Forschungsprojekt "Genese und Struktur der hessisch-westfälischen Megalithik am Beispiel der Soester Gruppe" im SPP 1400 der DFG:
"Frühe Monumentalität und soziale Differenzierung. Zur Entstehung und Entwicklung neolithischer Großbauten und erster komplexer Gesellschaften
im nördlichen Mitteleuropa"
Anliegen des Projektes ist die Erforschung der Soester Gruppe im Grenzbereich der Megalithgräber errichtenden Gesellschaften der Trichterbecher- und der Wartbergkultur. Neue Erkenntnisse zu sozialen Differenzierungsprozessen, die sich in einer konträren Auslegung der von beiden Gesellschaften ausgeübten Kollektivgrabsitte widerspiegeln, sind von der Dokumentation der neu entdeckten Kollektivgrabnekropole Erwitte-Schmerlecke zu erwarten. Hier sollen vor allem umfassende anthropologische Analysen Aussagen zur Sozialstruktur ermöglichen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Erforschung des unmittelbaren Umfeldes der Gräber der Soester Gruppe hinsichtlich zugehöriger Anlagen sowie Siedlungsplätzen. Darin eingebunden ist die Untersuchung der Bezüge monumentaler Grabenwerke zu den Gräbern. Mit Hilfe der gewonnenen Daten wird die Rekonstruktion einer Grab- und Siedlungslandschaft innerhalb der hessisch-westfälischen Megalithik angestrebt. Das interdisziplinär verankerte Projekt soll unter Einbindung der Forschungen und Ergebnisse des SPP eine nachhaltige Verbesserung nicht nur des Forschungsstandes für die Hellwegzone und damit der Westfälischen Bucht, sondern für den gesamten Bereich der „herzynischen Gebirgsschwelle“ und deren Verhältnis zur benachbarten nordwestdeutschen Megalithik bewirken.
Zum Stand der Forschung
Zwischen 3500 und 2800 v. Chr. wurden von den Trägern der Wartbergkultur besonders in Ostwestfalen und Nordhessen Großsteingräber errichtet, die sich vor allem baulich, aber auch hinsichtlich der Beigabensitten, von den aus Nordwestdeutschland bekannten Ganggräbern der Trichterbecherkultur absetzen. Die in den Boden eingesenkten und überhügelten Galeriegräber wurden als kollektive Grablegen genutzt und nahmen in ihren 2–3 m breiten, oft 20–30 m langen Kammern bis zu 250 Bestattungen auf. Der Zugang erfolgte über einen Vorraum an der Schmalseite (Typ Züschen) oder einen Gang an der Längsseite (Typ Rimbeck). Ein Türlochstein mit „Seelenloch“ trennte den Zugangsbereich von der eigentlichen Grabkammer ab (Abb. 1). Das bislang bekannte Verbreitungsbild lässt regionale Gruppen, die in Abständen von ca. 30 km zueinander liegen, mit jeweils mehreren Gräbern erschließen.
Abb. 1 Türlochstein des Grabes von Züschen bei Fritzlar, Schwalm-Eder-Kreis (Foto J. Farrenschon)
Unter der sogenannten Soester Gruppe, die in der lössreichen Soester Börde zwischen Dortmund und Paderborn zu lokalisieren ist, werden bislang die Gräber von Hiddingsen, Ostönnen, Schmerlecke (drei Anlagen), Uelde und Völlinghausen zusammengefasst. Für diese Gräbergruppe sind bereits einige Vorarbeiten zu verzeichnen, auf denen das Projekt aufbaut. Zentraler Ausgangspunkt der Forschungen ist die Kollektivgrabnekropole von Schmerlecke bei Erwitte, Kr. Soest. Hier konnten mittels geophysikalischer Prospektionen nicht nur drei Gräber, davon eines bisher unbekannt, lokalisiert und deren Ausrichtung sowie Ausdehnung bestimmt werden, sondern es zeigen sich auch Hinweise auf eine spätere Begehung des Platzes: Kreisgräben unterschiedlicher Größe deuten auf ein möglicherweise endneolithisches oder bronze- bis eisenzeitliches Gräberfeld (Abb. 2). Im unmittelbaren Umkreis der Anlagen erbrachten Lesefunde Hinweise auf Siedlungsareale; weiterhin befindet sich ein jungneolithisches Grabenwerk in Sichtweite zum Fundplatz. Sondagegrabungen 2008 zeigten neben Details der Bauweise mit nicht am Ort anstehenden Kalksteinplatten vor allem eine gute Erhaltung des Knochenmaterials.
