Abgeschlossen
Kigle, Martina (2022): Figure M. Eine umgekehrte Geschichte der Postmoderne. Wien: Passagen Verlag.
Martina Kigle holt die Künstlerische Forschung an die Universität. Mit der Verbindung von wissenschaftlichem Arbeiten und fiktionaler Erzählung übt sie Kritik an einer Geisteswissenschaft, die zwar mit Kanonkenntnis und Diskursdisziplin beeindruckt, dabei aber gerne so tut, als ereigne sich Realität irgendwo da draußen.
W. hat ein Problem: Er weiß nicht weiter. Und das ist er nicht gewohnt, denn bislang war auf sein Wissen stets Verlass. Er grübelt und grübelt. Was soll W. wie Wissen sonst tun? „Wenn W. für Wissen steht“, überlegt er, „ist dann nicht M. das umgekehrte Wissen?!“Mit der Suche nach dem umgekehrten Wissen ist auch die Bewegung der Arbeit vollzogen: Als Figur in den Theorien von Marx und Derrida zeigt die Umkehrung deutlich, dass die Grenzen zwischen rationaler Argumentation und Erfindung, Sachlichkeit und Rhetorik, Intentionen der Kritik und Eigendynamik der S(pr)ache fließend sind. Ihren Anspruch auf reine Rationalität kann die Wissenschaft nicht halten. Von der Grashalm rauchenden Cyborg über das doppelzüngige Orakel hin zur Geister- und Gedankenbeschwörerin mit Pfeife experimentiert M. deshalb im Laufe des Textes mit vielfältigen Wissensfiguren. „Weißt du, was ich mache mit Erwartungen?“, fragt sie den verdutzten W. „Ich enttäusche sie. Alle.“Meischen, Gerold (2022): Die narrative Prosa Max Herrmann-Neißes in seiner Berliner Phase (1912-1933): literarische Verfahren im Spiegel kulturhistorischer Parameter. Lehmans Media GmbH.
Wer war Max Herrmann-Neiße (1886-1941)? So sehr die Frage heute berechtigt erscheint, so wenig stellte sie sich während der Weimarer Republik, konnte der aus Schlesien nach Berlin übergesiedelte Schriftsteller doch als gut vernetzter Lyriker, Erzähler, Dramatiker und Kritiker auf eine positive Reputation verweisen. Die politische Gegnerschaft zum NS-Staat zwang ihn, Deutschland 1933 zu verlassen und - seiner literarischen und gesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten beraubt - im Londoner Exil zunehmend zu vereinsamen. Die vorliegende Bearbeitung konzentriert sich auf die Analyse der narrativen Prosa Max Herrmann-Neißes, der in seinen Texten einen literarischen Blick hinter die Kulissen einer vermeintlichen Bürger-Souveränität wirft. Dabei zielt der Autor auf eine satirische Desavouierung des kniefällig-devoten Kleinbürgers in seiner Anbetung des autoritären Obrigkeitsstaates. Im Gegensatz zu manch politischem Roman entwirft Max Herrmann-Neiße aber keine identifikationsfähigen Helden, sondern eher Strauchelnde, sozial Marginalisierte, die angesichts der Verwerfungen der Moderne den Halt verlieren. Der Autor bleibt dabei dem ästhetischen Leitprinzip verhaftet und hofft auf einen Erkenntnisschub des Rezipienten, der das auf der Handlungsebene Wahrgenommene gedanklich autonom reflektiert und perspektivisch verarbeitet.
Seidel, Anna (2022): Retroaktive Avantgarde. Manifeste des Diskurspop. Göttingen: V&R.
Etwa 100 Jahre nach dem ersten futuristischen Manifest, das den Auftakt für eine ganze Reihe avantgardistischer Programmschriften bedeutete, bedienen sich deutschsprachige Pop-Gruppen wie Tocotronic, Locas In Love und Ja, Panik erneut der Textsorte. Titel wie »Kapitulation« und »The Angst and the Money« lassen schon erahnen, dass es sich hierbei kaum um selbstbewusste Kampfansagen handelt, wie es »Musik ist eine Waffe!« von Ton Steine Scherben noch war. Die Diskurspopgruppen verorten sich mit ihren Manifesten zwischen Kampf und Verweigerung, Innovation und Retromanie, Pop und Politik, Ästhetik und Verkrampfung, Kapitalismuskritik und Business. In kulturpoetischen Analysen wird ein breites Archiv an Pop-Manifesten mitsamt ihren Kontexten in dieser Fülle zum ersten Mal überhaupt erschlossen.
