"Literarisches Eigentum" zwischen Recht und Kultur
Trotz der höchst dynamischen Entwicklung und der interdisziplinären Ausweitung des internationalen Forschungsfeldes „Recht und Literatur“ in den letzten 30 Jahren erscheint die Frage nach dem Status und der Konzeptualisierung von Literatur als „Eigentum“ immer noch unterschätzt und auffällig vernachlässigt. Dies liegt zum einen an der Inkompatibilität der jeweils spezifischen Semantik des Eigentumsbegriffs in rechtswissenschaftlichen und literaturwissenschaftlichen Diskursen, zum anderen aber auch an einer stark funktionalen Ausdifferenzierung des Eigentumsdiskurses selbst. Angesichts der immensen aktuellen politischen, sozialen und kulturellen Brisanz der Auseinandersetzungen über „geistiges Eigentum“, Copyright, Plagiate, Open Access, Cultural Appropriation etc., der zunehmenden Deklaration und Verwertung individueller textueller Kreativität und Praxis als corporate property, sowie der offenkundigen Veränderungen im Bereich der lite-rarischen Produktion und Rezeption, stellt sich daher die Frage, wie eine stärkere interdisziplinäre Fokussierung der Eigentumsproblematik möglich, sinnvoll und vor allem erkenntnisbringend sein kann. Dies gilt vor allem im Hinblick darauf, dass die literatur- und kulturwissenschaftliche Dimension einer generellen „Eigentumsgeschichte“ methodologisch und theoretisch immer noch (zu) wenig konturiert erscheint.
Das Projekt versucht, die methodologischen und konzeptuellen Differenzen zwischen der rechtlichen und der literarischen Geschichte des „geistigen Eigentums“ dialogisch aus grundsätzlich historischer Perspektive aufzuarbeiten und zu reflektieren. Dabei weist das zentrale Erkenntnisinteresse des Projekts jedoch weit über die einfache Betrachtung und Einschätzung historischer Bedingungen und Konstellationen hinaus. Ziel ist es, anhand von vergleichenden historischen Studien im Austausch zwischen Rechts- und Literaturwissenschaft die grundlegenden Bedingungen, Bewegungen und Dynamiken innerhalb der Entwicklung eines modernen, transnationalen Verständnisses des literarischen Eigentums als paradigmatische Form „geistigen Eigentums“ herauszuarbeiten, vor allem, um seine anhaltende, gegenwärtige und zukünftige, Wirkungsmacht mit Blick u.a. auf die interessengerechte Auslegung und effektive Modellierung des rechtlichen Schutzumfanges besser zu verstehen.
Ausgehend von der Grundthese, dass rechtliche und kulturelle Konzeptionen „literarischen Eigentums“ in einem wechselseitigen kognitiven Spannungs- und pragmatischen Ausgleichsverhältnis stehen, verfolgt das Projekt zwei komplementäre Perspektiven: Einerseits wird untersucht, wie die inhärente Spannung zwischen eher individualistischen und eher kollektivistischen Auffassungen der Rechte und Ansprüche sich in literarischen und rechtlichen Diskursen im U.S.-amerikanischen und europäischen Kontext (insbesondere auch im Vergleich zu Entwicklungen in Deutschland und Frankreich) seit dem 19. Jahrhundert niedergeschlagen hat, andererseits wie diese Spannung im Recht und in der Literatur in diesen unterschiedlichen Kontexten fortwährend verhandelt wird. Den konkreten historischen Kontext für die in diesem Teilprojekt zusammen geführten Einzelprojekte bildet die Debatte um die Etablierung internationaler Schutzrechte (international copyright) im 19. Jahrhundert, vor allem die intensive Diskussion um das „geistige Eigentum“ im U.S.-amerikanischen Kontext, in welcher Grundsatzfragen der rechtlichen, politischen und kulturellen Funktion von Eigentum allgemein, speziell aber des geistigen Eigentums, verhandelt wurden. Es ist insbesondere die intensive Verhandlung unterschiedlicher nationaler und rechtskultureller Positionen im Hinblick auf die ideelle kulturelle Bewertung einerseits und die rechtliche Pragmatik andererseits, welche die U.S.-amerikanische Copyright-Debatte des 19. Jahrhunderts zu einem exemplarischen Vorläufer und Modellfall gegenwärtiger Auseinandersetzungen um die Internationalisierung bzw. Globalisierung einer (westlichen) ‚Kultur des Geistigen Eigentums‘ macht. Im Zentrum steht also die historische Perspektive auf die aktuellen Legitimationsdebatten eines Eigentumsbegriffes, der sich wie kein anderer im Spannungsfeld von Recht und Kultur bewegt, und doch für beide in jeweils aufeinander bezogener Weise konstitutiv wirkte und immer noch wirkt.