Grabungsprojekt Haiger „Kalteiche“

Beteiligte Wissenschaftler: Prof. Dr. Albrecht Jockenhövel; Frank Verse M.A.


Einleitung

Aufgrund der geplanten Errichtung eines Gewerbegebietes auf der Kalteiche bei Haiger, Lahn-Dill-Kreis (Hessen) ergab sich die Möglichkeit, ein etwa 55 ha großes Waldgebiet seit 2000 in einem mehrjährigen Projekt archäologisch zu untersuchen. Die Grabungen finden auf Veranlassung des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen, Archäologische und Paläontologische Abteilung, statt und werden von der Stadt Haiger finanziert.
Das Grabungsgelände liegt unterhalb des west-östlich verlaufenden Gebirgskammes „Kalteiche“ und fällt schwach bis mäßig in Richtung Haiger ab. Es wird teilweise von Hohlwegen durchzogen. Am Nordrand liegt das bereits von H. Behlen sondierte latènezeitliche und mittelalterliche Siedlungsgelände („Podien“) mit Relikten der frühen Eisengewinnung. Untersuchungsmethode: Das Areal wird abschnittsweise prospektiert (Geländebegehungen; Metallsonde [u. a. wegen Verdacht auf Kampfmittel]) und in ausgewählten Bereichen geomagnetisch untersucht (etwa ein Drittel der Fläche). Im Rahmen der seit 2000 andauernden Untersuchungen wurden Funde und Befunde aus folgenden Bereichen entdeckt:


Bereiche:

1.Wald-/Forstwirtschaft:            
Spaltkeile, Arbeitsaxt
2. Holzwirtschaft:Platz- und Grubenmeiler
3. Transport/Verkehr: Hohlwege, Hufeisen, Achsnagel
4. Besiedlung/Aufenthalt:Feuerstellen, Feuersteinklinge, eisenzeitliche Grube,
eisenzeitliche Grabhügel , Grabgarten, eisenzeitliche Siedlung
5. Handwerk:Kalkbrennöfen, Eisenverhüttung
6. Flur-/Gemarkungspflege: 
Entwässerungsgräben, Gemarkungswälle
7. Kriegsrelikte:Revolutionskriege (Bleikugeln, massive und hohle
Kanonenkugeln), Zweiter Weltkrieg (Sturmgewehr,
Geschosshülsen)
8. Sonstiges:(Lese- ?)Steinhaufen als mögliche Überreste vergangener Feldbewirtschaftung sowie eine Lehmentnahmestellen




Funde und Befunde:

Feuersteinklinge


Die Feuersteinklinge wurde am Rande eines Bachlaufes, etwas unterhalb der Quellmulde gefunden. Sie ist 2,7 cm lang, 1,3 cm breit und ihre Oberfläche weist eine leichte Patina auf. Zwar ist das Stück selbst nicht direkt datierbar, doch gehört es zeitlich mit hoher Wahrscheinlichkeit in das Mesolithikum (Mittelsteinzeit). Weitere Fundplätze dieser Zeitstellung gibt es bei Allendorf, Haigerseelbach und Langenaubach.
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Das Mesolithikum begann mit dem Ende der letzten Eiszeit vor etwa 10.000 Jahren. Die Menschen lebten noch vom Jagen und Sammeln und mußten auf der Suche nach Nahrungsmitteln häufig ihren Standort wechseln. Dabei legten sie weite Strecken zurück und traten auch in Kontakt mit anderen Menschengruppen. So kommt der Feuerstein, aus dem die Klinge gefertigt wurde, erst nördlich des Sauerlandes vor.
Mit dem Ausbreiten der auf Ackerbau und Viehzucht basierenden Kulturen des Neolithikums (Jungsteinzeit) wurden die Mesolithiker nach und nach verdrängt, wobei die Mittelgebirge als Rückzugsraum gelten können. Das Mesolithikum endete dort wahrscheinlich erst im Verlauf des 4. Jahrtausends v. Chr.
    


