März 2025
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Münzen des Monats

© Yannik Oberhaus

Überraschung aus dem Glas

                                               

Wir beschäftigen uns mit antiken Münzen, weil sie bemerkenswerte Zeugnisse sind, die mit ihren Bildern und Aufschriften vielfältige Informationen liefern und uns unmittelbare Einblicke in eine lange zurückliegende Zeit geben können. Als Zahlungsmittel gingen sie von Hand zu Hand und gerade die geringwertigen Bronzenominale waren nahe am Alltag der Menschen. Interessant sind die Objekte also aufgrund ihrer kulturhistorischen Einordnung und Bedeutung, aber AUCH aufgrund ihrer individuellen Sammlungsgeschichte. Dies betrifft ihr „Nachleben“. D.h. was ist ihnen widerfahren, lange nachdem sie aus dem Umlauf genommen waren, als sie nach Jahrhunderten im Verborgenen wieder ans Tageslicht und in den Blick einer neugierigen numismatischen Community geraten waren, als aus einem Zahlungsmittel ein Sammelobjekt geworden war?

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Die Münzen im Archäologischen Museum der Universität Münster sind auf ganz unterschiedlichen Wegen in die Sammlung gekommen. Diese Wege nachzuvollziehen, ist Aufgabe der Provenienzforschung. Je weiter sich ein solcher Weg zurückverfolgen lässt, desto interessanter stellt sich das Nachleben der beforschten Objekte dar. Man nähert sich in der Regel über den oder die Vorbesitzer, denn auch in ihrem Nachleben ist eine Münze in der Regel von Hand zu Hand gegangen, von einem Besitzer (meist waren dies Männer) zum anderen, und es stellen sich die Fragen: Wer hat wo und wann einzelne Münzen gefunden, gesammelt, gekauft oder verkauft, getauscht (…) und was waren die jeweiligen Beweggründe? Je nachdem, wie genau dokumentiert wurde (oft leider nur nachlässig), lassen sich einzelne Etappen und Wege nachvollziehen, doch gibt es meist „Lücken im Lebenslauf“ bzw. die Recherchen führen über kurz oder lang ins Leere.

So unterschiedlich und individuell die Wege ins Museum sind, so ungewöhnlich ist mitunter auch die Aufbewahrung der Münzen, abgesehen von Münzladen und -alben begegnet uns alles von Zigarrenkisten (ein Klassiker der Münzaufbewahrung), über Teebeutelpackungen hin zu Rote-Grütze-Dosen. In einer weiteren originellen Verpackung kam am 1. Juli 2022 eine Handvoll antiker Münzen in die Sammlung, die in der Forschungsstelle Asia Minor im Nachlass von Elmar Schwertheim gefunden worden waren: In einem kleinen Gläschen, das ursprünglich einmal in Öl eingelegte Kräuter der Provence der französischen Firma „Milerb“ beinhaltete, fanden sich fünf in ein Papiertaschentuch eingewickelte kleinasiatische Bronzemünzen und ein Unterlegzettel mit handschriftlichen Literaturangaben sowie der knappen Bemerkung donum dedit RS („RS hat es als Geschenk gegeben“). Außen auf dem Glas war zudem ein kleines Etikett mit der Angabe „Hrn. SCHWERDTHEIM“ (sic) aufgeklebt. Das Mindesthaltbarkeitsdatum der eingelegten Kräuter war mit „04.00“ angegeben, vermutlich also April 2000 – damit ergibt sich ein ungefährer Zeithorizont, wann der originale Inhalt aufgebraucht und das Glas mit seinem neuen Inhalt in den Besitz von Elmar Schwertheim gelangt sein mag.

Abb. 1: Die einzelnen Münzen aus Städten der Troas und Mysien
© Pauline Fehlauer

Es handelt sich um fünf städtische Münzen aus

  • Neandria, ca. 350-310 v. Chr. (AE 1,28 g; 11 mm; 6 h): Vs. Kopf des Apollon / Rs. NEAN. Getreidekorn, daneben eine Weintraube (Inv.-Nr. M 9812)
  • Birytis, ca. 325-300 v. Chr. (AE 1,25 g; 11 mm; 9 h): Vs. Kopf eines Kabiren / Rs. Β-Ι/Ρ-Υ. Keule in einem Blattkranz (Inv.-Nr. M 9811)
  • Kyzikos, ca. 160-50 v. Chr. (AE 5,28 g; 18 mm; 12 h): Vs. Kopf der Kore Soteira / Rs. KYZI in Eichenkranz (Inv.-Nr. M 9813)
  • Alexandria Troas, ca. 253-260 n. Chr.; AE 5,60 g; 21 mm; 1 h: Vs. Gewandbüste der Stadttyche mit Mauerkrone / Rs. Römische Wölfin mit den Zwillingen (Inv.-Nr. M 9809)
  • Alexandria Troas, ca. 253-260 n. Chr.; AE 5,96 g; 22 mm; 7 h: Vs. Gewandbüste der Stadttyche mit Mauerkrone / Rs. fliegender Adler mit Stierkopf in den Fängen (Inv.-Nr. M 9810)