Pabst, Philipp (2022): Die Bedeutung des Populären. Kulturpoetische Studien zu Benn, Böll und Andersch. 1949–1959. Berlin/Boston: de Gruyter.
Welche Funktionen haben etwa der Schauspieler James Dean, die Zeitschrift Reader’s Digest oder eine Werbeanzeige für Persil in Gottfried Benns später Lyrik, in Heinrich Bölls Kriegsprosa sowie in Alfred Anderschs Rundfunkarbeiten?
Dem Populären der 1950er Jahre wurde von literaturwissenschaftlicher Seite bislang allenfalls sporadische Aufmerksamkeit geschenkt, systematisch hat man seine Rolle für die Literatur der Zeit kaum befragt. Die Untersuchung profi liert das Populäre als einen neuralgischen Punkt der Literatur der frühen Bundesrepublik. Einerseits wird es von den literarischen Texten vielseitig produktiv gemacht, andererseits stellt seine Banalität ein eminentes Problem dar. Auf diese Weise lässt sich eine Literatur des Bedeutsamen in den Blick nehmen, die aus dem reichhaltigen Reservoir populärer Kultur schöpft.Kholiavka, Sergii (2020): Zwei Wege der literarischen Moderne: Das metonymische Verfahren und die Lesbarkeit anhand von Carl Einsteins 'Bebuquin' und Thomas Manns 'Doktor Faustus'. Dortmund: readbox unipress.
Die Arbeit verfolgt ein systematisches Projekt: Sie will in der deutschen Erzählliteratur der literarischen Moderne zwei Schreibweisen anhand ihrer Lesbarkeit unterscheiden und zugleich einschlägige Theorien der Lesbarkeit anhand der Analyse zweier typischer Erzähltexte der Moderne überprüfen. Es wird die These zugrunde gelegt, dass die avantgardistische experimentelle Prosa ihre Handlung verunklart oder ganz suspendiert. Dieses allgemeine Verfahren der Verunklarung der Handlung wird mithilfe spezieller Verfahren realisiert. Aufgrund der Spürbarkeit der Handlung werden in der literarischen Moderne drei Gruppen von Texten unterschieden, von denen zwei genauer betrachtet werden. Carl Einsteins 'Bebuquin' und Thomas Manns 'Doktor Faustus' stehen jeweils exemplarisch für diese beiden Textgruppen. Aufbauend auf der Theorie der Lesbarkeit von Roland Barthes wird der Unterschied der Darstellungsweisen von 'Bebuquin' und 'Doktor Faustus' nicht auf der Ebene der Lesbarkeit, sondern auf der Ebene der Lektüre behauptet.Schneider, Jens Ole (2020): Aporetische Moderne. Monistische Anthropologie und poetische Skepsis 1890–1910. Frankfurt a. M.: Vittorio Klostermann.
Monistische Anthropologien liegen um 1900 hoch im Kurs. Gegen die platonisch-christliche Tradition definieren viele Intellektuelle der Jahrhundertwende den Menschen nicht länger als Dualität von Körper und Geist, sondern konzipieren ihn als transzendenzlosen ›Leib ganz und gar‹. Die Studie arbeitet die antidualistischen Gemeinsamkeiten in der Philosophie, Psychologie und Medizin um 1900 heraus, diskutiert aber auch die Probleme, in die sich Intellektuelle mit ihrer Entscheidung für die Immanenz verstricken. In einem zweiten Schritt zeigt die Arbeit, dass um 1900 gerade im Medium Literatur eine besondere Sensibilität für die Probleme des Monismus herausgebildet wird. Im Rahmen differenzierter Einzeluntersuchungen zu Texten Hugo von Hofmannsthals, Robert Musils und Thomas Manns wird das literarische Paradigma einer aporetischen Moderne herausgestellt, die sich von einer leibemphatischen Moderne durch eine dezidiert poetische Skepsis unterscheidet.
Trapp, Franziska (2020): Lektüren des Zeitgenössischen Zirkus. Ein Modell zur text-kontext-orientierten Aufführungsanalyse. Berlin/Boston: De Gruyter.
Leine, Torsten (2018): Magischer Realismus als Verfahren der späten Moderne: Paradoxien einer Poetik der Mitte. Berlin/Boston: DeGruyter.
Hoffmann, Lena (2018): Crossover: Mehrfachadressierung in Text, Markt und Diskurs. Zürich: Chronos.
Agethen, Matthias (2017): Vergemeinschaftung, Modernisierung, Verausgabung. Nationalökonomie und Erzählliteratur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Göttingen: V&R.
