Betreute Arbeiten

  • Abgeschlossen

    • Kigle, Martina (2022): Figure M. Eine umgekehrte Geschichte der Postmoderne. Wien: Passagen Verlag.

      Martina Kigle holt die Künstlerische Forschung an die Universität. Mit der Verbindung von wissenschaftlichem Arbeiten und fiktionaler Erzählung übt sie Kritik an einer Geisteswissenschaft, die zwar mit Kanonkenntnis und Diskursdisziplin beeindruckt, dabei aber gerne so tut, als ereigne sich Realität irgendwo da draußen.

      W. hat ein Problem: Er weiß nicht weiter. Und das ist er nicht gewohnt, denn bislang war auf sein Wissen stets Verlass. Er grübelt und grübelt. Was soll W. wie Wissen sonst tun? „Wenn W. für Wissen steht“, überlegt er, „ist dann nicht M. das umgekehrte Wissen?!“Mit der Suche nach dem umgekehrten Wissen ist auch die Bewegung der Arbeit vollzogen: Als Figur in den Theorien von Marx und Derrida zeigt die Umkehrung deutlich, dass die Grenzen zwischen rationaler Argumentation und Erfindung, Sachlichkeit und Rhetorik, Intentionen der Kritik und Eigendynamik der S(pr)ache fließend sind. Ihren Anspruch auf reine Rationalität kann die Wissenschaft nicht halten. Von der Grashalm rauchenden Cyborg über das doppelzüngige Orakel hin zur Geister- und Gedankenbeschwörerin mit Pfeife experimentiert M. deshalb im Laufe des Textes mit vielfältigen Wissensfiguren. „Weißt du, was ich mache mit Erwartungen?“, fragt sie den verdutzten W. „Ich enttäusche sie. Alle.“

      Meischen, Gerold (2022): Die narrative Prosa Max Herrmann-Neißes in seiner Berliner Phase (1912-1933): literarische Verfahren im Spiegel kulturhistorischer Parameter. Lehmans Media GmbH.

      Wer war Max Herrmann-Neiße (1886-1941)? So sehr die Frage heute berechtigt erscheint, so wenig stellte sie sich während der Weimarer Republik, konnte der aus Schlesien nach Berlin übergesiedelte Schriftsteller doch als gut vernetzter Lyriker, Erzähler, Dramatiker und Kritiker auf eine positive Reputation verweisen. Die politische Gegnerschaft zum NS-Staat zwang ihn, Deutschland 1933 zu verlassen und - seiner literarischen und gesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten beraubt - im Londoner Exil zunehmend zu vereinsamen. Die vorliegende Bearbeitung konzentriert sich auf die Analyse der narrativen Prosa Max Herrmann-Neißes, der in seinen Texten einen literarischen Blick hinter die Kulissen einer vermeintlichen Bürger-Souveränität wirft. Dabei zielt der Autor auf eine satirische Desavouierung des kniefällig-devoten Kleinbürgers in seiner Anbetung des autoritären Obrigkeitsstaates. Im Gegensatz zu manch politischem Roman entwirft Max Herrmann-Neiße aber keine identifikationsfähigen Helden, sondern eher Strauchelnde, sozial Marginalisierte, die angesichts der Verwerfungen der Moderne den Halt verlieren. Der Autor bleibt dabei dem ästhetischen Leitprinzip verhaftet und hofft auf einen Erkenntnisschub des Rezipienten, der das auf der Handlungsebene Wahrgenommene gedanklich autonom reflektiert und perspektivisch verarbeitet.

      Seidel, Anna (2022): Retroaktive Avantgarde. Manifeste des Diskurspop. Göttingen: V&R.

      Etwa 100 Jahre nach dem ersten futuristischen Manifest, das den Auftakt für eine ganze Reihe avantgardistischer Programmschriften bedeutete, bedienen sich deutschsprachige Pop-Gruppen wie Tocotronic, Locas In Love und Ja, Panik erneut der Textsorte. Titel wie »Kapitulation« und »The Angst and the Money« lassen schon erahnen, dass es sich hierbei kaum um selbstbewusste Kampfansagen handelt, wie es »Musik ist eine Waffe!« von Ton Steine Scherben noch war. Die Diskurspopgruppen verorten sich mit ihren Manifesten zwischen Kampf und Verweigerung, Innovation und Retromanie, Pop und Politik, Ästhetik und Verkrampfung, Kapitalismuskritik und Business. In kulturpoetischen Analysen wird ein breites Archiv an Pop-Manifesten mitsamt ihren Kontexten in dieser Fülle zum ersten Mal überhaupt erschlossen.

      Pabst, Philipp (2022): Die Bedeutung des Populären. Kulturpoetische Studien zu Benn, Böll und Andersch. 1949–1959. Berlin/Boston: de Gruyter.


