Der dynamische Cluster "Justiz- und Kriminalfilm" des SFB 1385 veröffentlichte seit September 2021 vier Podcast-Folgen in der Reihe "Recht abgedreht", die sich mit Filmen über Recht beschäftigt. "Recht abgedreht – Der Podcast zu Recht und Film" versuchte, verschiedene Bereiche abzudecken: Neues und Altes, Indie und Hollywood, Doku und Fiction, Ost und West, Süd und Nord. Es wurden nicht nur recht divergente Filme ausgewählt, sondern diese Filme thematisieren Recht auch auf sehr unterschiedliche Weise. Die Folgen stehen für sich allein.
Klappe die 1.
Inherit the Wind(1960) von Stanley Kramer
Showdown im Gerichtssaal
In Hillsboro (Tennessee) herrscht Frieden - bis der junge Lehrer Bertram T. Cates es 1925 wagt, im Schulunterricht die Evolutionstheorie vorzustellen. Cates und seine Verlobte Rachel Brown geraten zwischen die ideologischen Fronten, die der Verteidiger Henry Drummond und der Ankläger Matthew Harrison Brady verkörpern. Der Film zeigt, wie Ideen Menschen trennen und wie allein man sein kann, wenn man gegen den Mainstream schwimmt. Der Rechtsdiskurs wird dabei zum Katalysator für die Gegenüberstellung von Kreationismus und Evolutionstheorie: Am Ende wird der Ankläger in den Zeugenstand gerufen und es ist an ihm, Bibel und Gott gegen den Wandel der Zeiten zu verteidigen.
Scopes, John Thomas (1971). The world's most famous court trial, State of Tennessee v. John Thomas Scopes; complete stenographic report of the court test of the Tennessee anti-evolution act at Dayton, July 10 to 21, 1925, including speeches and arguments of attorneys, New York: Da Capo Press.
Entscheidung des Supreme Court of Tennessee (Appeal) von 1927:
Nader und Simin – Eine Trennung(2011) von Asghar Farhadi
Recht löst keine Probleme
Am Anfang steht eine Trennung. Simin möchte den Iran verlassen, weil sie im Ausland eine bessere Zukunft für ihre Tochter erwartet. Nader hingegen will Termeh nicht aus ihrer vertrauten Umgebung herausholen. Nach 14-jähriger Ehe lassen die beiden sich scheiden, aber was das für Termeh bedeutet, entscheidet der Richter nicht. Stattdessen: Türen, die geschlossen werden, Fensterscheiben, die zwischen Personen stehen, Trennwände allerorten. Kinder, die hinausgedrängt werden, Erwachsene, die einander wegdrängen, wegschubsen, bis hin zu einem Sturz, der vielleicht für eine Fehlgeburt verantwortlich ist. Überhaupt: Vielleicht. Neben den Trennungen wohl der andere Begriff des Films: Vielleicht ist Nader für die Fehlgeburt seiner Haushaltshelferin verantwortlich, weil er Razieh in Ärger aus seiner Wohnung geschubst hat. Vielleicht hat Razieh Geld gestohlen. Vielleicht tut sie etwas, das der Imam ihr verboten hat. Vielleicht aber ist sie auch unschuldig, hat versucht, allem gerecht zu werden, in einer Abfolge von Situationen, die ihr über den Kopf wachsen.
Die Figuren suchen in diesen ganzen Fragen Antworten beim Recht. Entscheiden sollen Richter. Aber zunehmend wird fraglich, ob das Recht imstande ist, die hier aufgeworfenen Probleme zur Zufriedenheit der Beteiligten überhaupt zu lösen. Regisseur Asghar Farhadi verhandelt in seinem Oscar-prämierten Drama Fragen nach Zugehörigkeit und die Frage danach, warum Menschen voneinander getrennt sind: soziale Klasse, Religion, Geschlecht. All diese Kategorien spielen eine Rolle. Aber auch sprachliche Unterschiede, Vorurteile, Schuld- und Schamgefühle trennen die Figuren in diesem kammerspielartigen Film, der trotz der allegorischen, symbolischen Ausgestaltung mit einer authentisch wirkenden, realistisch anmutenden Darstellung daherkommt.
Die Diskussion lotet aus, welche Probleme und Fragen aufgerufen, aber nicht abgeschlossen werden, und wie der Film das Publikum so in die Rolle der Richtenden setzt, in einem Fall, der zwei Familien aus völlig unterschiedlichen sozialen Schichten in eine gleichzeitig sehr nahe und doch sehr entfremdete Begegnung bringt.
Felix Lenz. "Beobachten und Urteilen. Filmische Form und Politik in Asghar Farhadis Nader und Simin - Eine Trennung." In: Film-Konzepte 55 (2019): 49-70.
Klappe die 3.
Rashomon (1950) von Akira Kurosawa
Zu viele Gretchenfragen
Kurosawas Kult-Film Rashomon beschäftigt nicht nur seit einiger Zeit Steven Spielberg, sondern auch uns. Das Meisterwerk der japanischen Filmkunst aus den 1950er-Jahren haben wir zum Anlass genommen, um über Fragen von Schuld, Verantwortung, Wahrheit und Perspektive zu diskutieren. Das alles vor dem Hintergrund eines meisterhaft komponierten Films, der (für seine Zeit) filmisch einiges zu bieten hat. Neben seiner Immersivität sind es die moralischen und normativen Fragen, die den Film für uns so spannend machen.
Als 'Pitaval' reiht sich diese Serie des DDR-Fernsehens ein in eine lange Tradition der Verbrechenserzählung und der Prozessberichterstattung. Der 'Staranwalt' Friedrich Karl Kaul präsentiert in dieser Folge ein Geschäftsmodell, das die Rezipierenden auch heute noch an den Entnazifizierungsbemühungen der jungen BRD zweifeln und verzweifeln lässt. Angefangen mit einem Prozess in der Weimarer Republik, zeichnet der Fernsehfilm eine deutsche Juristenkarriere nach, die in der politisch aufgeheizten Weimarer Republik ihren Anfang nimmt, die nationalsozialistische Diktatur zum eigenen Vorteil zu nutzen versteht und noch in der Bonner Republik opportunistisch mit dem (Meer-)Strom der Zeit schwimmt.
Sprecher*innen sind Daniel Arjomand, Kathrin Löhr, Marcus Schnetter und Dr. Sebastian Speth.
Schnitt: Johannes Ueberfeldt
Cover Design: Julius Noack
Intro: Johannes Ueberfeldt
Mitglieder des dynamischen Clusters: Daniel Arjomand, Gesine Heger, Kathrin Löhr, Julius Noack, Marcus Schnetter, Dr. Sebastian Speth, Johannes Ueberfeldt, Laura Wittmann