Das Ökonomische spielt für das Selbstverständnis der bürgerlichen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts eine herausragende Rolle. In Deutschland entwickelt sich die Wirtschaftswissenschaft ausdrücklich als Volkswirtschaftslehre. Ihr Narrativ von der nationalökonomischen Vereinigung zu einer emphatischen Gemeinschaft der Werte ist mit den fiktionalen Erzählungen der Zeit, d. h. also mit der Literaturgeschichte, eng verwoben. Die Zeit- und Gesellschaftsromane des Realismus und des Naturalismus sind stark von ökonomischen Themen und Figuren geprägt. Einerseits affirmieren und idealisieren sie die bürgerliche Gesellschaft und ihr ökonomisches Weltbild, andererseits problematisieren sie dieses auch und stellen seine Widersprüche und Ambivalenzen dar. Die Arbeit rekonstruiert die gemeinsame Entwicklungsgeschichte von Erzählliteratur und Nationalökonomie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aus ihrem Verhältnis gehen besondere diskurs- und literaturgeschichtliche Bedingungen hervor, die in den Konstituierungsprozess der Moderne um 1900 eingehen.
Tetzlaff, Stefan (2016): Heterotopie. Zur Konstruktion anderer Räume als Textverfahren in Romantik und Realismus. Berlin/Boston: De Gruyter.
Huber, Till (2016): Blumfeld und die Hamburger Schule. Sekundarität – Intertextualität – Diskurspop. Göttingen: V&R.
König, Michael (2015): Poetik des Terrors. Politisch motivierte Gewalt in deutscher Gegenwartsliteratur. Bielefeld: transcript.
Knaup, Anna Katharina (2015): Der Männerroman. Ein neues Genre der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Bielefeld: transcript.
Horsthemke, Maria (2015): "...une manière analogue de déformer le temps". Simultaneität und Totalität bei Carl Einstein und Marcel Proust. Heidelberg: Winter.
Rakow, Christian (2013): Die Ökonomien des Realismus. Kulturpoetische Untersuchungen zur Literatur und Volkswirtschaftslehre 1850-1900. Berlin/Boston: De Gruyter.
Hoge, Boris (2013): Schreiben über Russland. Die Konstruktion von Raum, Geschichte und kultureller Identität in deutschen Erzähltexten seit 1989. Heidelberg: Winter.
Moussa, Brahim (2012): Heterotopien im poetischen Realismus. Andere Räume, Andere Texte. Bielefeld: Aisthesis.
Herold, Denis (2012): "Im Zeitalter der Sachlichkeit muß man romantisch sein, das ist der Trick." Formen und Funktionen der Neuen Sachlichkeit in Erich Maria Remarques Romanen. Marburg: Tectum.
Kleinschmidt, Christoph (2010): Intermaterialität. Zum Verhältnis von Schrift, Bild, Film und Bühne im Expressionismus. Bielefeld: transcript.
Abgeschlossen, noch nicht publiziert
Arasteh-Roodsary, Sona: Kulturkritik erzählen. Populismus, Ideologie und Ästhetizismus in kulturkritischer Erzählprosa der Moderne (1885-1910).
Guðmundsdóttir, Sólveig: Subversive Esotericism and Aesthetic Radicalism. The Myths and Rituals of Viennese Actionism.
Sanchino Martinez, Esteban: Pumping Blood – Drastik als kulturelles Paradigma der Populärkultur.
Abstract: Das Dissertationsvorhaben möchte in Anlehnung an Dietmar Daths "Die salzweißen Augen. Vierzehn Briefe über Drastik und Deutlichkeit" analytisch zu einer Ästhetik popkultureller Drastik vordringen. Durch die Verknüpfung von kulturpoetisch-textualistischen und kultursoziologischen Theoremen soll Drastik als ein ästhetisches Grundprinzip einsichtig gemacht werden, das von konventionellen Genregrenzen nicht festgelegt ist. Drastik als Stilprinzip ist konstitutiv für eine Reihe postmoderner, kulturindustrieller Produkte, die einerseits zwar der Popkultur angehören, andererseits in den meisten Theorien zur Popkultur nur unzureichend mitgedacht werden. Im Mittelpunkt der Analyse stehen transmediale Werke, die als massenwirksame und zugleich gesellschaftspolitisch höchst umstrittene Paradigmen drastischer Kunst gelten können, wie etwa Bret Easton Ellis' American Psycho, Lucio Fulcis Splatterfilme und Songtexte aus dem Bereich des Heavy Metal.
Shraim, Iyad: Der Klon-Mensch im deutschen und arabischen Roman. Ein interdiskursiver Vergleich.
