Auslandssemester in Münster: Studierende aus Gabun im Interview
Jedes Jahr kommen mehrere hundert Studierende aus dem Ausland an die Universität Münster. Erstmals waren in diesem Wintersemester auch vier junge Menschen aus Gabun in Zentralafrika dabei. Möglich gemacht haben das eine Kooperation des Germanistischen Instituts der WWU mit der Universität Omar Bongo in Libreville sowie eine neue Förderlinie des Programms Erasmus+. Kurz vor Abschluss des Semesters blicken Bernette Snell Moussavou Guiyedi, Clarck-Warren Mawomba und Ibrahim Etoughe im Interview mit Julia Schwekendiek auf ihre Zeit in Münster zurück.
In Gabun ist Französisch Amtssprache, trotzdem unterhalten wir uns in fast perfektem Deutsch. Ist es nicht ungewöhnlich, in Gabun Deutsch zu lernen?
Clarck-Warren Mawomba: Wir haben schon in der Schule damit angefangen. Die erste Fremdsprache ist Englisch, in der achten Klasse muss man sich zwischen Deutsch und Spanisch entscheiden. Die meisten Schüler wählen Spanisch, weil es dem Französischen sehr ähnlich ist. Mir hat aber Deutsch besser gefallen, obwohl es schwierig zu lernen ist.
Ibrahim Etoughe: Manche haben Angst davor, Deutsch zu lernen, weil sie Diskriminierung befürchten. Deutsch gilt zum Teil bis heute noch als Sprache Hitlers.
Bernette Snell Moussavou Guiyedi: Das hat aber vor allem mit Unwissenheit zu tun. Trotzdem ist es nicht leicht, in Gabun Deutsch zu lernen. Es gibt kaum Lernmaterialien und nur wenige gabunische Deutschlehrer. Die meisten von ihnen kommen aus anderen Ländern wie Kamerun, Togo und Benin.
Trotzdem haben Sie sich nach der Schule dafür entschieden, Deutsch zu studieren. Wie sieht denn das Hochschulsystem in Ihrer Heimat aus?
Moussavou Guiyedi: In Gabun gibt es nur drei Universitäten. An der Universität Omar Bongo kann man Geisteswissenschaften, Wirtschaft und Jura studieren. Die deutsche Abteilung besteht erst seit 2009. Außerdem gibt es noch eine Universität für naturwissenschaftliche und technische Fächer und eine Universität für Medizin. Eine große Auswahl hat man also nicht.
Was wussten Sie vor Ihrem Auslandssemester über Münster und die WWU?
Moussavou Guiyedi: Es gibt seit einigen Jahren eine Kooperation zwischen dem Germanistischen Institut der WWU und unserer Universität in Gabun. So haben wir Dr. Nils Bahlo kennengelernt, der als Gastdozent an der Universität Omar Bongo war. Er hat uns von Münster erzählt.
Mawomba: Mir wurde gesagt, dass es in Münster viel regnet (lacht). Und dass alles sehr teuer ist.
Etoughe: Ich habe mir auf Youtube ein Video über Münster angesehen. Das richtige Interesse kam aber erst später. Es ist schön, die Stadt selbst zu entdecken.
War es schwierig, im Vorfeld die notwendigen Papiere zu bekommen?
Moussavou Guiyedi: Um ein Visum für einen längeren Auslandsaufenthalt zu beantragen, mussten wir nach Kamerun fliegen. In Gabun gibt es kein Konsulat, nur eine Botschaft. Das ist aber normal und war für uns kein Problem.
Haben Sie sich schnell eingelebt, nachdem Sie endlich in Deutschland angekommen waren?
Moussavou Guiyedi: Ich war vorher schon ein halbes Jahr an der Universität in Augsburg, deshalb hatte ich keine Schwierigkeiten. Allerdings ist es in Münster wirklich schwer, sich bei der Vielzahl an Uni-Gebäuden zu orientieren.
Etoughe: Wir haben in Wohngemeinschaften im internationalen Studentenwohnheim in Gremmendorf gewohnt. Dort hatten wir viel Kontakt zu anderen Erasmus-Studenten. Dadurch haben wir allerdings mehr Englisch als Deutsch gesprochen, das ist sehr schade. Außerdem ist das Wohnheim weit weg von der Innenstadt.
Mawomba: Ich habe mir deshalb ein Fahrrad gekauft, das wurde mir aber gestohlen.
Moussavou Guiyedi: Es ist schon beeindruckend, dass in Münster wirklich so viele Menschen mit dem Fahrrad unterwegs sind. Das ist eine richtige Lebensform – im Winter, im Sommer, sogar wenn es regnet. Weil ich kein Fahrrad hatte, bin ich mit dem Bus gefahren. Auf die Busse muss man aber oft warten. Dabei heißt es doch eigentlich, dass die Deutschen so pünktlich sind …
Und wie verlief der Start an der Uni?
