Fürstenspiegel & Historiografie
Philip Bockholt untersucht Übersetzungen von Werken der Ratgeber- und Fürstenspiegelliteratur sowie Historiografie, die aus dem Arabischen und Persischen ins Osmanisch-Türkische übertragen wurden. Beide Genres waren für die Ausgestaltung des Osmanischen Reiches als Imperium von Wichtigkeit. Unter den Fürstenspiegeln stehen die anatolisch-türkischen Fassungen des weit verbreiteten anonymen Fabelwerks Kalīla wa-Dimna – v.a. ʿAlī Çelebis Hümāyūnnāme aus dem 16. Jahrhundert – und Übertragungen des Qābūsnāma (ursprünglich Nordostiran, 11. Jahrhundert) im Mittelpunkt seiner Analyse. Beide Werke liegen in mehreren Textzeugen und Übersetzungen vor, deren Zeitspanne vom 14. bis 18. Jahrhundert reicht und sowohl anatolische Fürstenhöfe wie diejenigen der Aydıniden und Germiyaniden als auch den Osmanenhof umfasst, was die akteurszentrierte Untersuchung diachroner Tendenzen in der Adaption von Normen didaktischer Literatur ermöglicht.
Als historiografische Werke behandelt er anhand von Ibn Kaṯīrs al-Bidāya wa-n-nihāya, al-ʿAinīs ʿIqd al-ǧumān fī tārīḫ ahl az-zamān und Mīrḫvānds Raużat aṣ-ṣafā Übertragungen arabischer und persischer Weltgeschichten des 14. und 15. Jahrhunderts. Diese waren für die normative Ausrichtung der osmanischen Historiografie bedeutsam und wurden während der Herrschaftszeit Murāds II. im frühen 15. Jahrhundert bis in die sogenannte Tulpenzeit unter Aḥmed III. und seinem Großwesir Nevşehirli Dāmād İbrāhīm Paşa im frühen 18. Jahrhundert ins Türkische übersetzt. Der komparative Ansatz des Projektes ermöglicht es, gattungsspezifische und -übergreifende Tendenzen mit Fokus auf zugrundeliegende Patronageverhältnisse sowie Inhalt und Struktur der Übersetzungen in einem größeren geografischen Raum zu identifizieren und in einen transregionalen Kontext einzubetten.