      Welche Funktionen haben etwa der Schauspieler James Dean, die Zeitschrift Reader’s Digest oder eine Werbeanzeige für Persil in Gottfried Benns später Lyrik, in Heinrich Bölls Kriegsprosa sowie in Alfred Anderschs Rundfunkarbeiten?
      Dem Populären der 1950er Jahre wurde von literaturwissenschaftlicher Seite bislang allenfalls sporadische Aufmerksamkeit geschenkt, systematisch hat man seine Rolle für die Literatur der Zeit kaum befragt. Die Untersuchung profi liert das Populäre als einen neuralgischen Punkt der Literatur der frühen Bundesrepublik. Einerseits wird es von den literarischen Texten vielseitig produktiv gemacht, andererseits stellt seine Banalität ein eminentes Problem dar. Auf diese Weise lässt sich eine Literatur des Bedeutsamen in den Blick nehmen, die aus dem reichhaltigen Reservoir populärer Kultur schöpft.

      Kholiavka, Sergii (2020): Zwei Wege der literarischen Moderne: Das metonymische Verfahren und die Lesbarkeit anhand von Carl Einsteins 'Bebuquin' und Thomas Manns 'Doktor Faustus'. Dortmund: readbox unipress.


      Die Arbeit verfolgt ein systematisches Projekt: Sie will in der deutschen Erzählliteratur der literarischen Moderne zwei Schreibweisen anhand ihrer Lesbarkeit unterscheiden und zugleich einschlägige Theorien der Lesbarkeit anhand der Analyse zweier typischer Erzähltexte der Moderne überprüfen. Es wird die These zugrunde gelegt, dass die avantgardistische experimentelle Prosa ihre Handlung verunklart oder ganz suspendiert. Dieses allgemeine Verfahren der Verunklarung der Handlung wird mithilfe spezieller Verfahren realisiert. Aufgrund der Spürbarkeit der Handlung werden in der literarischen Moderne drei Gruppen von Texten unterschieden, von denen zwei genauer betrachtet werden. Carl Einsteins 'Bebuquin' und Thomas Manns 'Doktor Faustus' stehen jeweils exemplarisch für diese beiden Textgruppen. Aufbauend auf der Theorie der Lesbarkeit von Roland Barthes wird der Unterschied der Darstellungsweisen von 'Bebuquin' und 'Doktor Faustus' nicht auf der Ebene der Lesbarkeit, sondern auf der Ebene der Lektüre behauptet.

      Schneider, Jens Ole (2020): Aporetische Moderne. Monistische Anthropologie und poetische Skepsis 1890–1910. Frankfurt a. M.: Vittorio Klostermann.

      Monistische Anthropologien liegen um 1900 hoch im Kurs. Gegen die platonisch-christliche Tradition definieren viele Intellektuelle der Jahrhundertwende den Menschen nicht länger als Dualität von Körper und Geist, sondern konzipieren ihn als transzendenzlosen ›Leib ganz und gar‹. Die Studie arbeitet die antidualistischen Gemeinsamkeiten in der Philosophie, Psychologie und Medizin um 1900 heraus, diskutiert aber auch die Probleme, in die sich Intellektuelle mit ihrer Entscheidung für die Immanenz verstricken. In einem zweiten Schritt zeigt die Arbeit, dass um 1900 gerade im Medium Literatur eine besondere Sensibilität für die Probleme des Monismus herausgebildet wird. Im Rahmen differenzierter Einzeluntersuchungen zu Texten Hugo von Hofmannsthals, Robert Musils und Thomas Manns wird das literarische Paradigma einer aporetischen Moderne herausgestellt, die sich von einer leibemphatischen Moderne durch eine dezidiert poetische Skepsis unterscheidet.

      9783110661798
      © De Gruyter

      Trapp, Franziska (2020): Lektüren des Zeitgenössischen Zirkus. Ein Modell zur text-kontext-orientierten Aufführungsanalyse. Berlin/Boston: De Gruyter.

      Im Jahr 1996 prophezeit die Pariser Zeitung Libération nach dem Besuch der Performance Le Cri du Chaméléon eine dritte Ära des Zirkus: den Zeitgenössischen Zirkus. Die Prognose wird Realität: Nicht nur in Frankreich, sondern auch international gilt das Stück des Regisseurs Joseph Nadj als Startpunkt eines neuen Genres, das aktuell in den Fokus verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen gerät. – Ein Modell zur kohärenten Aufführungsanalyse der Darbietungen steht jedoch bis heute nicht zur Verfügung.Diesem Desiderat trägt "Lektüren des Zeitgenössischen Zirkus" Rechnung und entwickelt erstmals in Rückgriff auf die Lektüretheorien der Literatur-, Theater- und Tanzwissenschaft eine Methodik zur Analyse von zeitgenössischen Zirkusdarbietungen. Darüber hinaus dokumentiert und interpretiert der Band das Genre durch eine methodisch dichte, d.h. kontextualisierende Beschreibung des Gegenstandes – der Aufführung – dezidiert in seinem historisch-kulturellen Kontext und liefert damit im Sinne Lessings eine rezeptionsästhetische Dramaturgie des Zeitgenössischen Zirkus, die trotz der Diversität der Aufführungen generalisierbare Merkmale, das grundlegende Verfahren und die Bau- und Wirkungsweise der Stücke offenlegt.

      Torsten Leine
      © DeGruyter

      Leine, Torsten (2018): Magischer Realismus als Verfahren der späten Moderne: Paradoxien einer Poetik der Mitte. Berlin/Boston: DeGruyter.