Mawomba: Am Semesteranfang war eine Dozentin aus Gabun noch für einige Wochen am Germanistik-Institut. Sie hat uns vieles gezeigt. Außerdem hat jeder einen deutschen Studierenden als 'Buddy', der einem helfen soll. Das hat bei uns aber nicht so gut geklappt.
Moussavou Guiyedi: Ich hatte zusätzlich noch eine Tandempartnerin, die sehr nett war. Wir haben uns öfter getroffen. Außerdem haben die Mitarbeiter vom International Office viel organisiert, zum Beispiel eine 'Welcome Week'. Sie haben sich auch um die Wohnungen für uns gekümmert.
Gibt es große Unterschiede zwischen dem Studium in Deutschland und in Gabun?
Moussavou Guiyedi: Insgesamt ist in Deutschland alles viel besser organisiert. Es gibt hier alles, was man für den Unterricht und zum Lernen braucht. In den Seminaren werden häufig Medien eingesetzt und es werden oft Gruppenarbeiten gemacht. Die Dozenten sind sehr offen und machen keinen Stress. In Gabun ist das anders: Da gibt es kein Learnweb und kaum Interaktion zwischen Studierenden und Dozenten.
Etoughe: Das Studium in Gabun orientiert sich am französischen System. Man erwartet viel vom Dozenten. Der Unterricht ist meistens frontal und anschließend lernt man alles auswendig. In Deutschland muss man eigenständiger arbeiten. Das fiel mir am Anfang sehr schwer.
Moussavou Guiyedi: Das stimmt. In Deutschland ist mehr eigenständiges Lernen gefragt. Als ich einmal am Sonntagmorgen in die Bibliothek gefahren bin, war ich echt überrascht: Das war wie ein Kampf. Alle Plätze waren belegt. Das kannte ich so nicht.
Mit welchen Eindrücken und Erfahrungen blicken Sie jetzt – kurz vor Ende des Semesters – auf die Zeit in Münster zurück?
Mawomba: Die Universität ist fantastisch. Allerdings wirken viele Leute in Deutschland nicht so freundlich wie die Menschen bei uns in Afrika. Leider habe ich aber auch nur wenige deutsche Studierende richtig kennengelernt. Man arbeitet zwar im Seminar zusammen, aber darüber hinaus hat man kaum Kontakt.
Moussavou Guiyedi: Das finde ich auch etwas schade. Man muss sehr offen sein, um andere Menschen kennenzulernen.
Etoughe: Das liegt vielleicht auch daran, dass es in Deutschland keine schwarze Minderheit im gesetzlichen Sinne wie in Frankreich oder den USA gibt. Deshalb sind die Deutschen wohl eher zurückhaltend. Ich muss aber auch sagen, dass ich keine negativen Erfahrungen in Münster gemacht habe. An der Uni sind alle sehr offen.
Moussavou Guiyedi: Aber man merkt schon, dass viele Leute negative Stereotype über Afrika im Kopf haben und sehr wenig über unseren Kontinent wissen.
Etoughe: Viele glauben, dass es nur Krieg und Hungersnot gibt. Tatsächlich ist Gabun ein sehr friedliches Land. Dort gibt es zwar Probleme mit Korruption und politische Unruhen, aber es hat nie Krieg gegeben.
Was werden Sie Ihrer Familie und Freunden in Gabun von Münster erzählen?
Moussavou Guiyedi: Dass es eine besondere Stadt ist. Münster ist fast wie eine Heimat für mich geworden, auch wenn die Kultur ganz anders ist. Ich hatte zum Beispiel von Anfang an keine Angst davor, alleine einkaufen zu gehen. Wenn man Hilfe braucht, findet man immer jemanden, der hilft.
Mawomba: Aber es ist schon komisch, dass es morgens noch dunkel ist, wenn man im Winter aufsteht und zur Uni fährt. Das gibt es in Gabun nicht. Und eigentlich regnet es hier auch gar nicht richtig. Wenn in Gabun Regenzeit ist, ist man innerhalb von einer Minute klatschnass.
Etoughe: Die Stadt ist wirklich sehr schön, und auch das Schloss gefällt mir. Ich würde gerne weiter in Münster studieren, aber hier gibt es für mich keinen passenden Masterstudiengang. Deshalb studiere ich ab dem Sommersemester in Saarbrücken.
Gibt es typisch deutsche Eigenschaften, die Sie übernommen haben?
Moussavou Guiyedi: Die Menschen in Deutschland sind sehr zielorientiert. Viele Studenten lernen sehr fleißig. Ich hatte manchmal so meine Schwierigkeiten, mich zu motivieren. Aber eigentlich ist es eine gute Eigenschaft. Auch, dass in Deutschland alle so pünktlich sind.
Etoughe: Nur die Busse nicht (lacht).
Und was können die Deutschen von Gabun lernen?
Mawomba: Die Gastfreundlichkeit. Wenn man in Gabun Freunde einlädt, ist klar, dass man alles an dem Abend bezahlt – auch das Taxi.