Eine Lebenspartnerschaft einzugehen und den Bund der Ehe zu schließen, gilt in euro-amerikanischen Gesellschaften als Inbegriff des Rechts auf individuelle Entscheidungen der Lebensführung entsprechend persönlicher Neigungen und Gefühle. Aus dieser Perspektive betrachtet erscheint der Sachverhalt, dass eine Heirat in anderen Semantiken als der der Liebe artikuliert werden kann, als Indiz für die Unterwerfung des Individuums unter den normativen Zwang des Kollektivs. Arrangierte Heiraten, wie sie in Indien und vielen anderen Regionen weltweit praktiziert werden, scheinen keine individuelle Entscheidungsfindung vorauszusetzen, sondern unreflektiert den Werten und der Macht der Tradition zu folgen. Solche Gewissheiten werden von ethnologischen Forschungen zu Heirat und Verwandtschaft im modernen Indien hinterfragt, die zeigen, dass die Grenzen zwischen Konzeptionen und Praktiken von arrangierten und von Liebes-Heiraten durchlässiger und umstrittener sind, als vielfach angenommen. Dieser Befund legt die These nahe, dass Heiraten in jedweder Form aus sozialen Prozessen des Entscheidens hervorgehen – deren unterschiedliche Dynamiken bisher jedoch von der Forschung weitgehend vernachlässigt wurden.
Daher stellte sich die Frage nach den kulturellen Diskursen von Heirat als einer Entscheidungssituation sowie nach den Akteuren, die an diesen Prozessen des Entscheidens beteiligt sind. Das Paradigma der Mediation, verstanden als Wechselbeziehung zwischen einer (technisch) medien-saturierten Umwelt und anderen Domänen des sozialen Lebens lenkt den Blick auf die Beziehung zwischen der Heirat als praktischer Entscheidungssituation und deren Reflexion in medialen Erzählungen über das Heiraten. In diesem Sinne fragte das Teilprojekt A06 sowohl nach dem Gebrauch diverser Medien (vor allem des Internets) in Prozessen matrimonialen Entscheidens im gegenwärtigen Indien als auch nach den Repräsentationen und Imaginationen solchen Entscheidungshandelns, die in diversen medialen Erzählungen (Bollywood-Filmen, TV-Talk Shows, Blogs usw.) mobilisiert werden. Das Teilprojekt zielte damit auf einen ethnologischen Beitrag zur Erweiterung einer historisch-kulturwissenschaftlichen Perspektive, die gerade auch privates und familiäres Entscheiden nicht auf individuelle Intentionen reduziert, sondern seiner Einbettung in sozialen Praktiken nachspürt. Im Teilprojekt wurde der Fokus dabei auf die allgemeine Frage gerichtet, wie soziale Konstruktionen und Narrative des Entscheidens durch heterogene Akteure (Menschen und Medien) erzeugt und wie diese in unterschiedlichen sozialen Entscheidungssituation mobilisiert und genutzt werden.