      Die Texte des deutschen Magischen Realismus werden in der literaturwissenschaftlichen Forschung zumeist entweder als (kuriose) Einzeltexte behandelt oder als Teil größerer literarischer Entwicklungen der Zwischenkriegszeit betrachtet (Moderne Klassik, Synthetische Moderne). Diese Studie weist den (Erzähl-)Texten des Magischen Realismus erstmals einen konkreten literaturgeschichtlichen Ort zu, indem gezeigt wird, wie sich die neue literarische Schreibweise ab 1920 als ein nachexpressionistisches Phänomen entwickelt. Im Zentrum der programmatischen und literarischen Texte steht dabei nicht die Auseinandersetzung mit der Neuen Sachlichkeit. Vielmehr entwerfen die magisch-realistischen Texte eine Poetik der Mitte, die darauf abzielt, konträre literarische Schreibweisen (Realismus, Expressionismus) zu integrieren und gegensätzliche weltanschauliche Positionen der Moderne zu vermitteln. Die Studie führt dabei überzeugend vor Augen, in welche Paradoxien und Aporien die ‚Poetik der Mitte‘ in den untersuchten Texten führt, und demonstriert gleichzeitig die Kontinuität des magisch-realistischen Modells, das bis 1960 wirksam bleibt und sich so als durchlässig gegenüber klassischen literaturgeschichtlichen Zäsuren erweist.

      Lena Hoffmann
      © Chronos

      Hoffmann, Lena (2018): Crossover: Mehrfachadressierung in Text, Markt und Diskurs. Zürich: Chronos.

      Harry Potter, Edward Cullen, Katniss Everdeen – so heißen die literarischen Heldinnen und Helden unserer Zeit. Die internationale Buchbranche bringt seit Rowlings Romanreihe immer mehr Romane heraus, die ein erwachsenes Publikum ebenso ansprechen sollen wie Kinder und Jugendliche. Warum werden bestimmte Texte von unterschiedlichen Generationen gelesen? Ist diese Rezeption in den Texten angelegt oder wird sie über den Markt gesteuert?
      In komparatistischen Analysen werden Verfahren aufgeschlüsselt, die Texte an ein altersdiverses Publikum adressieren. Dabei wird eine Tradition nachgezeichnet – von «The Adventures of Tom Sawyer» (1876) und «Treasure Island» (1883) über «Krabat» (1971) und «Die unendliche Geschichte» (1976) bis hin zu «The Book Thief» (2005) und «Tschick» (2010). Im Zentrum der Verschränkung von Diskurs, Markt und Text entstand ein literarisches Phänomen, das veränderte Konzepte von Alter ebenso abbildet wie formt und das mit «Harry Potter» seinen bisherigen Erfolgshöhepunkt erlebte.

      Agethen, Matthias (2017): Vergemeinschaftung, Modernisierung, Verausgabung. Nationalökonomie und Erzählliteratur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Göttingen: V&R.

      Das Ökonomische spielt für das Selbstverständnis der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts eine herausragende Rolle. In Deutschland entwickelt sich die Wirtschaftswissenschaft ausdrücklich als Volkswirtschaftslehre. Ihr Narrativ von der nationalökonomischen Vereinigung zu einer emphatischen Gemeinschaft der Werte ist mit den fiktionalen Erzählungen der Zeit, d. h. also mit der Literaturgeschichte, eng verwoben. Die Zeit- und Gesellschaftsromane des Realismus und des Naturalismus sind stark von ökonomischen Themen und Figuren geprägt. Einerseits affirmieren und idealisieren sie die bürgerliche Gesellschaft und ihr ökonomisches Weltbild, andererseits problematisieren sie dieses auch und stellen seine Widersprüche und Ambivalenzen dar. Die Arbeit rekonstruiert die gemeinsame Entwicklungsgeschichte von Erzählliteratur und Nationalökonomie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aus ihrem Verhältnis gehen besondere diskurs- und literaturgeschichtliche Bedingungen hervor, die in den Konstituierungsprozess der Moderne um 1900 eingehen.

      Stefan Tetzlaff
      © DeGruyter

      Tetzlaff, Stefan (2016): Heterotopie. Zur Konstruktion anderer Räume als Textverfahren in Romantik und Realismus. Berlin/Boston: De Gruyter.

      Im Zuge des sozial- und kulturwissenschaftlichen 'spatial turn' rückt die Frage nach Raumkonstellationen auch in den Mittelpunkt literaturwissenschaftlichen Interesses. Prominentes Beispiel ist Michel FOUCAULTS Konzept der Heterotopie, das sich solchen Räumen innerhalb einer Gesellschaft zuwendet, die durch ihre besondere Funktion außerhalb des Ordnungsgefüges des Normalraums liegen. Bibliotheken als Ballungen von Wissen und Zeit erweisen sich als ebenso heterotop wie Hospitäler und Altenheime als Orte des Schutzes oder Gefängnisse als solche der Auslagerung. Das Modell des heterotopen Raums dient in der Literaturwissenschaft zwar immer häufiger als topoanalytischer Angelpunkt, bleibt jedoch mit der Suche nach den von FOUCAULT beschriebenen Räumen in literarischen Texten im Bereich der Motivforschung.
      An der Epochenschwelle von Romantik und Realismus soll ein genuin literaturwissenschaftlicher Heterotopie-Begriff erarbeitet und der heterotope Raum als motivunabhängiges Verfahren literarischer Texte gezeigt werden, das auch trotz kategorialer Verschiedenheit wie der von romantischen respektive realistischen Schreibweisen über konstante Aspekte beschreibbar und für die Analyse literarischer Texte nutzbar gemacht werden kann.

