Ägyptologe ergründet Herkunft der "Description de l‘Égypte"
Das Familienwappen und Initialen des Herzoghauses von Leuchtenberg brachten den entscheidenden Hinweis – und Erhart Graefe kam auf die Spur der münsterschen "Description de l’Égypte" ("Beschreibung Ägyptens"): Die Herkunft des seltenen Riesenbuchs mit zig Informationen über Ägypten – seit 1971 im Besitz des Instituts für Ägyptologie und Koptologie (IAEK) der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) – ist nun klar. "Es gehörte einst Eugène de Beauharnais, nach seiner Heirat mit Auguste von Bayern zugleich Herzog von Leuchtenberg. Er war Stief- und Adoptivsohn von Kaiser Napoleon Bonaparte."
Ein Medienbericht infolge eines Pressetermins im November 2017 brachte neuen Schwung in die "interessanten Nachforschungen" der vergangenen Monate von Erhart Graefe. Er ist pensionierter WWU-Professor für Ägyptologie und langjähriger Institutsdirektor. Lange waren Herkunft und Eigentümer des aufgeschlagen 1,65 Meter mal 1,30 Meter großen XXL-Buches inklusive zahlreicher dazugehörender Bild- und Textbände gänzlich unbekannt.
Nach Format und Inhalt ist es ein einzigartiges Werk mit der umfangreichen, 1802 erstmals erschienenen Beschreibung von Napoleons berühmter Ägypten-Expedition. Es gilt als das erste wissenschaftliche Buch der Neuzeit über Ägypten. Die WWU besitzt es in der zweiten Auflage, die ab 1826 erschien. Alles lagerte jahrelang gut behütet in einem Schrank der Institutsbibliothek. Studierende werfen in das Werk meist einmal im Studium einen Blick.
Kurze Zeit nach dem öffentlichkeitswirksamen Termin Ende 2017 kam der Anruf eines Bücher-affinen Münsteraners. "Er hatte das 'Exlibris', um dessen Abdruck ich einen Journalisten gebeten hatte, sofort erkannt", erzählt Erhart Graefe. Exlibris (lateinisch "aus den Büchern") heißt der kleine, in alten Büchern oft eingeklebte Zettel zur Kennzeichnung des Eigentümers; er wird auch "Bucheignerzeichen" genannt. Unter den in den Büchern entdeckten Initialen waren welche, die auf das Herzoghaus Leuchtenberg schließen ließen. Nun wurden weitere Recherchen möglich. "Damit hatte ich vor allem so schnell nicht gerechnet. Ich war absolut überrascht", erinnert sich der Ägyptologe.
Schließlich stellte sich heraus, dass das Buch "im Erbgang" wohl an Eugènes jüngsten Sohn Maximilien de Beauharnais (1817–1852) gelangte und viele Jahre in Russland war. Was nach dessen Tod mit der Description passierte, ist allerdings weiter unklar. Dass das mehrbändige Buch aber 1945 bei einer Versteigerung in Basel für 1500 Schweizer Franken keinen Käufer fand, ist indes nun überliefert und mit dem Auktionskatalog belegt.
Die nächste Lücke reicht bis 1971. Erhart Graefe: "In dem Jahr hat mein Vorgänger am IAEK, Jürgen von Beckerath (1920–2016), die vielen Text- und Bildbände der Description im Bonner Antiquariat Habelt erstanden – für 8900 DM". Ganz nebenbei kam der münstersche Wissenschaftler im Zuge seiner zahlreichen Telefonate, E-Mail-Korrespondenzen und Internetrecherchen in den zurückliegenden Monaten der Description de l’Égypte so nah, dass er zusätzlich eine historische Verwechslung entlarvte.
"In beiden Nachkriegsphasen des 20. Jahrhunderts waren zwei Sets des Werkes von je 39 Bänden im Handel. Irgendwann sind sie, genauer gesagt, die Überformatbände, vertauscht worden", berichtet Erhart Graefe. Aufgrund der bei dem Set des Herzogshauses angebrachten Initialen und Exlibris ist klar, dass die Serie in Münster 37 Bände der Leuchtenbergs umfasst, während die beiden Überformatbände dieses Sets im Rahmen einer Vertauschung nach Washington in die National Gallery of Art (NGA) gelangten. "Dort besitzt man die 37 anderen Bände, die ursprünglich zum Set der beiden münsterschen Überformatbände gehörten." Die Washingtoner Description, erfuhr der Ägyptologe bei seinen Recherchen, stamme aus dem Besitz eines Bankiers, der sie nach seinem Tod (1985) dem Washingtoner Kunstmuseum vermachte.
Unklar bleibt nun, woher der Bankier seine Description einst hatte. Der NGA ist es nicht bekannt. "Die Lücke zwischen 1945 Basel, Bonn 1971 und Amerika vor 1985 ist wahrscheinlich nicht aufklärbar", sagt Erhart Graefe abschließend.