Das Institut für Politikwissenschaft trauert um seinen Gründungsdirektor Prof. Dr. Dieter Grosser, der im Alter von 93 Jahren verstorben ist. Grosser war von 1969 bis 1974 erster Professor für Politikwissenschaft in Münster und legte in dieser Zeit den Grundstein des heutigen IfPols. Eine ausführliche Würdigung seines Wirkens finden Sie in einem Nachruf seines Schülers Prof. Dr. Wichard Woyke.
Nachruf auf Professor Dr. Dieter Grosser
Prof. Dr. Dieter Grosser war der Gründungsdirektor des damaligen Seminars für Politikwissenschaft der Universität Münster, als er zum Wintersemester 1969/70 an die WWU Münster berufen wurde. Grosser wurde noch als 16jähriger eingezogen und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Aus der Besatzungszone schlug sich Grosser in die sowjetische Besatzungszone nach Berlin durch, wo er zu seiner Familie stieß. Er arbeitete zunächst bis 1960 als Volksschullehrer in West-Berlin und absolvierte nebenher ein Studium der Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft an der Freien Universität. Nach Promotion (1961) und Habilitation (1967) bei Otto Heinrich von der Gablentz wurde Grosser 1969 zum Wissenschaftlichen Rat und Professor sowie zum Leiter der Abteilung Lehrerbildung am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität ernannt. 1969 wurde er als ordentlicher Professor an die Universität Münster berufen. 1974 folgte er einem Ruf an die Ludwig-Maximilians-Universität München, an der er bis zu seiner Emeritierung 1995 lehrte. Als Emeritus zog es ihn aber nach Berlin zurück, zumal die Stadt nach der Wiedervereinigung wieder den Status erreicht hatte, den er von seiner Kindheit her kannte.
Für Grosser war in Münster die erste Aufgabe, ein funktionsfähiges Seminar aufzubauen. So begann die Politikwissenschaft im Sommersemester 1970 mit einem Professor und zwei wissenschaftlichen Mitarbeitern in einem Schlichtbau neben dem Schloss. Schon damals wurde Grossers Organisationsfähigkeit nachgefragt. Er war ein großzügiger, liberaler Chef, der seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Eigenständigkeit führte. Dieter Grosser war mit Leib und Seele Praktiker, der die in der Forschung gewonnenen Ergebnisse in der Praxis zu überprüfen suchte. So war er über ein Jahrzehnt Mitherausgeber der renommierten Zeitschrift „Politische Bildung“. Die Lehrerbildung lag ihm sehr am Herzen. Es war sein Verdienst, dass zwischen 1972 und 1975 ein Fortbildungsstudiengang „Sozialwissenschaften“ am damaligen Seminar für Politikwissenschaft für Lehrer und Lehrerinnen aus ganz Nordrhein-Westfalen eingerichtet wurde. Dieser Studiengang ermöglichte es, bereits in der Praxis tätigen Lehrern ‒ insbesondere aus den Fächern Latein und Geschichte ‒ das an den Schulen neu eingerichtete Fach Sozialwissenschaften zu unterrichten. Dieses Fortbildungsstudium war ein Alleinstellungsmerkmal an den nordrhein-westfälischen Universitäten. Grosser wurde auch gleich nach seiner Ankunft in Münster zum Dekan des Fachbereichs Geschichte gewählt, an dem die in der WWU neu eingerichtete Politikwissenschaft bis 1980 angesiedelt war. Von 1972 bis 1974 war Grosser Präsident des Deutschen Hochschulverbands.
Grossers Forschungsschwerpunkt war die Politische Ökonomie, also die Interdependenz von Politik und Wirtschaft. 1985 veröffentlichte Grosser „Der Staat in der Wirtschaft der Bundesrepublik“ und 1988 „Soziale Marktwirtschaft“. Noch als Emeritus forschte er zur deutschen Einheit. Sein herausragendes Ergebnis war das fast 600 Seiten starke Buch „Das Wagnis der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion - Politische Zwänge im Konflikt mit ökonomischen Regeln“, der als Band 2 in der Reihe „Geschichte der deutschen Einheit in vier Bänden“ 1998 erschien. Dieter Grosser war ein sehr beliebter Universitätslehrer, der bei vielen Studierenden in seinen Vorlesungen und Seminaren immer wieder auf großes Interesse stieß. Darüber hinaus sind viele Doktoranden und Habilitanden ihm zu großem Dank verpflichtet.