Eisenzeitliche Grube


Die beiden eisenzeitlichen Befunde lagen nur etwa 2 m auseinander. Der Größere (1) war etwa 2,20 m lang und 45 cm breit und hatte einen nach außen gewölbten Boden. Er lag 50 bis 60 cm unter der heutigen Oberfläche und war der Hangneigung folgend eingetieft worden. In seinem Südwestteil lagen die Fragmente eines kleinen s-förmig profilierten Topfes. Das Gefäß war alt gebrochen. Die noch vorhandenen Teile machten etwa ein Viertel des ursprünglichen Gefäßes aus. Im Nordosten, wenige Zentimeter außerhalb des sichtbaren Befundes, befand sich das 1,5 cm lange Fragment eines grippten Armringes. Die C14-Datierung einer Holzkohleprobe ergab ein Datum von 2230 +/- 80 BP, was auf eine Datierung in das 4./3. Jhd. v. Chr. hindeutet. Der zweite Befund hate eine ungefähre Ausdehnung von 150 x 50 cm, bei einer Mächtigkeit von maximal 6 cm. Die Befunde erscheinen älter als die bekannte keltische Siedlung auf der Kalteiche. Sie gehören in den selben Zeithorizont wie die „Burg“ bei Rittershausen, von der sie, über den angrenzenden Höhenweg, nicht allzu weit entfernt liegen.


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Eisenzeitliche Grabhügel

Im Rahmen der Untersuchungen wurden ca. 300 m oberhalb der bereits bekannten keltischen Siedlung auf der „Kalteiche“ Grabhügel entdeckt. Der größte (M1) hatte einen Durchmesser von ca. 10 m und eine Höhe von 30 bis 40 cm. Die ursprünglichen Oberfläche war mit einem Steinpflaster bedeckt. Darunter, im Zentrum des Hügels, befand sich das in den Boden eingetiefte Grab.

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Bei dem Toten handelte es sich um einen Mann, dem zwei Lanzen und eine gekröpfte Nadel als Beigaben mitgegeben worden waren. Die Errichtung des Hügels kann daher in die späte Hallstattzeit datiert werden, d. h. in das 6. bis 5. Jahrhundert v. Chr. In dieselbe Zeit datiert ein Frauengrab aus einem benachbarten Hügel (M3). Dieser waren sechs Armringe mitgegeben worden, von denen fünf typgleich sind. Mit diesen Grabhügeln liegen nun die ersten fundführenden Grabhügel der Hallstattzeit aus den höheren Mittelgebirgslagen Mittelhessens und des angrenzenden südwestfälischen Berglandes vor.

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Grabgarten

Unmittelbar südlich der Grabhügelgruppe befindet sich ein sog. Grabgarten. Dabei handelt es sich um eine rechtwinkelige Wall-Graben-Anlage von etwa 14 m Länge und 10 m Breite. In ihrem Zentrum befinden sich insgesamt 6 Brandbestattungen, von denen drei in Tonurnen lagen. Zu den Beigaben der Toten zählen mehrere Fibeln, ein Messer und ein Gürtelhaken. Diese Funde datieren den Grabgarten in die Spätlatènezeit (2./1. Jhd. v. Chr.). Dieser und auch das Beigabenspektrum der Bestattungen lassen sich gut mit ähnlichen Befunden am Dünsberg bei Gießen vergleichen, und belegen die Zugehörigkeit dieses Raumes zum keltischen Kulturkreis.

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Eisenzeitliche Siedlung

Nur etwa 300 m östlich des Gräberfeldes befindet sich ein Podienfeld. Dort wurden bei Grabungen durch den damaligen Oberförster H. Behlen im Jahre 1903 spätlatènezeitliche Scherben entdeckt. Im Rahmen der Forschungen auf der „Kalteiche“ wurde das damalige Grabungsmaterial gesichtet und einige kleine Teilflächen für Nachuntersuchungen geöffnet.
Bei diesen Ausgrabungen, die im Jahre 2003 stattfanden, wurde ein Podium fast vollständig ausgegraben. Dabei konnte unter anderem eine Steinsubstruktion mit anschließender Feuerstelle freigelegt werden.