Abb. 2 Messbild der geophysikalischen Prospektion in Schmerlecke
Mit Beginn des Projekts im Juli 2009 konnten die als Anschluss an die Sondagen vom Vorjahr geplanten Ausgrabungen am Fundplatz Schmerlecke bei Erwitte ihren Anfang nehmen (Abb. 3). Zwei der drei bekannten Anlagen (Grab II und III) werden zur Zeit dokumentiert. Das Grab II, das zwar seit den 1950er Jahren bekannt, aber bisher nicht systematisch erforscht worden war, zeigt eine sehr gute Erhaltung sowohl der Grabarchitektur als auch der Bestattungen bzw. Knochenlagen. Grab III hingegen ist, da auf einer Kuppe liegend und damit langfristigen Erosionsvorgängen ausgesetzt, schon stärker zerstört. Dennoch verweisen Funde z. B. von durchlochten Tierzahnanhängern, Silexgeräten wie Klingen und Pfeilspitzen oder Beilfragmenten aus Felsgestein auf das typische Spektrum der Beigaben eines Galeriegrabes.
Abb. 3 Grabungssituation in Schmerlecke
Um zu neuen Aussagen über die Sozialstruktur der bestattenden Bevölkerung zu kommen, werden die erhaltenen Knochen während der Ausgrabung unter anthropologischen und paläopathologischen Gesichtspunkten genauestens dokumentiert und von der bearbeitenden Anthropologin Dipl. Biol. S. Klingner entsprechend ausgewertet. (Abb. 4).
Abb. 4 Tachymetrische Dokumentation einzelner Knochen in Fundlage
Ziel einer paläopathologischen Untersuchung ist die Erforschung von Krankheitsursachen (Ätiologie) und Krankheitshäufigkeiten (Epidemiologie) bei Menschen bestimmter Kulturperioden. Die Ergebnisse einer detaillierten paläopathologischen Analyse sind in vielen Fällen in der Lage, äußere Lebensbedingungen und Umweltverhältnisse einer vor- oder frühgeschichtlichen Population – beispielsweise Ernährung, Wohn- und Arbeitsverhältnisse, geographische und klimatische Gegebenheiten sowie hygienische und sanitäre Bedingungen – zuverlässig zu rekonstruieren. Die anthropologische Untersuchung der Skeletfunde aus Schmerlecke beinhaltet die fachgemäße Reinigung der Skelete, die Zuordnung der verstreuten Knochen und Knochenfragmente zu den einzelnen Bestatteten, Alters- und Geschlechtsbestimmung, Körperhöhenberechnung, Bestimmung der Händigkeit (Rechts- / Linkshänder), des Konstitutionstypus und der geographischen Herkunft (morphologischer Typus) sowie epigenetischer Merkmale. Die routinemäßige Erhebung von Befunden bei der paläopathologischen Untersuchung erfolgt durch makroskopische, lupenmikroskopische, endoskopische, röntgenologische, licht- und rasterelektronenmikroskopische Analysen, sowie durch die Untersuchung auf stabile Isotope und der alten DNA (aDNA). Alle Befunde werden fotografisch und/oder zeichnerisch dokumentiert. Außerdem werden verschiedene Messungen durchgeführt.