Abstract: In der vorliegenden Dissertation wird das argumentative Verhältnis zwischen Literatur und weiteren Spezialdiskursen über das Motiv des geklonten Menschen unter Berücksichtigung von Interdiskursanalyse untersucht. Als Grundlagetexte dienen ausgewählte deutsche und arabische Romane, die das Klonen von Menschen aus verschiedenen Perspektiven thematisieren. Diskursive Positionen und Kollektivsymbolik sollen aus der literarischen Texten, die durch diverse Erzählstrategien und kontroverse Argumentationsmodelle gekennzeichnet sind, herausgearbeitet, klassifiziert und mit ihren Entsprechungen in der jeweils anderen Literatur verglichen werden. Darüber hinaus werden die Besonderheiten der Literatur und ihr Beitrag zur aktuellen Klon-Debatte gegenüber anderen Diskursen hervorgehoben. Eine erste Beobachtung lässt erkennen, dass deutsche und arabische Romane die in den spezialisierten Diskursen überwiegend ablehnende Haltung in Bezug auf das auf Menschen zu übertragende Klonverfahren und dessen Folgen teilen.
Im Entstehen
Ilic, Ana: Sorge um den Nachwuchs – Die Jugend bei der Musterung in der Literatur der Frühen Moderne.
Horn, Melanie: Die Verwendung von Popmusik in der Markenwerbung.
Müller, Konrad: Präsenzbegehren und Erinnerung. Philosophischer Diskurs und literarische Verfahren zwischen Realismus und emphatischer Moderne.
Abstract: Der philosophische Diskurs um 1900 ist in hohem Maße von einem Begehren nach Präsenz geprägt. Am Übergang vom Unmittelbarkeit scheuenden realistischen Dispositiv zur emphatischen Moderne bringt auch und gerade die vielfältige Erinnerungsliteratur jener Zeit das Begehren in spannungsvoller Weise zum Ausdruck. Meine Untersuchung fokussiert die erzählende Erinnerungsliteratur dieser Zeit unter dem Gesichtspunkt ihrer Verfahren und liest sie in Beziehung zum philosophischen Präsenzdiskurs als Bestandteil derselben Kultur. Sie versteht sich sowohl als Beitrag zur aktuellen literaturwissenschaftlichen Präsenzforschung als auch als literaturgeschichtlicher Beitrag zu literarischen Verfahren um die Jahrhundertwende.
Scheerer, Katharina: Zum Verhältnis von expressionistischer Prosa und fantastischer Unterhaltungsliteratur. [Arbeitstitel]
Abstract: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebt die deutschsprachige fantastische Literatur einen ersten Höhepunkt. Dieser schlägt sich vor allem in der sogenannten ‚Unterhaltungsliteratur‘, aber auch bei den hochliterarischen Avantgarden nieder. Autoren wie Hans Dominik, Carl Grunert, Kurd Laßwitz und Friedrich Wilhelm Mader publizieren eine Vielzahl von Texten in Knaben- und Groschenromanen, die Motive wie Kontakte mit anderen Planeten, kosmische Katastrophen und technisch-utopische Fantasien aufweisen. Aber auch die hochliterarischen Avantgarden, wie die Expressionist*innen, veröffentlichen fantastische Texte. Es entsteht eine umfangreiche und qualitativ heterogene Landschaft von utopischen und dystopischen Zukunftsromanen, Abenteuer- und technisch-politischer Prosa. Obwohl die expressionistische Kunstströmung die Form künstlerischer Darstellung radikal erneuern will, greifen Autoren wie Paul Scheerbart oder Alfred Döblin im Bereich der Fantastik Topoi der Genre-Literatur wie das Leben auf fernen Planeten (vgl. Lesabéndio und Berge Meere und Giganten) auf und nutzen deren Erzählmuster.
Das Promotionsvorhaben untersucht das Verhältnis von expressionistischer Prosa und fantastischer Unterhaltungsliteratur zu Beginn des 20. Jahrhunderts und fragt, welchen Gewinn die Expressionist*innen durch die Anleihen in der ‚Unterhaltungsliteratur‘ erzielen und welche Austauschprozesse zwischen den Bereichen Expressionismus und fantastische ‚Trivialliteratur‘ entstehen. Die Dissertation strebt eine Erfassung, theoretische Fundierung und analytisch abgesicherte Bestimmung der Zusammenhänge an. Dazu sollen Beschreibungskategorien für das Verhältnis von populärer und Hochkultur erarbeitet werden, die zum einen die Klassifizierung der Texte als ‚unterhaltend‘/‚trivial‘ oder ‚(hoch)literarisch‘ hinterfragen und zum anderen einen innovativen Blick auf die expressionistische Prosa erlauben.Schuller, Karina: Die Sprache der Transzendenz. Das Surreale in ausgewählter deutscher Literatur zwischen 1800 und 1960.