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Unter den Funden dominiert die spätlatènezeitliche Gebrauchskeramik. Daneben wurden Mahlsteinfragmente, Schleifsteine, kalzinierte Knochenfragmente und einige Kleineisenobjekte entdeckt. Den wichtigsten Einzelfund bildet ein keltischer Quinar vom Typ „Tanzendes Männlein“ (Forrer 351a), der etwa in die Mitte des 1. Jhd.’s v. Chr. datiert werden kann. Er weist genau wie der zuvor entdeckte Grabgarten auf die Zugehörigkeit der „Kalteiche“ zur keltischen Ökumene hin.

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Meilerplätze

Außer den im Gelände leicht zu erkennenden Platzmeilern wurden bisher insgesamt elf Grubenmeiler entdeckt, von denen sechs ausgegraben wurden. Die meisten hatten eine annähernd rechteckige Form und eine durchschnittliche Größe von 2,0 x 2,5 m. Grubenmeiler bleiben bis zum 14. Jahrhundert die dominierende Meilerform und werden dann aufgrund des stark gestiegenen Bedarfs an Holzkohle durch die Platzmeiler verdrängt. Mit der C14-Methode konnte einer der ergrabenen Grubenmeiler in die Zeit von 860 +/- 70 BP (1020-1280) datiert werden. Damit wird ein Zeithorizont erreicht, von dem bisher wenig archäologische Aussagen über den Umfang der Holzverkohlung möglich sind.

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Kalkbrennöfen

Unmittelbar am Rande eines Hohlweges wurden, etwa 20 m auseinanderliegend, zwei Kalkbrennöfen entdeckt, von denen jedoch nur die in den Boden eingetieften Teile erhalten waren. Dabei handelte es sich um 1,5 m tiefe Gruben mit einer lichten Weite von 3 m. Ihr Grundriss war leicht birnenförmig, da die Wandung zur hangabwärts gelegenen Beschickungsöffnung hin leicht gestreckt verlief. Auf der Ofenbasis lag eine etwa 70 cm hohe Packung aus locker aufeinanderliegenden Steinen, bei denen es sich hauptsächlich um vor Ort anstehende quarzitische Sandsteine handelte, die durch Hitzeeinwirkung teilverglast waren sowie um einige Kalksteine. Letztere stammten aus dem ca. sieben Kilometer entfernten Langenaubach. Mit der C14-Methode konnte einer der Kalköfen in die Zeit von 510 +/- 60 BP (1400 bis 1440) datiert werden.    

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Eisenverhüttung

Bisher wurden vier Verhüttungsplätze ausgegraben, von denen sich drei oberhalb eines Feuchtstreifens in Nord-Süd-Richtung aufreihten, während einer am Rand einer Quellmulde lag. Obwohl aufgrund von Durchwurzelung teilweise gestört, ließen alle Plätze ihren ursprünglichen Aufbau mit Schlackenhalde, Pochstelle (eine davon mit Amboßstein) und Rennofen gut erkennen. Zwei Öfen waren an ihrer Basis von schweren Steinen umgeben. Dies geschah, um dem zunehmenden Innendruck entgegenzuwirken, der sich im Verlauf der Erzschmelze im unteren Ofenbereich aufbaute. Zu den weiteren technischen Details zählen Maßnahmen, die Öfen gegen Grundwasser zu schützen. So wurde ein Ofen auf einer Sandsteinplatte errichtet, während ein anderer auf einer Kleinschlag-/Kiesdrainage stand.. Die Rennöfen wurden im 14./15. Jahrhundert durch die Stücköfen und Massenhütten verdrängt. Mit diesen Öfen, die auf wassergetriebene Blasebälge angewiesen waren, wurden die Erzschmelzen von den Höhen in die Täler verlegt. Zwei der auf der Kalteiche freigelegten Schlackenplätze konnten durch dort gefundene Kugeltopfscherben allgemein in das Hohe Mittelalter datiert werden. Die Verhüttungsplätze an der Kalteiche sind besonders wegen ihrer Grenzlage zwischen den Erzrevieren Siegerland (Brauneisenstein) und Lahn-Dill (Roteisenstein) von Interesse.