Projektteam:
Prof. Dr. Ralf Gleser (WWU); Prof. Dr. M. Baales (LWL-Archäologie für Westfalen, Außenstelle Olpe); Prof. Dr. Dr. M. Schultz (Zentrum für Anatomie, Georg-August-Universität Göttingen); Dipl. Biol. Dr. S. Klingner (Zentrum für Anatomie, Georg-August-Universität Göttingen); Dr. Kerstin Schierhold M.A. (WWU)
Dr. Kerstin Schierhold M.A. https://lwl.academia.edu/KerstinSchierhold
Universität Münster
Abteilung für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie
Historisches Seminar
Domplatz 20-22
48143 Münster
Tel. 0251/83 328 00; Fax 0251/83 328 05
Email
Links
Aktuelle Informationen zum Forschungsprojekt, den laufenden Arbeiten sowie neuen Publikationen zum Thema finden Sie hier:
http://www.monument.ufg.uni-kiel.de zur Einführung in das Schwerpunktprogramm;
http://www.monument.ufg.uni-kiel.de/projekte/hessisch-westfaelische-megalithik/ zur Erläuterung des Forschungsprojekts
Presse und Öffentlichkeitsarbeit
http://dfg-science-tv.de/de/projekte/giganten-der-steinzeit/
siehe Filme Nr. 5 („Knochenarbeit“) und 6 („Spur der Knochen“)
http://www.uni-muenster.de/Rektorat/muz/2009/5-30.html
http://www.wdr.de/mediathek/html/regional/2010/09/13/lokalzeit-suedwestfalen-grabanlage.xml#nearforms
Am 10. August 2012 waren die aktuellsten Ergebnisse aus den laufenden Arbeiten im Landesmuseum Herne zu sehen: am „Südwestfalentag“ wurden spannende Funde aus der Region vorgestellt. Einige spektakuläre Schmerlecker Funde wie große Kupferspiralen, Bernsteinperlen und besonders gut erhaltene Silexgeräte sowie einige Schädel aus dem Grab waren in einer eigens für diesen Tag ausgestatteten Vitrine unter dem Titel „Frisch erforscht“ zu betrachten und wurden von der Ausgräberin Kerstin Schierhold vorgestellt.
http://www.lwl.org/pressemitteilungen/mitteilung.php?urlID=27742#.UKzOf2cTmhU
Nach der großen Resonanz, welche die Präsentation der Ausgrabung am Tag des offenen Denkmals 2010 mit 800 Besuchern erfahren hatte, konnten auch am 9. September 2011 weit über 400 Interessierte die Funde und vor allem die beeindruckende Bauweise des Grabes II mit seinen nun großenteils freigelegten tonnenschweren Wandsteinen bestaunen. Mehrere Führungen gaben Informationen zu den laufenden Arbeiten; für Fragen standen Anthropologin Susan Klingner von der Georg-August Universität Göttingen, LWL-Archäologin Eva Cichy und Kerstin Schierhold von der WWU zur Verfügung. Im Rahmen der von der WWU bzw. der AFO (Arbeitsstelle Forschungstransfer) initiierten „Expedition Münsterland“, bei der Wissenschaftsstandorte der WWU in der Region der Öffentlichkeit präsentiert werden, war eigens ein Bus von Münster nach Schmerlecke gekommen, der über 30 Besuchern die Möglichkeit eröffnete, mehr über archäologische Arbeit im Gelände zu erfahren.
http://www.lwl.org/pressemitteilungen/mitteilung.php?urlID=27910&frmVolltext=Schmerlecke#.UKzX2mcTmhU
http://www.lwl.org/LWL/Kultur/WMfA_Zentrale/toffd2012_nachlese/
http://www.derwesten.de/staedte/nachrichten-aus-soest-lippstadt-moehnesee-und-ruethen/ausgrabungsstaette-in-schmerlecke-ist-eine-besichtungsreise-wert-id7069425.html
http://www.derpatriot.de/Auf-den-Zahn-gefuehlt----9f2a6ad2-7354-4912-a0ec-c3d8a8df06d5-ds
http://www.uni-muenster.de/AFO/expedition_muensterland/schmerlecke2012.html
http://www.uni-muenster.de/AFO/kaufhaus_wissenschaft/
http://www.wn.de/Muensterland/Kreis-Steinfurt/Steinfurt/Kaufhaus-Wissenschaft-geht-in-die-dritte-Runde-Von-Ernaehrungsfragen-zu-Sport-und-Totenkult
http://www.wn.de/Muensterland/Kreis-Steinfurt/Steinfurt/Dritte-Runde-im-Kaufhaus-Wissenschaft-in-Burgsteinfurt-Von-gesunden-und-toten-Braeuchen