Kooperation der Abteilung für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie im Historischen Seminar (Prof. Dr. Ralf Gleser) mit dem Archäologischen Institut mit Museum der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften (Prof. Dr. Krum Bacvarov)
Kooperation der Abteilung für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie im Historischen Seminar (Prof. Dr. Ralf Gleser) mit dem Archäologischen Institut mit Museum der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften (Prof. Dr. Krum Bacvarov)

Siedlungsarchäologische Forschungen in Nova Nadezhda, Südbulgarien

Die frühneolithische Siedlung mit Grabensystem bei Nova Nadezhda, Bez. Haskovo, Südbulgarien

Der archäologische Fundkomplex liegt etwa 300 m vom rechten Ufer des Flusses Maritsa entfernt und umfasst eine Fläche von über 5 Hektar. Er besteht aus zwei niedrigen, hügelartigen Formationen, die durch einen schluchtartig eingetieften Bauchlauf voneinander getrennt sind. Die ältesten Siedlungsüberreste gehören dem Frühneolithikum nach der in Bulgarien gebräuchlichen Terminologie an (Wende vom 7. zum 6. Jt. v. Chr. und frühes 6. Jt.). Bemerkenswert sind konzentrisch verlaufende Grabensysteme dieser frühen Zeitstellung, die zu den ältesten Bulgariens und damit zu den ältesten in Europa außerhalb des ägäischen Raumes gehören. Bei Rettungsgrabungen 2013–2014, die aufgrund von Modernisierungsarbeiten an der nahe am Ort vorbeiführenden Eisenbahnlinie Istanbul–Belovo notwendig waren, wurde die nördliche Peripherie des nordwestlichen „Hügels“ teilweise erkundet. Die Forschungen am Fundplatz wurden 2018 im Rahmen einer Kooperation zwischen der Abteilung für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie der Universität Münster (Ralf Gleser) und der Prähistorischen Abteilung des Archäologischen Instituts der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften (Krum Bacvarov) wieder aufgenommen. Die Frage stand im Vordergrund, in welchem zeitlichen Verhältnis Bebauung innerhalb der Grabenanlagen zu den Gräben selbst steht. Zu diesem Zweck wurde für die archäologische Forschungsgrabung ein etwa 80 qm umfassender Bereich ausgewählt, der durch den innersten, frühesten frühneolithischen Graben begrenzt wird, der während der geomagnetischen Untersuchung und der Rettungsgrabung erkannt werden konnte. Der Graben wurde bereits während des Baus der Eisenbahnlinie in den Jahren 1870–1874 teilweise zerstört.

Abb. 1
© UFG

Im Zuge der ersten, einmonatigen Ausgrabungskampagne vom 20. August bis 16. September 2018 im Südsektor wurden nicht nur die Profile eines in Folge der Eisenbahnrenovierung parallel zur Schienentrasse angelegten Grabens gesäubert, in dessen Profilen die frühneolithischen Gräben ausnehmend gut zu erkennen waren (Abb. 1), sondern auch Kulturschichten (Abb. 2) mit archäologischen Strukturen aus dem Frühneolithikum festgestellt – Überreste von Wandgräben mit Pfostenlöchern (Abb. 3), thermische Installationen (Öfen), Gruben und Plattformen. Von besonderem Interesse war ein Fundensemble von Knochenwerkzeugen und Halbfertigprodukten. Gleichzeitig mit den Ausgrabungen führten wir zudem weitere Prospektionsmaßnahmen durch (elektrischen Widerstandsmessungen; Bohrprofile usw.), um Veränderungen der Landschaft und der natürlichen Ressourcen in Folge des Eingriffs der frühen Bauerngemeinschaften in ihre Umwelt feststellen zu können.

Abb. 2
© UFG
Abb. 3
© UFG
Abb. 4: Frühneolithische Grabensysteme in Thrakien.
© Nikolova 2016

Die frühneolithischen Grabenanlagen in Oberthrakien gehören ohne Zweifel zu den ältesten Monumenten ihrer Art in Europa. In Bulgarien werden sie in zunehmendem Maße entdeckt und erforscht. Bis vor wenigen Jahren kannte man bloß fünf Fundstellen mit moderner Dokumentation im Maritsa-Tundzha-Flussystem: vier in Bulgarien und eine in Türkisch-Thrakien (Abb. 4). Die Idee, Grabensysteme zu bauen, wurde anscheinend in Zentral- bzw. Nordwestanatolien am Ende des 7. Jts. "erfunden". Solche Monumente wurden danach mit der Neolithisierung unseres Kontinentes sukzessive nach Nordwesten verbreitet. Grabenanlagen sind zwar aus dem Neolithikum Mittel- und Westeuropa zahlreich bekannt, sie sind dort aber erheblich jünger.

Abb. 5 Grabungsteam 2018 des Archäologischen Instituts der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften: Krum Bacvarov, Atanas Tsurev, Nadezhda Todorova, Georgi Katsarov, Nikolina Nikolova, Marlena Yaneva.
Grabungsteam 2018 der WWU: Ralf Gleser, Valeska Becker, Florian Jüngerich, Christine Kersting, Vincent Niestlé, Inga Wopke.
© UFG

Die zweite Kampagne fand vom 29. August bis zum 26. September 2021 statt. Sie wurde erneut vom Kulturministerium Bulgariens und dem Nationalen Forschungsprogramm "Kulturelles Erbe, nationales Gedächtnis und soziale Entwicklung" finanziert. Die archäologischen Ausgrabungen wurden im Südsektor fortgesetzt; sie bestätigten nachdrücklich die Theorie, dass es sich bei den Überresten menschlicher Aktivitäten innerhalb des vom Grabensystem abgegrenzten Bereichs um die Überreste einer frühneolithischen Siedlung handelt, die zu Beginn des sechsten Jahrtausends v. Chr. mehrere Jahrhunderte lang bewohnt war.

