Lage der deutschen Sprache: WWU-Germanisten im Experten-Gremium
Die Lage der deutschen Sprache ist seit Jahren ein großes Thema in der Öffentlichkeit. Vom Verfall oder gar vom Niedergang des deutschen Wortschatzes war oft zu hören. Die Wissenschaft – vorneweg die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften – reagierte und beschloss, eine Untersuchung zur Lage der deutschen Sprache zu starten.
Nach dem "Ersten Bericht zur Lage der deutschen Sprache" im Jahr 2013 folgt nun der zweite. Erstmals saßen in dem Wissenschaftler-Gremium auch zwei Germanisten der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU). Während sich Dr. Yazgül Şimşek vor allem mit den Folgen der Migration für die sprachliche Vielfalt beschäftigte, galt Dr. Nils Bahlos wissenschaftliches Interesse vorrangig der Jugendsprache. Über den "Zweiten Bericht zur Lage der deutschen Sprache", der das Motto "Vielfalt und Einheit der deutschen Sprache" trägt, sprach Juliane Albrecht im Interview mit Nils Bahlo.
Deutschland ist mehr und mehr ein Zuwanderungsland mit vielen kulturellen und sprachlichen Veränderungen. Zum anderen sorgt die Kommunikation über Facebook, Twitter und andere Social-Media-Kanäle für eine Verknappung der Sprache. Wie ist es vor diesem Hintergrund um die deutsche Sprache bestellt?
Der deutschen Sprache geht es so gut wie eh und je. Wir haben einen riesigen Wortschatz, der durch andere Sprache erweitert und aufgewertet wird. Begriffe aus dem Englischen – wie das in jugendlichen Stilen prominent vertretene "chillen" (engl. to chill) – werden nicht einfach übernommen, sie werden in das deutsche System eingegliedert und sogar gebeugt. Auch phonologische Besonderheiten (aus "ich" wird "isch"), Präpositionstilgungen ("gehen wir Freizeitpark?") oder bekräftigende Routineformeln ("ich schwöre") sind eigentlich typisch deutsch und keineswegs so neu, wie man denkt. Es sind verschiedene Spielarten der deutschen Sprache.
Dennoch haben einige Menschen Sorge um die deutsche Sprache, weil sie aus ihrer Sicht verflacht und mittlerweile angeblich wenig anspruchsvoll ist. Stimmt das?
Man muss keine Angst um die deutsche Sprache haben. Es geht nicht um richtig oder falsch, sondern vielmehr um die Ausdruckweise, also um die Frage, ob etwas situationsangemessen ist oder nicht. Dieser Aspekt gehört besonders in den Schulunterricht. Insgesamt kann man sagen, dass die deutsche Sprache nicht verkommt, sondern sich verändert. Das hat Sprache aber schon immer getan, sie hat sich immer schon an gesellschaftliche Veränderungen angepasst. Unterschiedliche sprachliche Moden gab es immer, Kritik daran auch.
Eltern beklagen regelmäßig, dass es im Handy- und Computerzeitalter immer schwerer sei, Kindern einen breiten Wortschatz zu vermitteln. Wie berechtigt ist diese Sorge?
Die ist unbegründet. Gerade bei der Erziehung von Kindern wird deutlich: Was viele Bürger als Verrohung der Sprache empfinden, ist eigentlich nur eine altersspezifische Verformung der Alltagssprache durch den Nachwuchs. In früheren Zeiten war zum Beispiel von der "Pennälersprache" die Rede. Damit meinte man auch eine Art Niedergang, aber "Jugendsprache" hat es zu jeder Zeit gegeben. Der jetzt neu vorgelegte Sprachbericht gibt darüber einen guten Überblick. Man entdeckt im Vergleich der Jahrhunderte übrigens bemerkenswerte Parallelen der Jugendkulturen. Eigentlich ist unsere heutige Jugendsprache ein "alter Hut" im neuen Gewand.