Drei dieser Orte sind über Feldforschungsprojekte untrennbar mit dem Namen Schwertheim verbunden: Kyzikos, Neandria und Alexandria Troas. Elmar Schwertheim (1943-2022) war Professor für Alte Geschichte an der Universität Münster, spezialisiert auf Epigrafik und Kleinasien, und Leiter der Forschungsstelle Asia Minor (1988-2008). Mit diesem fachlichen Hintergrund führte er zahlreiche Kampagnen vor Ort durch, anfangs im Südosten der Türkei, in Kommagene, später in der Nordwesttürkei (Mysien und Troas). In Nord-Mysien war er jahrelang auf epigrafischen Surveys unterwegs; zwei Bände der „Inschriften von Kyzikos und Umgebung“ sind in den 1980er Jahren erschienen, an einem weiteren Band hat er bis kurz vor seinem Tod noch gearbeitet, ebenso an einem Katalog der Testimonien und Inschriften von Apollonia am Rhyndakos. In Kooperation mit Teams der Universität Ankara und der Forschungsstelle Asia Minor hat er Surveys in Neandria (1989-1993) unternommen und dann in der Nachfolgesiedlung Alexandria Troas (Surveys 1993-1995, Grabungen 1995-2010) weitergearbeitet. Er war selbst kein Münzsammler, aber ihm war die kulturhistorische Bedeutung von Münzen für Orts- und Regionalgeschichte sehr wohl bewusst und aus diesem Grund hat er im Rahmen seiner Kleinasienforschungen Münzen stets einbezogen – z.T. Materialsammlungen auch delegiert (über ihn und seine Forschungen zu Kyzikos bin ich vor vielen Jahren zur Numismatik gekommen), immer in jedem Fall mitgedacht.

  • Kyzikos war bekannt für seine jahrhundertelange Münzprägung (von ca. 600 v. Chr. bis zur Umwandlung in eine Reichsprägestätte in den späten 260er Jahren n. Chr.). Überregional anerkannt waren die Elektronmünzen, auf denen der Thunfisch das sichere Erkennungszeichen darstellte; in der Silberprägung stand die Stadtgöttin Kore Soteira im Zentrum, auf den Bronzemünzen gesellte sich der Gründerheros Kyzikos dazu. In der römischen Kaiserzeit stellt sich uns das Bild einer blühenden Stadt dar, in der Kore nach wie vor eine bedeutende Rolle spielte. Unsere hellenistische Bronzemünze (M 9813) zeigt ebenfalls die Stadtgöttin auf der Vorder- und das schlichte (abgekürzte) Ethnikon auf der Rückseite – ein „klassischer“ Typ, der im 2. nachchristlichen Jahrhundert noch einmal aufgelegt wurde (RPC III Nr. 1529).
  • Neandria gehörte zu den Orten, die am Ende des 4. Jhs. v. Chr. aufgegeben werden mussten, da die Bewohner in eine neue Stadt umgesiedelt wurden, nach Antigoneia, das spätere Alexandria Troas. Die lokale Münzprägung begann Ende des 5. Jhs. und endete ca. 300 v. Chr.; die Themen waren landwirtschaftlich orientiert (Pferd, Widder, Getreidekorn). Eine Besonderheit auf den größten Silber- und Bronzenominalen von Neandria war das grasende Pferd, das mit nach Alexandria genommen und dort auch zum Parasemon der neuen Stadt wurde. Der im Glas gefundene „Beipackzettel“ mit Referenzangaben bezieht sich auf die kleine Münze mit Getreidekorn (M 9812) (dort irrtümlich SNG Tübingen 2551 statt 2651).
  • Alexandria Troas wurde im Hellenismus zur bedeutendsten Stadt im Umkreis der Dardanellen. Unter Augustus erhielt sie den Status einer römischen colonia; die offizielle Amtssprache war seither lateinisch, auch die Münzaufschriften. Neben ortsspezifischen traditionell „griechischen“ Bildern zeigten Koloniemünzen ein spezielles Motivrepertoire, das sich fast in allen coloniae im Imperium fand, dazu gehörten ur-römische Bilder wie die lupa Romana (M 9809). Der Adler mit dem Stierkopf in den Fängen (M 9810) stand sinnbildlich für eine erfolgreiche Stadtgründung (ein Adler, der Opferfleisch vom Alter raubte und es andernorts wieder fallen ließ, wurde als gottgesandt verstanden und die Aktion als unmittelbare Lenkung menschlicher Pläne und Handlungen durch einen Gott aufgefasst – ein positives Omen für eine Stadtgründung). Auf den Vorderseiten beider kaiserzeitlicher Münzen sehen wir nicht wie üblich den Kaiser, sondern die Personifikation der Stadt mit Mauerkrone, hier ergänzt um ein militärisches Feldzeichen als Hinweis auf die angesiedelten Veteranen – eine Besonderheit, die sich in Alexandria Troas bis zum Ende der städtischen Prägetradition hielt.
  • Mit Birytis hat sich Schwertheim m.W. nicht näher beschäftigt, ein persönlicher Bezug ist hier also nicht gegeben. Über die Stadt ist wenig bekannt, selbst die Lokalisierung ist bis heute ungeklärt, daher sind die Münzen umso interessanter: Im Fokus der städtischen Kleingeldprägungen (nur Obole und einige Bronzen) standen die Kabiren und Herakles; die Ausgabe von Münzen begann im späten 4. Jh. v. Chr. und dauerte nur knapp 50 Jahre. Münzen aus Birytis sind daher eher selten, und die Kabirenprägung (M 9811) bereichert die Münsteraner Sammlung um eine neue Münzstätte.