      Till Huber
      © V&R

      Huber, Till (2016): Blumfeld und die Hamburger Schule. Sekundarität – Intertextualität – Diskurspop. Göttingen: V&R.

      Die Zuschreibung "Diskurs-Pop" verweist auf eine besonders ausgeprägte Form von "Sekundarität" (Diedrich Diederichsen) innerhalb der deutschsprachigen Popmusik: Speisen sich popästhetische Artefakte seit ihrem Bestehen immer schon auspräfabriziertem Zeichenmaterial, wird dieses nicht-originäre Verfahren bei den sogenannten Hamburger Schule-Bands (Blumfeld, Die Sterne, Tocotronic) in Form von intertextueller Verdichtung und Markierung/Reflexion der Differenz zur angloamerikanischen Popkultur offen ausgestellt. Untersucht wird dabei ein spezifisches lyrisches Ich, das als Diskursknotenpunkt fungiert, um sich in der Kultur der 1990er Jahre zu positionieren und sich so überhaupt erst (intertextuell) zu konstituieren.

      Michael K _nig
      © transcript

      König, Michael (2015): Poetik des Terrors. Politisch motivierte Gewalt in deutscher Gegenwartsliteratur. Bielefeld: transcript.

      Religiöse Selbstmordattentäter machen uns sprachlos. Wie aus dem Nichts tauchen sie auf, scheinbar geistesgestörte, selbstherrliche Einzeltäter, die viele mit in den Tod reißen und sich am Ende selbst richten. Kulturelle Erklärungsmuster und biographische Analysen schlagen fehl. Die Frage, wie einer zum Terroristen wird, scheint nicht beantwortbar. Michael König untersucht Romane, Thriller und biographische Erinnerungen, in denen deutsche Gegenwartsautoren versuchen, dem undurchdringlichen Phänomen und seinen Urhebern näher zu kommen. Ergänzend zur literaturwissenschaftlichen Analyse berichten zehn Autorinnen und Autoren - unter ihnen Ulrike Draesner, Sherko Fatah, Gerhard Seyfried, Ulrich Peltzer und Michael Wildenhain - in Interviews über ihre Probleme beim Schreiben über Terroristen und den erzeugten Terror. Sie kennzeichnen ihre eigenen Texte als engagierte Literatur, die im Zuge von weltumspannenden Überwachungsmethoden und einer zunehmenden Beschneidung von Bürgerrechten wieder dezidiert politisch geworden ist. Gegen mediale Generalisierungen rücken sie das Individuum in den Mittelpunkt der literarischen Betrachtung. Denn Attentäter und Terroristen sind am Ende keine »Monster« oder »Gespenster«, sondern Menschen.

      Anna Katharina Knaup
      © transcript

      Knaup, Anna Katharina (2015): Der Männerroman. Ein neues Genre der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Bielefeld: transcript.

      Männlichkeit ist ein modifizierbares Bündel kultureller Maximen, das immer mal wieder neu verhandelt wird. In der Gegenwartsliteratur hat die Beschäftigung mit dem, was derzeit als männlich gilt, dabei sogar zur Genese eines neuen Genres geführt: dem Männerroman. Seit Erscheinen von Tommy Jauds 'Vollidiot' im Jahr 2004 ist er zum festen Bestandteil deutscher Bestsellerlisten geworden. In der Forschung wurde er bisher jedoch noch nicht beschrieben. Anna Katharina Knaup schließt diese Forschungslücke, indem sie etwa Abgrenzungen zum Pop- oder Frauenroman sucht und den literarischen Traditionen des Männerromans nachgeht. Es entsteht das reichhaltige Bild eines Genres, das sich (nicht nur) zwischen Ratgeber und Comedy bewegt.

      Maria Horsthemke
      © Winter

      Horsthemke, Maria (2015): "...une manière analogue de déformer le temps". Simultaneität und Totalität bei Carl Einstein und Marcel Proust. Heidelberg: Winter.

      In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts findet in der europäischen Kunst ein Paradigmenwechsel statt, der u.a. durch ein neues wissenschaftliches Weltbild ausgelöst wird. Auf dem Hintergrund der nichteuklidischen Geometrien und der psychophysischen Wahrnehmungs­lehren erweist sich vor allem der Kubismus als neues künstlerisches Paradigma, dessen Konzeption das Gedächtnis als zentrale Instanz begreift. Mit seiner These des kubistischen Simultanés postuliert Carl Einstein eine Auffassung von Simultaneität, in der die Zeit als Prozess eliminiert wird, während er unter einem anderen Aspekt das Gedächtnis als tendenziell unbegrenzten Erinnerungsraum definiert. Aufhebung der Zeit als Prozess und Totalität der assoziativen Erinnerung sind auch die Kriterien, in denen sich die Struktur von Marcel Prousts À la recherche du temps konstituiert. Proust entwickelt in seinem Werk eine Form des Romans, in der die Funktionen des Gedächtnisses, Simultaneität als Synthese heterogener Prozesse und Ubiquität der assoziativen Erinnerung zum Modus des Schreibens bestimmt werden. Während Einstein seine Gedanken vorwiegend als theoretische Konzeptionen entwirft, denen eine literarische Praxis zu folgen hätte, entsteht Prousts Roman primär unter philosophischen und narratologischen Aspekten, deren wahrnehmungstheoretische Fundierung erst durch die Rezeption sichtbar wird.

