innere Differenzierung
Das dritte zentrale, konstitutive Element stellt die stete Berücksichtigung der Schülerheterogenität mittels des Konzepts der Binnendifferenzierung dar. Dieses strebt, ausgehend von der Auswahl der betreffenden Jahrgangsstufen sowie den strukturellen und inhaltlichen Setzungen, eine durch vorgeschaltete Diagnosemaßnahmen situations- und adressatengerechte, offen differenzierte Lernumgebung auf Grundlage adaptiver Hilfen und verschiedener medialer Zugänge zur Karte an.
Das Ziel der offenen Differenzierung als strukturelle Setzung, d. h. der Schaffung einer klar gerahmten, aber adaptiven und anregungsreichen Lernumgebung, ist es, für die Schülerinnen und Schülern Lernbedingungen und -angebote zu gestalten, innerhalb derer sie, unter Berücksichtigung individueller Lernvoraussetzungen und eigenständiger Auswahl verschiedener Lernhilfen und Bearbeitungswege, zum zielgleichen Lernerfolg angeleitet werden, ohne grundlegende Abstriche bei der Sach- und Methodenkompetenz zuzulassen (vgl. Flath 2006; Heymann 2010).
Auf inhaltlicher Ebene erfolgte eine erste Setzung mit der Auswahl der zugrunde liegenden Karte und der darauf bezogenen übergreifenden Fragestellung. Grundlage für die Auswahl der Karte war deren Verfügbarkeit in einem zugelassenen Schulatlas und ein vielfältiger Schatz an grafischen Gestaltungselementen. Zudem erschien die Berücksichtigung vernetzter human- und physiogeographischer Themenaspekte ebenso sinnvoll wie eine reichhaltige topographische Grundlage mit Höhenlinien und verschiedenen Landschaftsformen. Berücksichtigung fanden dabei auch Faktoren des Schülerinteresses (vgl. Hemmer & Hemmer 2008) und einer möglichst breiten curricularen Passung für die Jahrgangsstufen 7/8 an Realschulen und Gymnasien.
Unter diesen Maßgaben wurden die vier Kompetenzdimensionen Dekodieren, Beschreiben, Erklären und Beurteilen für die schulische Praxis als rekursiv-progressiver Vierschritt operationalisiert, der den Schülerinnen und Schülern als leicht zu vermittelnde Schrittfolge eine Prozessorientierung bietet. Für das Differenzierungskonzept wurden anschließend die acht Subkompetenzen der unteren Ebene des Ludwigsburger Modells in Kompetenzformulierungen überführt. Diese schließen, neben der jeweiligen Kernkompetenz, das verstehende Lesen der Aufgabentexte sowie das Reflektieren und Formulieren der jeweiligen Ergebnisse explizit mit ein. Anschließend wurden kleinschrittige Handlungsabfolgen für jede Kompetenzformulierung erarbeitet. Dieses Vorgehen bildete die Basis zum einen für die (bei weitem noch nicht abgeschlossene) Profilierung potenzieller strategischer Zugriffe auf die Karte und zum anderen für die Wahl geeigneter differenzierender Maßnahmen und adaptiver Hilfen. Diese fokussieren vor allem auf Aspekte einer didaktisch-methodischen und lerngruppenbezogenen Differenzierung (vgl. Paradies & Linser 2010).
Im Anschluss erfolgte zunächst eine Diagnose in Form einer intensiven Eruierung potenzieller Lernschwierigkeiten mittels der einschlägigen internationalen Forschungsliteratur zu Schülerkognition, theoretischer Kartographie und Kartendidaktik. So ließen sich neben wirksamen Heterogenitätsaspekten und darauf basierenden Herausforderungen im kartographischen Auswertungsprozess auch theoretische Hinweise zu möglichen Förderarrangements ableiten.
