„Nicht Religionen, sondern Menschen tragen Konflikte aus“
Historikerin Prof. Stollberg-Rilinger zur religiösen Vielfalt von der Antike bis heute
Der Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster greift mit seiner neuen öffentlichen Ringvorlesung ein aktuelles Thema auf. 15 renommierte Referenten fragen nach der „Integration religiöser Vielfalt von der Antike bis zur Gegenwart“. Sie beleuchten Probleme zwischen Christen und Muslimen von heute genauso wie religiöse Konflikte aus anderen Epochen und Kulturen. Historikerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger, die die Reihe organisiert hat, erläutert im Gespräch mit dem Zentrum für Wissenschaftskommunikation, warum es in der Geschichte immer wieder zu Konflikten zwischen Angehörigen verschiedener Religionen kam und was sich daraus für die Gegenwart lernen lässt.
Die Ringvorlesung behandelt die religiöse Vielfalt von der Antike bis heute. Ist das Nebeneinander verschiedener Religionen nicht erst ein Phänomen der Moderne?
Ganz im Gegenteil. Historisch betrachtet ist es eine Ausnahme, wenn alle Mitglieder einer politischen Gemeinschaft denselben Glauben haben. Die Regel ist die religiöse Vielfalt. Das gilt für alle Epochen, zu denen schriftliche Quellen vorliegen. Zum Problem konnte es werden, weil der religiöse Kult ja keine Privatsache, sondern immer auch ein wichtiges soziales Bindemittel war. Daher beginnt unsere Ringvorlesung zeitlich mit der Stellung der Juden im antiken Perserreich. Das jüdische Volk musste sich stets in einer fremdreligiösen Umwelt behaupten; das hat seine Identität geprägt.
Welche weiteren Epochen und Kulturen behandelt die Reihe?
Wir beleuchten Beispiele der europäischen und außereuropäischen Geschichte ebenso wie aktuelle Themen. Das Spektrum reicht von Juden, Christen und Muslimen im Mittelalter über konfessionelle Auseinandersetzungen der Frühneuzeit und der Kulturkampfzeit bis zur religiösen Vielfalt in Indien und China. Neben den monotheistischen Religionen geht es auch um Hinduismus, Jainismus und Buddhismus. Mehrere Vorträge befassen sich mit hoch aktuellen Fragen: Der prominente Schriftsteller Navid Kermani spricht über „Verständigungen und Missverständnisse“ zwischen Deutschen und Muslimen. Der Jurist Janbernd Oebbecke behandelt das Problem des islamischen Religionsunterrichts. Er hat maßgeblichen Anteil daran, die Ausbildung muslimischer Religionslehrer an der Universität Münster zu etablieren und ist Spezialist für die vielen Rechtsfragen, die das mit sich bringt. Zum Abschluss der Reihe spricht der Frankfurter Politikwissenschaftler Rainer Forst über „Toleranz und Integration“. Er wird die Frage stellen, ob man Lehren aus der Vergangenheit für die Gegenwart ziehen kann.
Kann man denn solche Lehren ziehen?
Eine historische Situation gibt es nie zwei Mal. Insofern lassen sich keine Handlungsregeln ableiten. Aber die Geschichte erlaubt es, die eigene Situation aus einem weiteren Blickwinkel zu betrachten. Das schärft die Urteilskraft. Zum Beispiel lassen sich zwischen meinem Forschungsbereich, dem Konfessionellen Zeitalter, und der Gegenwart Parallelen finden: Nach der Reformation gab es massive Konflikte zwischen Katholiken und Protestanten, die heutigen Problemen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen ähneln. Das steigerte sich bekanntlich in einen blutigen Konfessionskrieg. Konflikte brachen und brechen überall da auf, wo die Religion öffentlich sichtbar wird. Wie sich im 17. Jahrhundert die Protestanten über katholische Wegekreuze und Kapellen aufregten, so regt man sich heute über den Bau von Minaretten auf. Man kann auch sehr gut beobachten, wie machtpolitische und ökonomische Interessen aus religiösen Konfrontationen Nutzen ziehen und sie zusätzlich verschärfen.
Stiften Religionen denn eher Streit als Frieden?
Das lässt sich nicht so einfach sagen. Wenn man dazu die kanonischen Texte der Religionen betrachtet, stellt man fest, wie vieldeutig sie sind. Die Schriften lassen sich sehr selektiv lesen und für die jeweils eigenen Absichten auslegen. Ob Konflikte entstehen, hängt damit stärker von der jeweiligen Situation ab, in der sich die Gläubigen befinden, als von ihren Glaubenslehren. Es lassen sich immer Textstellen finden, die es rechtfertigen, Konflikte eskalieren zu lassen. Selbst Päpste haben sich ja zu früheren Zeiten auf die Bibel berufen, um Gewalt zu rechtfertigen. Dieses Thema wird der Exzellenzcluster übrigens in der Ringvorlesung 2011 behandeln.
Wovon hängt es ab, ob es zu Konflikten zwischen Religionen kommt?
Das ist ein ungeheuer kompliziertes Feld. Heute ist es populär zu behaupten, Religionen machten aus sich heraus Probleme. Der Islam sei kriegerisch, das Christentum friedlich, heißt es dann. Diese Sicht halte ich für äußerst problematisch. In unseren Vorträgen wird deutlich werden, dass viel mehr Faktoren eine Rolle spielen. Wenn eine Gruppe politisch, wirtschaftlich oder sozial schlechter gestellt ist als die Mehrheit, entstehen auch mehr Konflikte. Die Gruppierung wird dann überhaupt stärker als religiöse Gruppe wahrgenommen. Hinzu kommt, dass den Menschen zu manchen Zeiten der Glauben und die Kulte Anderer eher gleichgültig waren. Die Grenzen zwischen den Religionen blieben vage. In anderen Epochen war das Interesse am Glauben und Gewissen der Anderen dagegen groß – ein gewisser Zwang zur Eindeutigkeit und zur Ermittlung der religiösen Wahrheit.
Besteht heute eine solche Tendenz zur Eindeutigkeit?
Ja, absolut. Europäische Gesellschaften zeigen eine starke Tendenz zu eindeutigen religiösen Bekenntnissen. Es reicht ihnen nicht, wenn Einwanderer sich gesetzeskonform verhalten. Sie verlangen von ihnen Wertbekenntnisse, aus Misstrauen gegenüber dem Fremden. Muslimische Einwanderer sollen in Fragebögen ihre innere Überzeugung
preisgeben. In dieser Atmosphäre ist es wichtig, dass Geisteswissenschaftler Gefahren aufzeigen: Je mehr Angst vor Fremden geschürt wird, je stärker Menschen diffamiert werden, umso mehr werden sie ausgeschlossen statt integriert.
Ist die Ringvorlesung typisch für das Arbeiten am Exzellenzcluster?
Die Reihe bildet die Arbeit am Cluster insofern ab, als sich Vertreter vieler verschiedener Fächer versammeln und zum selben Thema arbeiten: Historiker, Theologen, Judaisten und Religionswissenschaftler sind genauso dabei wie Ethnologen, Juristen und Soziologen. Sie bringen ihre fach- und epochenspezifische Kompetenz ein. Hinzu kommen Gäste von außerhalb. Wir nutzen dies, um unsere Beziehungen zu anderen Einrichtungen zu pflegen, die zum selben Thema forschen.
Interview: Viola van Melis