      Christian Rakow
      © DeGruyter

      Rakow, Christian (2013): Die Ökonomien des Realismus. Kulturpoetische Untersuchungen zur Literatur und Volkswirtschaftslehre 1850-1900. Berlin/Boston: De Gruyter.

      Kulturelles Wissen, über das Literatur lesbar wird, ist nicht auf Handbuchgröße zu haben. Man muss schon tief in konkrete diskursive Manifestationen einsteigen, muss die Konnotationen von Begriffen prüfen und die verästelten Verweiszusammenhänge zwischen Aussagen aufspüren, um einen genauen Eindruck davon zu bekommen, wie sich künstlerische Werke aus den Kontexten ihrer Zeit speisen. Ebendies unternimmt meine Studie zur realistischen Diskurslage in Wirtschaft und Literatur zwischen 1850 und 1900. --- Es galt in der Forschung lange Zeit als ausgemacht, dass sich die Literatur dieses Realismus in Deutschland durch Diskursarmut auszeichnet und sich in wirtschaftlichen Fragen des aufkommenden Kapitalismus regelrecht eskapistisch wegduckt. Diese These, die durch eine marxistische Kritik des bürgerlichen Selbstverständnisses befeuert wurde, blendet dabei das spezifische Diskursdesign der seinerzeit herrschenden Ökonomie in Deutschland aus. Es ist eine Wirtschaftsauffassung, die historistisch, institutionalistisch und ordnungspolitisch argumentiert und im Ganzen eine dezidiert antisystemische Alternative zu marktwirtschaftlichen Lehren in der Tradition von Adam Smith abgeben will. Ihre sozialwissenschaftliche Orientierung beeinflusst die deutsche Ökonomie bis ins 20. Jahrhundert hinein. Um die kulturelle Sättigung der realistischen Literatur hinsichtlich ihres wirtschaftlichen Wissens einzuschätzen, muss man diesen »realistischen« Diskurs der deutschen Nationalökonomie ins Zentrum stellen. --- Meine Studie kommt in eingehenden »close readings« exemplarischer nationalökonomischer und belletristischer Werke nach 1850 zu einer Neubewertung des Text-Kontext-Verhältnisses zwischen Ökonomie und Literatur im Realismus und gibt dabei eine Poetologie des Realismus im Ganzen. Mit durchweg literaturwissenschaftlichem Analysebesteck werden die Schreibweisen beider Diskurse untersucht und ihre übergreifenden Figurationen als »realistische Diskursivität« herausgestellt. Volkswirtschaftliche Werke von Wilhelm Roscher und Gustav Schmoller erfahren eine poetologisch genaue Würdigung und werden von den systemischen Ansätzen eines Carl Menger und Karl Marx abgegrenzt. Das Wirtschafts- und Sozialdenken der Literatur wird vor allem an Prosawerken von Wilhelm Raabe, Gottfried Keller, Gustav Freytag, Friedrich Hackländer und Friedrich Spielhagen analysiert. In der Tradition neohistoristischer Kulturwissenschaft, die sowohl das ökonomische Wissen der Literatur als auch die Literarizität der Ökonomie in den Fokus nimmt, gibt die Studie ein detailliertes Bildnis der realistischen Diskursivität zwischen 1850 und 1900 in Deutschland.

      Boris Hoge
      © Winter

      Hoge, Boris (2013): Schreiben über Russland. Die Konstruktion von Raum, Geschichte und kultureller Identität in deutschen Erzähltexten seit 1989. Heidelberg: Winter.

      In der deutschen Roman- und Reiseliteratur seit 1989 finden sich zahlreiche Bezugnahmen auf Russland und seine Bewohner. Die vorliegende Studie rückt Formen des gegenwärtigen Schreibens über Russland ins Zentrum des Interesses. Die Beschäftigung mit dem ‚Bild vom anderen Land’ stellt dabei lediglich die Voraussetzung dar für die weiterführende Frage nach dem spezifischen Beitrag literarischer Texte zu einem russlandbezogenen Gesamtdiskurs. Denn Literatur, so die Kernthese des Verfassers, transportiert nicht einfach Bilder des Fremden und Anderen. Vielmehr werden innerhalb eines Werkes die Konstruiertheit und Funktionalität, die Bedingungen, Motive und Mechanismen literarischer Russlandwahrnehmung und -konstituierung immer wieder selbst Gegenstand der Darstellung. Das metakonstruktive Potential literarischer Texte ist beträchtlich. Es vermag sich implizit oder explizit, entsprechend oder entgegen einer möglichen Autor- oder Textintention zu entfalten. Gerade die Fokussierung auf metakonstruktive Textverfahren unterschiedlicher Ausprägung führt schließlich zur Erkenntnis: Noch die scheinbar bornierteste Festschreibung von Fremd- und Eigenbildern im Medium der Literatur vermag entscheidend zur Auflösung derselben beizutragen.