Um die Fördersequenz eng auf die konkrete Lerngruppe beziehen zu können, erfolgen die beiden nachfolgenden Diagnoseschritte jeder Durchführung vorgelagert und in Zusammenarbeit mit der jeweiligen Fachlehrkraft der Kooperationsschule. In einem ersten Schritt werden auf Basis eines an Mehren und Ohl (2016) angelehnten Diagnosebogens die Vorerfahrungen, Interessen und Vorwissensinhalte der spezifischen Kooperationsklasse in Bezug auf die Kartenauswertung erhoben. Eingesetzt wird dieses Diagnoseinstrument von der Kooperationslehrkraft in ausreichendem zeitlichen Abstand vor der Durchführung der Praxisphase. So ist sichergestellt, dass die Diagnoseergebnisse im Rahmen von Schwerpunktsetzungen und dementsprechend lerngruppengerechter Ausschärfung und Ergänzung der basalen Differenzierungsmaßnahmen fruchtbar gemacht werden können. Als letzter Diagnoseschritt erfolgt in einem der Durchführung vorgelagerten Gespräch mit der Kooperationslehrkraft eine Weitergabe ihrer Expertise in Bezug auf die jeweilige Klasse im Allgemeinen und einzelne Schülerinnen und Schüler mit speziellen Bedürfnissen und evtl. gegebenen Förderschwerpunkten im Besonderen.
Generell ist festzuhalten, dass in offen differenzierten Arrangements wie dem hier skizzierten der Nutzen einer dezidiert individualisierenden Diagnose zugunsten einer egalitären Unterrichtspraktik und Selbstdifferenzierungsoptionen (vgl. Leuders & Prediger 2012) tendenziell geringer ausfällt.
Die handelnden Studierenden nehmen innerhalb eines solchen Lernangebots die Position der Lernberater und Strukturbildner ein (vgl. Heymann 2010). Um in diesen Funktionen die Basis für die nachgelagerte Theorie-Praxis-Reflexion zu schaffen, agieren sie innerhalb der Praxisphase in Tandems. Diese bestehen aus einer durchführenden und einer protokollierenden Person, die sich in ihren Rollen flexibel abwechseln können. Während der/die Durchführende den Lernprozess begleitet und moderiert, fixiert der/die Protokollierende Auffälligkeiten gemäß dem vorgelagerten Framing [Link].
Die durch das Ludwigsburger Modell als zentrales strukturgebendes Element vorgegebene Schrittfolge der Erarbeitung in Kombination mit den inhaltlichen und strukturellen Setzungen sowie den Ergebnissen der hier skizzierten diagnostischen Maßnahmen führten zur Grundkonzeption und Umsetzung der Sequenz als ein Stationenlernen, welches eine gewisse Freiheit der Bearbeitungsreihenfolge, der Wahl des individuellen Arbeitstempos sowie der Sozialform als potenzielle Lernunterstützung gewährleistet (vgl. Mattes 2011). Die klare thematische und zeitlich-räumliche Auftrennung der Stationen unterstützt dabei die Kenntnis der Lernenden zu Abfolge und Inhalt der einzelnen Arbeitsschritte und damit die zu fördernde strategiebasierte Auswertungskompetenz.
Jede Station offeriert die Möglichkeit, jederzeit aus verschiedenen Optionen möglicher Erarbeitungsmethoden (z. B. die Dekodierung des Maßstabs mittels Verhältniszahl und des entsprechenden Rechenwegs oder den bildlich-haptischen Zugang über das Abmessen mittels der Maßstabsleiste), verschiedenen Graden der Komplexitätsreduktion (digitale und analoge Eingrenzungshilfen für Kartenfeld und Legende) und multiplen kartographischen Darstellungsmethoden (Atlaskarte, interaktive Projektion, großformatig-haptisches 3D-Modell) auszuwählen (zur Reduktion von Kartenkomplexität vgl. Hüttermann 2001). So kann heterogenen Leistungs- und Vorwissensniveaus und individuellen Präferenzen bzgl. verschiedener Lernstile und -strategien (vgl. z. B. Mandl & Friedrich 2006) entsprochen werden.
Innerhalb der einzelnen Stationen sind als Differenzierungsmaßnahmen adaptive Hilfen zentral. Im Sinne frei hinzuziehbarer Materialien, die den Lernprozess unterstützen, steht an jeder Station ein System von Hinweiskarten zur Verfügung, welche je nach prozeduralem oder deklarativem Wissensdefizit selbstständig ausgewählt und genutzt werden können. Zu beachten ist hier eine dezidierte Erläuterung und Einführung der Schülerinnen und Schüler in das Arbeiten mit Unterstützungsangeboten solcher Art vor dem Start der Erarbeitung, da diese aus dem Schulalltag weitgehend unbekannt sein könnten.