Abb. 6. Frühneolithische Häuser (Foto und grafische Aufbereitung: Krum Bacvarov / Georgi Katsarov).
© Ufg

Im Fokus der Ausgrabungen standen mehrere, zeitlich aufeinander folgende Strukturen, die als Häuser zu interpretieren sind (Abb. 6): Sie zeigten einen rechteckigen Grundriss, waren aus Holz gebaut und die Böden und Wände waren mit weißlichem Mergel verstrichen. Die Installationen innerhalb der Häuser - Öfen und Vorratsbehälter - waren aus demselben Material gefertigt. Die Häuser wurden unverbrannt verlassen. Vor ihrer Aufgabe wurde das mobile Inventar entfernt. Im Zuge späterer Aktivitäten an gleicher Stelle wurden die Ruinen eingeebnet und Häuser dort erneut errichtet, allerdings nicht exakt über den älteren Hausstellen. All dies machte es während der Ausgrabung äußerst schwierig, die Häuser exakt zu identifizieren und freizulegen. Die Anwendung einer präzisen und daher äußerst zeitaufwändigen Methode der Feldarbeit ist erforderlich (Abb. 7).

Abb. 7. Das Münsteraner Team bei der archäologischen Feinarbeit im Bereich der frühneolithischen Häuser.
© Ufg

An den Sockeln der Öfen und Wände deponierten die Erbauer speziell ausgewählte Gegenstände - vermutlich Gründungsopfer, von denen sie glaubten, dass sie die Haltbarkeit des Hauses und das Wohlergehen seiner Bewohner garantierten.

Die ausgegrabene Fläche im Bereich des Südsektors wurde um einen neuen Abschnitt erweitert, um die stratigraphischen Bezüge zwischen den Häusern und den westlich davon gelegenen Umfassungsgräben zu erhellen. Dies wird in der Kampagne 2022 erfolgen, die für den Zeitraum vom 28.8. bis zum 25.9. angesetzt ist. Für diese Kampagne ist auch das Tieferlegen der Plana in den bereits jetzt ergrabenen Häusern geplant, um so die frühesten Phasen der frühneolithischen Siedlung erfassen zu können.

Abb. 8. Grabungsteam 2021 des Archäologischen Instituts der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften: Krum Bacvarov, Atanas Tsurev, Georgi Katsarov, Nikolina Nikolova.
Grabungsteam 2021 der WWU: Ralf Gleser, Valeska Becker, Florian Jüngerich, Lea Kopner, Paula Lehmann und Lukas Wiesinger.
© Ufg

Literatur:

  • K. Bacvarov / N. Todorova / G. Katsarov / V. Petrova & K. McSweeney, The dead and the nested pots: an Early Neolithic ditch burial at Nova Nadezhda, Bulgarian Thrace. In: K. Bacvarov / R. Gleser (eds.), Southeast Europe and Anatolia in prehistory. Essays in honor of Vassil Nikolov on his 65th anniversary. Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 293 (Bonn 2016) 149–158.
  • K. Bacvarov / N. Todorova / G. Katsarov / N. Nikolova / R. Gleser / V. Becker / M. Yaneva / A. Tsurev, Rannoneolitno selište pri Nova Nadežda, Haskovo. In: K. Bojadžiev / G. Grozdanova (red.), Bălgarska Archeologia 2018. Katalog kăm Izložba. Nazionalen Archeologičeski Musej Katalogi XII (Sofia 2019) 10-11.
  • K. Bacvarov / A. Tsurev / N. Todorova / G. Katsarov / N. Nikolova / R. Gleser / V. Becker / M. Yaneva Praistoričesko selište pri Nova Nadežda (The Prehistoric Settlement site of Nova Nadezhda). In: Archeologičeski otkritija i razkopki prez 2018 g. (Sofia 2019) 33-37.
  • M. Balasse / L. Renault-Fabregon / H. Gandois / D. Fiorillo / J. Gorczyk / K. Bacvarov & M. Ivanova, Neolithic sheep birth distribution: Results from Nova Nadezhda (sixth millennium BC, Bulgaria) and a reassessment of European data with a new modern reference set including upper and lower molars. Journal of Archaeological Science 118, 2020, 105139.
    https://doi.org/10.1016/j.jas.2020.105139
  • J. Ethier / E. Bánffy / J. Vuković / K. Leshtakov / K. Bacvarov / M. Roffet-Salque / R. Evershed & M. Ivanova, Earliest expansion of animal husbandry beyond the Mediterranean zone in the sixth millennium BC. Scientific Reports 7: 7146, 2017.
    http://rdcu.be/uGBl
  • N. Nikolova, Early Neolithic Ditched Enclosures in Thrace. In: I. Pajeva / R. Argirova / K. Bacvarov / D. Boteva / N. Burneva (Eds.), Bulgarian-German Scientific Cooperation: Past, Present, and Future. Proceedings of the Humboldt-Kolleg Sofia, November 26-28, 2015 (Sofia 2016) 108‒116.
  • N. Nikolova, Setting the Boundaries of Early Neolithic Settlement Sites: The Ditch-Digging Practices in the Eastern Balkans. Open Archaeology, vol. 7, no. 1, 2021, pp. 1345-1370. https://doi.org/10.1515/opar-2020-0187
  • M. Spataro / G. Katsarov / N. Todorova / A. Tsurev / N. Nikolova / M. Yaneva & K. Bacvarov, The chaîne opératoire of 6th millennium BC pottery making in the Maritsa Valley, Bulgaria: ceramics from Nova Nadezhda. Praehistorische Zeitschrift 94/1, 2019, 1–30.
    https://doi.org/10.1515/pz-201