      Brahim Moussa
      © Aisthesis

      Moussa, Brahim (2012): Heterotopien im poetischen Realismus. Andere Räume, Andere Texte. Bielefeld: Aisthesis.

      Realistische Raumillusion bildet insofern einen Eckstein in der realistischen Literatur, als der kontige Bau der erzählten Welt nicht zuletzt durch die Aufrechterhaltung der denotativen Funktion räumlicher Zeichen begünstigt wird. Doch bei genauer Beobachtung räumlicher Strukturen in Texten des poetischen Realismus stechen andere Räume hervor, deren Komponenten anders als Referenzräume nicht einer substitutiven ökonomischen Struktur folgen. Es geht um Heterotopien, die besonders in Texten Wilhelm Raabes und Adalbert Stifters das Verfahren realistischen Erzählens unterminieren. Diese Räume zeugen von einer Dichte des Zeichenarsenals, bei der primäre Referenzen überboten werden. Die Arbeit legt den Fokus auf diese in einer realistischen Diegese verstörenden Räumlichkeiten und unterzieht ihre destabilisierenden Faktoren einer Analyse.

      Dennis Herold
      © Tectum

      Herold, Denis (2012): "Im Zeitalter der Sachlichkeit muß man romantisch sein, das ist der Trick." Formen und Funktionen der Neuen Sachlichkeit in Erich Maria Remarques Romanen. Marburg: Tectum.

      Nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges distanzierte sich ein großer Teil der Schriftsteller und bildenden Künstler vom Expressionismus. Man misstraute jeglichem Pathos und wandte sich einer sachlichen Darstellungsweise zu, welche die Wirklichkeit betont nüchtern und rationalistisch erfassen sollte. Häufig wird das (frühe) Romanwerk von Erich Maria Remarque ohne kritische Prüfung der Literatur dieser Neuen Sachlichkeit zugeordnet. Überhaupt widmet die Literaturwissenschaft dem Schriftsteller relativ wenig Aufmerksamkeit, was verwundert – war doch sein Opus magnum „Im Westen nichts Neues“ (1929) das erfolgreichste deutschsprachige Buch des letzten Jahrhunderts.
      Denis Herold zeigt, in welcher Form und mit welcher Funktion Remarque konkret einen neusachlichen Stil einsetzt. Außerdem werden seine Romane in den Kontext exemplarischer Bücher neusachlicher Autoren gerückt und die Entwicklung des poetischen Verfahrens im Verlauf seines Romanwerkes betrachtet.

      Christoph Kleinschmidt
      © Transcript

      Kleinschmidt, Christoph (2010): Intermaterialität. Zum Verhältnis von Schrift, Bild, Film und Bühne im Expressionismus. Bielefeld: transcript.

      Wie in kaum einem anderen Zeitraum der Kulturgeschichte vollzieht sich im Expressionismus ein bemerkenswertes Zusammenspiel der verschiedenen Künste. Ob Bilder, Zeichnungen und Drucke in zahlreichen Buch- oder Zeitschriftenillustrationen, ob Bildkulissen und Schrift im neuen Medium (Stumm-)Film oder der ‚Kinostil‘ in Gedichten, Kinostücken und Erzählprosa, ob Klang- und Farbelemente im Theater oder Engführungen von Musik und Malerei – die unter dem Signum des Expressionismus stehenden Jahre zwischen 1910 und 1925 bieten eine Fülle von ästhetischen Programmen und künstlerischen Produktionen, die in vorher nicht gekanntem Ausmaß die Kombinationsmöglichkeiten der Künste ausloten. Mit meiner Studie sind diese Bezüge im Hinblick auf das Verhältnis von Schrift, Bild, Film und Bühne erstmals umfassend und vergleichend analysiert. Eines der wichtigsten Ergebnisse stellt dabei die Beobachtung dar, dass für den Expressionismus gerade die Bezugnahme auf das Material einer Kunst kennzeichnend ist. Zwar ist die Annäherung der Künste keine Erfindung des Expressionismus, für ihn charakteristisch ist jedoch ein Umstand, der genuin das 20. Jahrhundert auszeichnet: die Wende zur Abstraktion. Mit der Absage an Referenz- und Abbildfunktion geht eine Konzentration auf die eigenen technischen, materialen Bedingtheiten der Künste einher, die wiederum Voraussetzung ist für das Experimentieren mit den Materialien anderer Kunstformen. Vor diesem Hintergrund erschließt meine Dissertation mit den intermaterialen Kunstproduktionen einen neuen Typ intermedialer Relationen: einerseits historisch – im Hinblick auf sein Vorkommen im Expressionismus – und andererseits systematisch, indem die Intermedialitätsforschung um die Kategorie der Intermaterialität erweitert und differenziert wird.

  • Abgeschlossen, noch nicht publiziert

    • Arasteh-Roodsary, Sona: Kulturkritik erzählen. Populismus, Ideologie und Ästhetizismus in kulturkritischer Erzählprosa der Moderne (1885-1910).

      Guðmundsdóttir, Sólveig: Subversive Esotericism and Aesthetic Radicalism. The Myths and Rituals of Viennese Actionism.

