Das Teilprojekt A01 hat sich zum Ziel gesetzt, Werke der höfischen Klassik um 1200 systematisch hinsichtlich der Formen und Funktionen komplexer Entscheidensprozesse zu erschließen. Ausgangshypothese des Teilprojekts war, dass sich mittels einer rhetorisch-erzähltheoretisch perspektivierten Analyse von Entscheidenshandlungen gattungsspezifische wie gattungsübergreifende Regularien, die als Poetiken des Entscheidens gefasst werden, rekonstruieren lassen. Zum Korpus der zu untersuchenden Texte zählten unter anderem die epischen Werke Hartmanns von Aue, Wolframs von Eschenbach und Gottfrieds von Straßburg. Im Zentrum der Analyse standen dabei narrative Darstellungskonventionen und reflexive Beobachtungen von Entscheiden. Die Vielfalt der in den Untersuchungstexten dargestellten Sequenzen des Entscheidens korrespondiert mit unterschiedlichen Modi des Entscheidens, die von ritualisierten Beratungsszenen zwischen Herrscher und Hof bis hin zu verschiedenen Formen des Gottesurteils reichen.
In heuristischer Hinsicht lässt sich das zu untersuchende Korpus durch die Unterscheidung von drei Gegenstandsfeldern systematisieren: Entscheiden im Kontext personaler Beziehungsdynamiken, Entscheiden im Kontext von Herrschaftshandeln sowie Entscheiden im Kontext verdichteter Konfliktkonstellationen. Diese Bereiche wurden u.a. nach der Generierung von Entscheidungsbedarf und der narrativen Inszenierung von Entscheidungspraxis befragt. Es steht zu vermuten, dass in den zu untersuchenden Texten das Entscheiden als komplexe Legitimationsstrategie für die literarischen Entwürfe von ‚Gesellschaft‘, ‚Herrschaft‘, aber auch ‚Individuum‘ von zentraler Bedeutung ist. Indem die literarische Darstellung von Entscheiden realhistorische Problemhorizonte des Entscheidens aufgreift, konnte das Projekt die in jüngerer Zeit wieder aufgeworfene Frage nach dem gesellschaftlichen Charakter der höfischen Literatur aus einer neuen Perspektive diskutieren und auf diese Weise höfische Dichtung als kulturelle Praxis profilieren.