Münzen wie die aus Neandria und Alexandria Troas im Kräuterglas gehören zu den geläufigen Typen, die auch während der Feldforschungskampagnen vor Ort gefunden wurden (Pohl 1994; Martin 2013). Natürlich bleiben diese Grabungsfunde in der Türkei. Gleichzeitig finden sich solche Stücke im Münzhandel und gehen z.T. schon seit Jahrhunderten erneut von Sammlerhand zu Sammlerhand.

Wer sich hinter dem Kürzel „RS“ verbirgt (oder verbarg), ist unklar und wird es vermutlich auch bleiben, auch ob er selbst Münzsammler oder eher zufällig über diese Münzen gestolpert war, die genau zu den Forschungs- und Arbeitsschwerpunkten Schwertheims passten. Vermutlich hat er dessen Ausführungen über die Arbeiten in der Türkei verfolgt und ihm eines Tages (wohl in den frühen 2000er Jahren) seine kleine Gabe überreicht. Schwertheim interessierte sich für Objekte vor Ort in lokalen Kontexten, so verschwand das Kräutergläschen mit seinem ungewöhnlichen Inhalt in seinem Schreibtisch. Nun sind die Münzen erneut wiedergefunden und ergänzen erfreulicherweise die Bestände der Münsteraner Sammlung.

(Katharina Martin)

 

Weiterführende Literatur

Zu den Münzen

  • A. R. Bellinger, The Coins, Troy Supplementary Monograph (Princeton 1961)
  • H. von Fritze, Die autonome Kupferprägung von Kyzikos, Nomisma 10, 1917, 1-30
  • H. von Fritze, Birytis und die Kabiren auf Münzen, ZfN 24, 1904, 105-128
  • A. Filges, Münzbild und Gemeinschaft. Die Prägungen der römischen Kolonien in Kleinasien (Bonn 2015)
  • K. Martin, Ungeliebt, oft unterschätzt. Fundmünzen und ihr Potenzial für Alexandria Troas, in: Historisch-Archäologischer Freundeskreis e.V., Rundbrief 2013 (o. O. 2013) 17-24
  • D. Pohl, Münzen und Metallfunde (mit einem Anhang über Streufunde aus Alexandria Troas), in: Schwertheim – Wiegartz 1994, 157-174

Zu den Arbeitsgebieten Elmar Schwertheims

  • E. Schwertheim, Die Inschriften von Kyzikos und Umgebung. 1. Grabtexte, Inschriften von Kleinasien 18 (Bonn 1980)
  • E. Schwertheim, Die Inschriften von Kyzikos und Umgebung. 2. Miletopolis – Inschriften und Denkmäler, Inschriften von Kleinasien 26 (Bonn 1983)
  • E. Schwertheim – H. Wiegartz (Hrsg.), Neue Forschungen zu Neandria und Alexandria Troas, Asia Minor Studien 11 (Bonn 1994)
  • E. Schwertheim – H. Wiegartz (Hrsg.), Die Troas. Neue Forschungen zu Neandria und Alexandria Troas II, Asia Minor Studien 22 (Bonn 1996)
  • E. Schwertheim – H. Wiegartz (Hrsg.), Neue Forschungen III, Asia Minor Studien 33 (Bonn 1999)
  • G. Petzl – E. Schwertheim (Hrsg.), Hadrian und die dionysischen Künstler. Drei in Alexandria Troas neugefundene Briefe des Kaisers an die Künstlervereinigung, Asia Minor Studien 58 (Bonn 2006)
  • E. Schwertheim (Hrsg.), Neue Forschungen in Alexandria Troas, Asia Minor Studien 88 (Bonn 2018)