      Sanchino Martinez, Esteban: Pumping Blood – Drastik als kulturelles Paradigma der Populärkultur.

      Abstract: Das Dissertationsvorhaben möchte in Anlehnung an Dietmar Daths "Die salzweißen Augen. Vierzehn Briefe über Drastik und Deutlichkeit" analytisch zu einer Ästhetik popkultureller Drastik vordringen. Durch die Verknüpfung von kulturpoetisch-textualistischen und kultursoziologischen Theoremen soll Drastik als ein ästhetisches Grundprinzip einsichtig gemacht werden, das von konventionellen Genregrenzen nicht festgelegt ist. Drastik als Stilprinzip ist konstitutiv für eine Reihe postmoderner, kulturindustrieller Produkte, die einerseits zwar der Popkultur angehören, andererseits in den meisten Theorien zur Popkultur nur unzureichend mitgedacht werden. Im Mittelpunkt der Analyse stehen transmediale Werke, die als massenwirksame und zugleich gesellschaftspolitisch höchst umstrittene Paradigmen drastischer Kunst gelten können, wie etwa Bret Easton Ellis' American Psycho, Lucio Fulcis Splatterfilme und Songtexte aus dem Bereich des Heavy Metal.

      Shraim, Iyad: Der Klon-Mensch im deutschen und arabischen Roman. Ein interdiskursiver Vergleich.

      Abstract: In der vorliegenden Dissertation wird das argumentative Verhältnis zwischen Literatur und weiteren Spezialdiskursen über das Motiv des geklonten Menschen unter Berücksichtigung von Interdiskursanalyse untersucht. Als Grundlagetexte dienen ausgewählte deutsche und arabische Romane, die das Klonen von Menschen aus verschiedenen Perspektiven thematisieren. Diskursive Positionen und Kollektivsymbolik sollen aus der literarischen Texten, die durch diverse Erzählstrategien und kontroverse Argumentationsmodelle gekennzeichnet sind, herausgearbeitet, klassifiziert und mit ihren Entsprechungen in der jeweils anderen Literatur verglichen werden. Darüber hinaus werden die Besonderheiten der Literatur und ihr Beitrag zur aktuellen Klon-Debatte gegenüber anderen Diskursen hervorgehoben. Eine erste Beobachtung lässt erkennen, dass deutsche und arabische Romane die in den spezialisierten Diskursen überwiegend ablehnende Haltung in Bezug auf das auf Menschen zu übertragende Klonverfahren und dessen Folgen teilen.

  • Im Entstehen

    • Ilic, Ana: Sorge um den Nachwuchs – Die Jugend bei der Musterung in der Literatur der Frühen Moderne.

      Horn, Melanie: Die Verwendung von Popmusik in der Markenwerbung.

      Müller, Konrad: Präsenzbegehren und Erinnerung. Philosophischer Diskurs und literarische Verfahren zwischen Realismus und emphatischer Moderne.

      Abstract: Der philosophische Diskurs um 1900 ist in hohem Maße von einem Begehren nach Präsenz geprägt. Am Übergang vom Unmittelbarkeit scheuenden realistischen Dispositiv zur emphatischen Moderne bringt auch und gerade die vielfältige Erinnerungsliteratur jener Zeit das Begehren in spannungsvoller Weise zum Ausdruck. Meine Untersuchung fokussiert die erzählende Erinnerungsliteratur dieser Zeit unter dem Gesichtspunkt ihrer Verfahren und liest sie in Beziehung zum philosophischen Präsenzdiskurs als Bestandteil derselben Kultur. Sie versteht sich sowohl als Beitrag zur aktuellen literaturwissenschaftlichen Präsenzforschung als auch als literaturgeschichtlicher Beitrag zu literarischen Verfahren um die Jahrhundertwende.

      Scheerer, Katharina: Zum Verhältnis von expressionistischer Prosa und fantastischer Unterhaltungsliteratur. [Arbeitstitel]

      Abstract: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebt die deutschsprachige fantastische Literatur einen ersten Höhepunkt. Dieser schlägt sich vor allem in der sogenannten ‚Unterhaltungsliteratur‘, aber auch bei den hochliterarischen Avantgarden nieder. Autoren wie Hans Dominik, Carl Grunert, Kurd Laßwitz und Friedrich Wilhelm Mader publizieren eine Vielzahl von Texten in Knaben- und Groschenromanen, die Motive wie Kontakte mit anderen Planeten, kosmische Katastrophen und technisch-utopische Fantasien aufweisen. Aber auch die hochliterarischen Avantgarden, wie die Expressionist*innen, veröffentlichen fantastische Texte. Es entsteht eine umfangreiche und qualitativ heterogene Landschaft von utopischen und dystopischen Zukunftsromanen, Abenteuer- und technisch-politischer Prosa. Obwohl die expressionistische Kunstströmung die Form künstlerischer Darstellung radikal erneuern will, greifen Autoren wie Paul Scheerbart oder Alfred Döblin im Bereich der Fantastik Topoi der Genre-Literatur wie das Leben auf fernen Planeten (vgl. Lesabéndio und Berge Meere und Giganten) auf und nutzen deren Erzählmuster.
      Das Promotionsvorhaben untersucht das Verhältnis von expressionistischer Prosa und fantastischer Unterhaltungsliteratur zu Beginn des 20. Jahrhunderts und fragt, welchen Gewinn die Expressionist*innen durch die Anleihen in der ‚Unterhaltungsliteratur‘ erzielen und welche Austauschprozesse zwischen den Bereichen Expressionismus und fantastische ‚Trivialliteratur‘ entstehen. Die Dissertation strebt eine Erfassung, theoretische Fundierung und analytisch abgesicherte Bestimmung der Zusammenhänge an. Dazu sollen Beschreibungskategorien für das Verhältnis von populärer und Hochkultur erarbeitet werden, die zum einen die Klassifizierung der Texte als ‚unterhaltend‘/‚trivial‘ oder ‚(hoch)literarisch‘ hinterfragen und zum anderen einen innovativen Blick auf die expressionistische Prosa erlauben.

