"Die Vielfalt nutzen"
Die Kleinen Fächer an der Universität in Münster schaffen es, durch Gemeinschaftsprojekte viel Aufmerksamkeit zu bündeln – und vor allem große Diskurse zu bereichern. Bei den Kleine Fächer-Wochen sollen diese Erfahrungen jetzt besonders herausgearbeitet werden.
Bei der Frage nach Konflikten muss sie lachen, so abwegig erscheint sie ihr. "Bislang habe ich kein einziges Minenfeld entdeckt", sagt Angelika Lohwasser entschieden, dann fügt sie hinzu: "Ganz im Gegenteil: Es ist eine sehr kollegiale und offene Zusammenarbeit!" Die Ägyptologie-Professorin hat an der Universität Münster das Netzwerk "Archäologie diagonal" ins Leben gerufen, an dem etliche Kleine Fächer beteiligt sind. Fast zehn Jahre ist das jetzt her, und der engere Kontakt der unterschiedlichsten Kollegen ist zu einer veritablen Erfolgsgeschichte geworden.
Ein Alleinstellungsmerkmal der Universität Münster ist die Vielzahl der Kleinen Fächer im geisteswissenschaftlichen Bereich. Das dadurch bereitgehaltene Knowhow zu bündeln – das ist der Hintergedanke bei den vielen Gemeinschaftsprojekten, die hier von den Lehrstuhlinhaberinnen und -inhabern in den vergangenen Jahren systematisch angeschoben worden sind. Ein Exzellenzcluster ("Religion und Politik: Dynamiken von Tradition und Innovation") gibt es schon vergleichsweise lange, an ihm sind neben zahlreichen Kleinen Fächern auch mehrere große Disziplinen beteiligt. Hinzu kommen ein inzwischen ausgelaufener Sonderforschungsbereich ("Kulturen des Entscheidens"), ein interdisziplinärer Masterstudiengang über antike Kulturen, an dem sich viele Kleine Fächer beteiligen – und das Netzwerk Archäologie diagonal. "Als ich 2009 nach Münster kam, habe ich festgestellt, dass es hier an der Universität viele archäologische Fächer gibt – aber die sind verteilt über drei Fachbereiche, die Kollegen sitzen in unterschiedlichen Gebäuden und man läuft sich nicht zufällig über den Weg", erinnert sich Angelika Lohwasser. Das wollte sie ändern, lud kurzerhand die Kolleginnen und Kollegen zu einem ersten Treffen ein – und alle kamen. Das war die Geburtsstunde von Archäologie diagonal. An dem Netzwerk sind heute zehn Institutionen beteiligt, von der Forschungsstelle Antike Numismatik über das Institut für Byzantinistik und Neogräzistik bis zum Institut für Interdisziplinäre Zypernstudien.
"Als erste Aktion haben wir einen ‚Tag der Archäologien‘ veranstaltet", erinnert sich Angelika Lohwasser. Von morgens bis abends gab es 15-minütige Kurzvorträge der beteiligten Wissenschaftler, es gab eine Posterausstellung und vor allem jede Menge Aufmerksamkeit von der interessierten Öffentlichkeit, von Studieninteressenten und nicht zuletzt auch von Universitätskollegen aus anderen Fächern. Aus diesen Anfängen erwachsen regelmäßig gemeinsame Aktivitäten – derzeit läuft etwa eine Veranstaltungsreihe zum Thema "digital archeology", in der jedes beteiligte Fach in einem Sitzungstermin einen besonderen Aspekt beleuchtet, wie die Digitalisierung die Archäologie und ihre Methoden verändert. Immer wieder arbeiten die Aktiven aus dem Netzwerk auch an Skizzen für ein gemeinsames Forschungsprojekt – und auch, wenn es bislang noch keine konkreten Formen angenommen hat, gebe es jede Menge Ideen für die nächsten Jahre, sagt Angelika Lohwasser.
Mit dieser Erfahrung starten die Münsteraner jetzt in die Kleine Fächer-Wochen – eine gemeinsame Initiative von HRK und BMBF. In einem Schulterschluss der geisteswissenschaftlichen Kleinen Fächer möchten sie sich darstellen; für Studieninteressenten, aber zugleich auch mit einem Fokus auf ihre Beiträge für die Gesellschaft.
Wie das aussehen kann, davon hat Achim Lichtenberger eine exakte Vorstellung. Er ist Professor für Klassische Archäologie und Christliche Archäologie und zugleich Direktor des Archäologischen Museums in Münster – und führt als Beispiel gern das Jahr 2018 an, in dem sich sowohl das Ende des Ersten Weltkriegs 1918 als auch der Westfälische Frieden von 1648 jährten. Anlässlich dieser runden Jahrestage schlossen sich fünf Museen in der Stadt zu einer gewaltigen Friedensausstellung zusammen, die die unterschiedlichsten Perspektiven auf den Frieden darstellten. Zu diesem hochaktuellen Thema konnten die Archäologen mit ihrer speziellen Herangehensweise ungewöhnliche Aspekte beitragen und damit die Debatte spürbar erweitern.
"Für mich hat die Interdisziplinarität zwei Formen", bilanziert Achim Lichtenberger seine Erfahrungen: Zum einen sei da die nahe Interdisziplinarität, wenn er als Archäologe etwa mit Altertumswissenschaftlern zusammenarbeitet. Zum anderen sei da aber eben auch die Interdisziplinarität über weitere Fächergrenzen hinweg – etwa, wenn bei Grabungen spezielles Knowhow aus der Geochemie zum Einsatz kommt. Diese beiden Formen der Zusammenarbeit zu pflegen, das sei an einer Universität wie Münster mit ihrem breiten Fächerangebot besonders gut möglich; auch und gerade für die Kleinen Fächer.
Text von Kilian Kirchgeßner
Projekt "Kleine Fächer-Wochen an deutschen Hochschulen" der HRK
Prof. Dr. Angelika Lohwasser (Institut für Ägyptologie und Koptologie)