern. Den Studierenden soll ein wissenschaftliches Problembewusstsein vermittelt werden, das sich wesentlich durch Offentheit für Irritationen auszeichnet. Dabei sollen sie zur selbstständigen Lektüre literarischer und literaturwissenschaftlicher Texte motiviert werden. Folgende Themenbereiche werden vorgestellt: Aspekte der Fachgeschichte, Hermeneutik als Problem (Lesen - Verstehen - Interpretieren), Literatur und Wirklichkeit, Autorschaft, Probleme der Gattungspoetik, Literaturgeschichte und Literaturgeschichtsschreibung, Literaturwissenschaft als Medienwissenschaft, Literaturwissenschaft als Kulturwissenschaft. Außerdem wird am Beispiel ausgewählter Texte ein erster Überblick über die Geschichte der deutschen Literatur vom Mittelalter bis zur Gegenwart gegeben. Am Ende des Semesters wird eine Klausur geschrieben.
Di. 14:00 - 16:00 Uhr (VSH 011)
Vor einhundert Jahren ist Franz Kafka gestorben. Derzeit 'trendet' er auf TikTok. Plötzlich gelten seine deutungsoffenen, hochgradig intertextuellen und surrealen Texte als besonders "relatable". Hier findet eine spezielle Kafka-Adaptation statt, "ein Mischmasch aus Ideen, Memes, Trends, Jugend und einem unerklärlichen Rest an Seltsamkeit" wie die FAZ schrieb. Mit Stephen Greenblatt könnte man von einer "Zirkulation sozialer Energien" sprechen, die es zu analysieren lohnen könnte; oder gilt eher Susan Sontags Diagnose von Kafka als "Opfer einer Massenvergewaltigung" (Against Interpretation, 1966)? Im Seminar wollen wir auch solchen Fragen nachgehen. Im Vordergrund aber soll der Medientransfer eines konkreten Werkes stehen, dessen Analyse und damit verbunden die Auseinandersetzung mit Theorien der Adaptation. Die Bereitschaft dazu wird ebenso vorausgesetzt wie die zur Lektüre verschiedener Primärtexte.
Marie Luise Kaschnitz (098388)
Mo. 10:00 - 12:00 Uhr (VSH 011)
Am 10. Oktober 1974 starb Marie Luise Kaschnitz – eine der bekanntesten Schrifsteller(innen) der Nachkriegszeit, Büchner-Preis-Trägerin, mit einem umfangreichen Werk (Lyrik, Prosa, Hörspiele), gegenwärtig aber seltsamer Weise fast vergessen.
Ihre Texte bilden eine Antwort auf die Gewalterfahrungen und Gefährdungen des 20. Jahrhunderts, suchen nach Identität, setzen sich mit Religion und Geschlechterproblematik auseinander und mögen gerade heute den Blick und das Ohr für "eine aufmerksamere und nachdenklichere Welt" schärfen. Denn dass Literatur das kann und soll, war Kaschnitz' Überzeugung: "Es sieht schlimm aus in der Welt, aber wie es aussehen würde ohne die jahrtausendelangen Anstrengungen der Schreibenden wissen wir nicht." (GW VII, 340)
Das Seminar wird sich also ausgewählten Texten aus ihrem Werk widmen. Lust an (sprachlichen) Entdeckungen und Enträtselungen sollte mitgebracht werden. Außerdem wird es zwei Blockveranstaltungen geben (s. unter 'Bemerkung'), die Termine sind dafür bitte freizuhalten.
Das Seminar wird teilweise in Blockveranstaltung stattfinden. Die Termine sind: 8.-9.11.24 sowie 29.-30.11.24
Wilhelm Raabe: Postkoloniale Lektüren (098338)
Mo. 14:00 - 16:00 (VSH 07)
"Das Exotische ist die Formel, unter der der Mensch die Welt zu sehen wünscht. Der deutsche Spießbürger aber ist ein Exotisches für den Pariser und umgekehrt." Dieser treffende Aphorismus stammt von Wilhelm Raabe, der als ein zentraler Vertreter des deutschen Realismus gilt. In den letzten Jahren hat die Forschung Raabes Werk als Erprobungsfeld postkolonialer Lektüren entdeckt: Raabes Prosa ist dem zeitgenössischen Kolonialismusdiskurs verpflichtet und führt zugleich die exotischen Vorstellungen seiner Figuren als mentalitätsgeschichtliche Stereotype vor, die mehr über die eigene als über die fremde Gesellschaft aussagen.
Das Seminar wird drei Ziele verfolgen: Erstens wird es sich mit Raabes Realismusbegriff auseinandersetzen, zweitens an einigen ausgewählten Texten postkoloniale Lektüreansätze erproben sowie dabei drittens exemplarisch narrative Strukturen und Dramaturgie analysieren.
In den Semesterferien sollten folgende Romane unbedingt gelesen werden: "Abu Telfan oder die Heimkehr von Mondgebirge" (1867), "Stopfkuchen" (1891); des Weiteren wird voraussichtlich Gegenstand des Seminars sein: Raabes Erzählung "Sankt Thomas" (1866) und der Roman "Meister Autor oder Die Geschichten vom versunkenen Garten" (1873).