      Schuller, Karina: Die Sprache der Transzendenz. Das Surreale in ausgewählter deutscher Literatur zwischen 1800 und 1960.

      Abstract: Den Franzosen den Surrealismus – den Deutschen den Expressionismus? Auch in der deutschen Literaturlandschaft der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lassen sich klare surrealistische Züge erkennen. Denn es zeichnet sich die Signatur einer Sprache ab, die auf eine Poetologie verweist, welche die Emphase für Sprache, deren Universalität und deren damit eng verknüpfte transzendentale Dimension, wie sie der écriture automatique des französischen Surrealismus zugrunde liegt, mit diesem nicht nur teilt, da Sprache auch hier in erkenntnistheoretischer Hinsicht als Schlüssel zur Öffnung des Anderen, des Surrealen, der Transzendenz etabliert wird, sondern in der Setzung von Sprache als Transzendentem schlechthin sogar übersteigt. Das Forschungsvorhaben fragt dementsprechend nach der Möglichkeit einer Exegese ausgewählter deutscher Literatur des 20. Jahrhunderts anhand der Prosa und Lyrik Carl Einsteins, Ivan Golls und Paul Celans als genuin surrealistischer Literatur ebenso wie nach deren poetologischer Genese entlang ausgesuchter Prosa Heinrich von Kleists, E.T.A. Hoffmanns, Robert Walsers, Hanns Heinz Ewers' und Franz Kafkas.

      Zipfel, Hannah

      Als Zweitgutachter: Busch, Nicolai: Literarischer Konservatismus. Narrations-, Distinktions- und Diskursstrategie deutschsprachiger Gegenwartsliteratur.

      Abstract: Wo einer deutschsprachigen Gegenwartsliteratur von Literaturwissenschaft und -kritik formaler und/oder weltanschaulicher Konservatismus attestiert wird, geschieht dies meist unter Verweis auf ästhetische und philosophische Traditionen der literarischen Moderne. Romantisch-ästhetizistisch etwa sei das Autonomiepostulat oder das ironische Spiel konservativer Literatur. Ihre religiöse Aufladung eines geschichtslosen ›Schönen‹ und ihre pessimistische Kulturkritik von geistesaristokratischer Warte stehe in der ästhetisch-fundamentalistischen Tradition eines Stefan George. An Akteure der konservativen Revolution fühlt sich die Forschung erinnert, wo eine konservative Gegenwartsliteratur deren antimoderne und antiliberale Ansichten imitiere. Stets, darin scheint man sich einig, liegt das konservativ-ästhetische Moment zeitgenössischer Texte in der bloßen Wiederbelebung und Fortführung bekannter Muster. Mehr als einen rein ästhetischen Oppositionscharakter will die Forschung aktuellen konservativen Texten kaum zusprechen.
      Einer solchen traditionsbezogenen Deutungsweise beabsichtigt das Projekt eine bisher vernachlässigte kulturpoetische und kultursoziologische hinzuzufügen: Mittels text-kontext-theoretischer Analysen fiktionaler wie nicht-fiktionaler Texte, ästhetischer Positionierungen und sozialer Positionen verschiedener AutorInnen (darunter Uwe Tellkamp, Martin Mosebach, Reinhard Jirgl, Christian Kracht, Monika Maron, Michael Klonovsky, Simon Strauß etc.) sollen Narrations-, Distinktions- und Diskursstrategien ermittelt werden, welche, so die Hypothese, vor dem Hintergrund gesellschaftlichen Wandels das politisch-konservative ›Normalspektrum‹ (J. Link) unserer Zeit ästhetisch modellieren, (de)konstruieren und aktiv mitgestalten. Im Zentrum des Vorhabens steht damit, neben einer intra- und intertextuellen Untersuchung konservativer Texte, vor allem die Verhältnisbestimmung gesellschaftlich-politisch- und ästhetisch-konservativer Wissensfelder bzw. ihrer Austauschprozesse (S. Greenblatt). Insofern gezeigt werden kann, dass und wie liberal-konservative, bildungsbürgerlich-wertkonservative, aber auch aktuelle neurechte Denkmuster Eingang ins literarische Feld finden, beabsichtigt das Projekt nicht weniger, als eine bis vor kurzem noch semantisch entleerte Weltanschauung in ihrer aktuell wiedererstarkenden politischen, ideologischen und ästhetischen Schlagkraft kritisch zu erfassen.