Abstract: Den Franzosen den Surrealismus – den Deutschen den Expressionismus? Auch in der deutschen Literaturlandschaft der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lassen sich klare surrealistische Züge erkennen. Denn es zeichnet sich die Signatur einer Sprache ab, die auf eine Poetologie verweist, welche die Emphase für Sprache, deren Universalität und deren damit eng verknüpfte transzendentale Dimension, wie sie der écriture automatique des französischen Surrealismus zugrunde liegt, mit diesem nicht nur teilt, da Sprache auch hier in erkenntnistheoretischer Hinsicht als Schlüssel zur Öffnung des Anderen, des Surrealen, der Transzendenz etabliert wird, sondern in der Setzung von Sprache als Transzendentem schlechthin sogar übersteigt. Das Forschungsvorhaben fragt dementsprechend nach der Möglichkeit einer Exegese ausgewählter deutscher Literatur des 20. Jahrhunderts anhand der Prosa und Lyrik Carl Einsteins, Ivan Golls und Paul Celans als genuin surrealistischer Literatur ebenso wie nach deren poetologischer Genese entlang ausgesuchter Prosa Heinrich von Kleists, E.T.A. Hoffmanns, Robert Walsers, Hanns Heinz Ewers' und Franz Kafkas.
Zipfel, Hannah
Als Zweitgutachter: Busch, Nicolai: Literarischer Konservatismus. Narrations-, Distinktions- und Diskursstrategie deutschsprachiger Gegenwartsliteratur.
Abstract: Wo einer deutschsprachigen Gegenwartsliteratur von Literaturwissenschaft und -kritik formaler und/oder weltanschaulicher Konservatismus attestiert wird, geschieht dies meist unter Verweis auf ästhetische und philosophische Traditionen der literarischen Moderne. Romantisch-ästhetizistisch etwa sei das Autonomiepostulat oder das ironische Spiel konservativer Literatur. Ihre religiöse Aufladung eines geschichtslosen ›Schönen‹ und ihre pessimistische Kulturkritik von geistesaristokratischer Warte stehe in der ästhetisch-fundamentalistischen Tradition eines Stefan George. An Akteure der konservativen Revolution fühlt sich die Forschung erinnert, wo eine konservative Gegenwartsliteratur deren antimoderne und antiliberale Ansichten imitiere. Stets, darin scheint man sich einig, liegt das konservativ-ästhetische Moment zeitgenössischer Texte in der bloßen Wiederbelebung und Fortführung bekannter Muster. Mehr als einen rein ästhetischen Oppositionscharakter will die Forschung aktuellen konservativen Texten kaum zusprechen.
Einer solchen traditionsbezogenen Deutungsweise beabsichtigt das Projekt eine bisher vernachlässigte kulturpoetische und kultursoziologische hinzuzufügen: Mittels text-kontext-theoretischer Analysen fiktionaler wie nicht-fiktionaler Texte, ästhetischer Positionierungen und sozialer Positionen verschiedener AutorInnen (darunter Uwe Tellkamp, Martin Mosebach, Reinhard Jirgl, Christian Kracht, Monika Maron, Michael Klonovsky, Simon Strauß etc.) sollen Narrations-, Distinktions- und Diskursstrategien ermittelt werden, welche, so die Hypothese, vor dem Hintergrund gesellschaftlichen Wandels das politisch-konservative ›Normalspektrum‹ (J. Link) unserer Zeit ästhetisch modellieren, (de)konstruieren und aktiv mitgestalten. Im Zentrum des Vorhabens steht damit, neben einer intra- und intertextuellen Untersuchung konservativer Texte, vor allem die Verhältnisbestimmung gesellschaftlich-politisch- und ästhetisch-konservativer Wissensfelder bzw. ihrer Austauschprozesse (S. Greenblatt). Insofern gezeigt werden kann, dass und wie liberal-konservative, bildungsbürgerlich-wertkonservative, aber auch aktuelle neurechte Denkmuster Eingang ins literarische Feld finden, beabsichtigt das Projekt nicht weniger, als eine bis vor kurzem noch semantisch entleerte Weltanschauung in ihrer aktuell wiedererstarkenden politischen, ideologischen und ästhetischen Schlagkraft kritisch zu erfassen.