(A2-28) Kritische Edition der deutschen Verfassungen nach 1945
Das Projekt zielt darauf ab, der Wissenschaft eine verlässliche Edition der deutschen Landesverfassungen der Nachkriegszeit zur Verfügung zu stellen. Eine solche fehlt. Zwar sind die noch geltenden Landesverfassungen in ihrer jeweils aktuellen Fassung mittlerweile gut und in der Regel zuverlässig in Papier-und Onlineform zugänglich. Angesichts ihres auf die Rechtsanwendung zugeschnittenen Zugriffs verzeichnen diese Publikationen aber nicht die Ursprungs-und möglichen Zwischenfassungen der Urkunden und taugen mithin nicht für die Historisierung der Urkunden. Dies leistet auch·nicht die gängige Edition von Pestalozza (Verfassungen der deutschen Bundesländer, 10. Aufl. 2014); sie weist zwar Änderungsgesetze zur letzten verkündeten Fassung nach und enthält Fußnotenhinweise auf Eingriffe des verfassungsändernden Gesetzgebers, orientiert aber nicht über den Umfang der Änderung oder den zuvor bestehenden Rechtszustand. Diese Leistung wird für Teile der Urkunden versucht auf der Seite www.verfassungen.de, doch ist diese nach einhelliger Auffassung im Fach extrem unzuverlässig. Als Beleg, dass offenbar nach einer automatischen Texterkennung ohne jede Kontrolle publiziert worden ist, soll hier Art. 3 Satz 1 des Staatsgrundgesetzes des Staates Groß-Hessen vom 22.11.1945 genügen: „Der Ministerpräsident siebt an der Spitze der Staatsregierung.“ Besonders prekär ist schließlich die Situation in Ansehung der nicht mehr geltenden Landesverfassungen (also die der ostdeutschen Länder von 1946/47 sowie der Vorgängerstaaten Baden-Württembergs aus dem gleichen Zeitraum). Wer mit ihnen arbeiten will, ist entweder auf die Gesetzblätter, den oben genannten Internetauftritt oder zeitgenössische Publikationen angewiesen.
Die Edition orientiert sich in der Sache an der Ausgabe „Weimarer Landesverfassungen“, die der Projektleiter Prof. Dr. Fabian Wittreck 2004 herausgebracht hat und die in der Rezensionsliteratur einhellig positiv aufgenommen worden ist. Danach sollen zu jedem Land folgende Dokumente erfasst werden: Übergangsverfassungen bzw. alliierte Gründungsurkunden, die eigentliche Verfassungsurkunde sowie die Änderungen dazu. Dabei werden die Änderungsgesetze doppelt nachgewiesen, also im Haupttext als fortlaufende Dokumente, in den Fußnoten jeweils als detaillierter Nachweis der Eingriffe in den Text der Verfassungsurkunde. Ergänzt werden die Dokumente um einen Nachweis wichtiger Entscheidungen (Volksentscheide sowie [verfassungs]gerichtliche Judikate) sowie eine möglichst umfassende Bibliographie.
Der Mehrwert einer solchen Edition liegt auf der Hand. Gerade für die anstehende Historisierung der frühen Bundesrepublik (wie der frühen DDR) sind die Ursprungstexte der geltenden wie die nicht mehr geltenden Verfassungen ausgesprochen wichtige Quellen (dies hat sich auch im Prokekt A2-23 Religiös radizierte Wirtschaftsordnungen unter dem Grundgesetz – Neuthomistisches Naturrecht in deutschen Nachkriegsverfassungen bestätigt), da sie fast durchweg so genannte Lebensordnungen enthalten, also Bestimmungen über das Religionsverfassungsrecht, das Bildungswesen, Ehe und Familie sowie die Wirtschaftsordnung. Diese ursprüngliche Ausrichtung ist in den geltenden Fassungen teils nicht mehr nachvollziehbar – besonders ausgeprägt in Rheinland-Pfalz, wo von der klaren Naturrechtsprägung heute praktisch nichts mehr übriggeblieben ist.
Die technische Umsetzung soll zweigleisig erfolgen, also sowohl auf eine Print-Edition als auch auf eine in Kooperation mit der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) umzusetzende digitale Edition zielen. Die Kooperation mit der ULB besteht bereits in Gestalt eines weiteren verfassungsgeschichtlichen Editionsprojektes, das Prof. Dr. Fabian Wittreck gemeinsam mit Prof. Dr. Hinnerk Wißmann betreibt. Ziel wäre ein dreistufiges Vorgehen: Erfassung und Edition der Dokumente als pdf, Umwandlung in html-Dokumente durch automatische Erfassung und Korrektur von Hand sowie zuletzt die Erstellung eines Textcorpus, in dem zum Zwecke der späteren Erschließung durch Dritte ausgewählte Angaben markiert werden können (hier drängen sich etwa Vorgängerdokumente aus der Zwischenkriegszeit, das Grundgesetz, aber auch internationale Dokumente oder Besatzungsrecht auf). Der letztgenannte Arbeitsschritt stellt insofern einen besonderen Mehrwert dar, als sich die Rechtswissenschaft in Sachen „Digital Humanities" bislang schwertut und bislang bei der begrenzten Funktionalität von bloß ins Netz gestellten Texten praktisch stehengeblieben ist.