Teilprojekt C02

Literatur als "Equity" in der britischen Literaturgeschichte

Die wissenschaftliche Fragestellung des Teilprojekts zielt auf eine Kernfrage des Sonderforschungsbereichs: "Inwiefern braucht das Recht die Literatur?", mit der untergeordneten impliziten Wendung "Inwiefern braucht die Literatur das Recht?". Diese Fragen werden hier in historischer Perspektivierung für die britische Kultur-, Literatur- und Rechtsgeschichte erarbeitet. Das Teilprojekt ist auf drei, konsekutiv geplante Förderphasen im Rahmen des Sonderforschungsbereichs hin angelegt. In der ersten Förderphase liegt dabei das Hauptaugenmerk vor allem auf dem 18. und 19. Jahrhundert mit besonderer Berücksichtigung der Equity-Jurisdiktion im 19. Jahrhundert. Übergreifendes Ziel des Teilprojekts ist die Erforschung des Verhältnisses von Literatur und Recht in Großbritannien entlang der Leitthese, dass die im 18. Jahrhundert etablierte gesellschaftliche Dominanz des Rechtsdiskurses dann im 19. Jahrhundert durch eine sich gesellschaftlich neu formierende englische Nationalliteratur abgelöst wurde. Dies, so die These weiter, geschah u.a. in der Beanspruchung einer Equity-Funktion für die Literatur. Es soll somit ein Übergangsprozess nachgezeichnet werden, der mit dem Ideal einer Herrschaft des Rechts (buchstäblich Rule of Law) über alle Organe, Gruppen und Institutionen der Gesellschaft einsetzt, welches durch die Glorious Revolution und durch die Etablierung der konstitutionellen Monarchie an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert aufgestellt wurde. Davon betroffen ist auch die Literatur, die sich gelegentlich als Stütze dieses Rechtsgebäudes versteht, vielfach aber auch als eine mit dessen Machtmitteln zu regulierende und zu ‚ordnende‘, disruptive Kraft dargestellt wird, ihrerseits diese aber wiederum kritisch begleitet und kommentiert. Diese Vorstellung von Literatur als eingebettet in einem primär juridisch fundierten Gesellschaftskonzept erlebt ihren Höhepunkt und gleichzeitig ihre entscheidende Krise im Utilitarismus von Jeremy Bentham und James Mill einerseits und unter dem Einfluss des Gedankenguts der Romantik andererseits, was sich u.a. im Wirken von John Stuart Mill (1806-1873) gut illustrieren lässt. Es zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab von einer literarischen Praxis, die sich mit dem Recht auseinandersetzt, die Rechtsprechung als Grenze erfährt und Rechtsverhältnisse und -praktiken thematisiert, somit ein Stück weit auch durch das Recht konstituiert wird, hin zu einer Literaturvorstellung im 19. Jahrhundert, die sich zunehmend vom Rechtsdiskurs emanzipiert und sich als eigenständige gesellschaftliche Größe dominant inszeniert. Dabei geschieht diese Inszenierung allerdings unter Rückgriff auf juridische Muster und Grundsätze, so dass von einer persistierenden Verschürzung der literarischen mit den rechtlichen gesellschaftlichen Diskursen ausgegangen werden muss. Daraus entsteht ein literarisch fundiertes Gesellschaftskonzept, etwa bei Charles Dickens oder Matthew Arnold, das im Hochviktorianismus seine stärkste Ausformung findet, bis es später selbst mit der heraufziehenden Moderne in die Krise gerät. Die letztgenannte Entwicklung sowie die anschließende Wiederaufnahme der früheren Literaturkonzepte in der Postmoderne sind als Forschungsgegenstände für die weiteren Förderphasen des Sonderforschungsbereichs vorgesehen. In der ersten Förderphase sollen die Konstitution der staatlichen Rechtsgrundlagen und die sich anbahnende Konstitution des Literaturbegriffs in Anlehnung an, aber auch zunehmend in Auseinandersetzung mit dieser Rechtsentwicklung auf einer Postdoc-Stelle erforscht werden. Auf ausgewählte Teilfragen im 19. Jahrhundert, nämlich den Topos des Dichters als Gesetzgeber und den Einfluss der Literatur auf die Entwicklung des Equity-Rechts, zielen zwei integrierte Promotionsvorhaben, während der große Bogen der so erfassten Entwicklung in einer britischen Literaturgeschichte aus der Sicht der Recht und Literatur-Forschung durch den Projektleiter mit besonderer rechtswissenschaftlicher Unterstützung aus Großbritannien erfolgt.

Teilprojektleitung

Prof. Dr. Klaus Stierstorfer
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Englisches Seminar
Johannisstr. 12-20, Room 222
48143 Münster
Tel.: +49 251/83-24296
E-Mail: stierstorfer@wwu.de

Prof. Dr. Oliver Lepsius, LL.M.
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verfassungstheorie
Bispinghof 24/25, Alte UB 213 a
48143 Münster
Tel.: +49 251/83-23619
E-Mail: oliver.lepsius@uni-muenster.de

Wissenschaftliche Mitarbeit

PD Dr. Franziska Quabeck
Dr. Laura Zander

Laura Schmitz-Justen