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Militariafunde aus dem 18. Jahrhundert

Anfang Juli 1796 fand im Rahmen der Revolutionskriege auf der "Kalteiche" ein Gefecht zwischen österreichischen und französischen Truppen statt, in dessen Folge bis zu 740 Österreicher und eine unbekannte Zahl Franzosen den Tod fanden. Mit der Metallsonde wurden beiderseits eines etwa parallel zur heutigen Bundesstraße 54 bzw. der damaligen Chaussee verlaufenden Gemarkungswalles verschiedene Funde gemacht, die mit diesen Ereignissen in Zusammenhang stehen. Diese konnten durch bereits bekannte Lesefunde, die uns Herr Langenbach freundlicherweise auslieh, ergänzt werden. Zu den Funden gehören u. a. massive eiserne Kanonenkugeln, Hohlkugelfragmente und Bleikugeln. Diese Fundstücke lassen auf einen gezielten Beschuss des Gemarkungswalles schließen, so daß die Vermutung nahe liegt, daß er von den österreichischen Truppen als Verschanzung genutzt wurde. Dies ist auch deshalb wahrscheinlich, weil er quer zu den aus Richtung Würgendorf vordringenden Franzosen verlief. Ob er für diesen Fall von Anfang an vorgesehen war, oder erst nach dem Durchbruch der Franzosen als Notbehelf genutzt wurde, muss offen bleiben. Zusätzliche, seiner Verstärkung dienende Schanzarbeiten waren jedenfalls nicht zu beobachten.

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Literatur:

2002
F. Verse, Archäologische Untersuchungen auf der „Kalteiche“ bei Haiger, Lahn-Dill-Kreis.
Vorbericht über die Ausgrabungen im Jahr 2000. Haigerer Geschichtsblätter 44, 2002, 6-28.

2003    
M. Posselt, Auf Waldeshöhen – die archäologisch-geophysikalische Untersuchung auf dem
Gelände des Gewerbegebietes Kalteiche. Hessen Archäologie 2002 (2003), 71-73.

F. Verse, Mittelalterliche Eisengewinnung auf der „Kalteiche“ bei Haiger. Vorbericht über die
Ausgrabungen im Jahre 2001. Haigerer Geschichtsblätter 46, 2003, 5-16.

F. Verse, Eisenzeit und Mittelalter auf der „Kalteiche“ bei Haiger – Ausgrabungen im Wald.
Hessen Archäologie 2002 (2003), 74-78.

F. Verse, Archaeological excavations of medieval bloomery and charcoal production sites in
the Lahn-Dill-Kreis, Hesse (Germany). In: International Conference Archaeometallurgy in
Europe. 24-26 September 2003 in Milan. Proceedings Vol. 1 (Milano 2003) 189-198.

2004    
F. Verse, Eisenzeitliches Gräberfeld auf der „Kalteiche“ bei Haiger. Heimatjahrbuch für das
Land an der Dill im Lahn-Dill-Kreis 2004 (Dillenburg 2004) 49-52.

Im Druck    
Die eisenzeitliche Besiedlung der „Kalteiche“ bei Haiger. Vorbericht über die Ausgrabungen
der Jahre 2002 und 2003. Haigerer Geschichtsblätter 2004.
     
F. Verse, Keltische Siedlungstätigkeit im peripheren Mittelgebirgsraum. Ausgrabungen auf der
„Kalteiche“ bei Haiger. Hessen Archäologie 2003 (2004).



Haigerer Geschichtsblätter erhältlich über:
Geschichtlicher Arbeitskreis Haiger und sein Raum e.V., Westerwaldstr. 21, 35708 Haiger.


 

 Text/Fotos: F. Verse  M.A.                                                                
 Zeichnungen: C. Halm  M.A.
 Umsetzung: M. Buss