IfPol-Jubiläum: Erste IfPol-Absolventin blickt zurück
Brigitte Schmitter-Wallenhorst wechselte 1970 von der Universität Freiburg ans frisch gegründete Institut für Politikwissenschaft in Münster. Da sie bereits einige Semester studiert hatte und viele Leistungen anerkannt werden konnten, war sie 1972 die erste Magisterabsolventin des jungen Instituts. Neben Politikwissenschaft hatte sie Soziologie und Deutsche Philologie studiert. Sie lebt heute in Metelen. Im Interview mit dem IfPol erinnert sie sich an ihre Zeit in Münster.
Frau Schmitter-Wallenhorst, was hat Sie 1970 nach Münster verschlagen?
In erster Linie meine damaligen familiären Verhältnisse. Es gab keinen speziellen Grund dafür, dass ich an das Institut nach Münster kam. Vorher hatte ich sechs Semester in Freiburg studiert. Da wollte ich auch gerne hin, weil die Gegend so schön war und ich eine Schwester dort hatte, die auch Politikwissenschaft studierte. Ich wollte am liebsten weit weg von Zuhause sein.
Und warum haben Sie sich für ein Studium der Politikwissenschaft entschieden?
Ursprünglich wollte ich was ganz anderes, nämlich Musik studieren. Aber dann hatte ich Angst am Ende vor einer Klasse zu stehen, wo die meisten Schüler gar keinen Bock auf Musikunterricht haben. Und dann habe ich mich doch für Politik entschieden. Ich komme aus einem sehr politischen Haushalt. Mein Vater war im Rat der Stadt Osnabrück und zu Hause wurde immer viel diskutiert. An der Politikwissenschaft hat mich gereizt, dass sie zu der Zeit noch ein relativ neues, wenig etabliertes Fach war.
Haben Sie sich als junge Frau darüber Gedanken gemacht, was sie einmal mit dem Studium anfangen werden können?
Um ehrlich zu sein, habe ich mir damals wenig Kopfschmerzen gemacht. Die Stellensituation war ja auch nicht so schwierig wie heute. Meine Idee war immer, irgendwann in die Bildungsarbeit, von der Volkshochschule angefangen bis in höhere Institutionen zu gehen. Ich wollte eigentlich nie in die Schule, wo ich dann am Ende gelandet bin. Freie Bildungsarbeit, das schwebte mir vor.
Wie muss man sich die Politikwissenschaft in den späten 60ern/ frühen 70ern vorstellen? Was hat man da gemacht?
In den Seminaren haben wir viel über Regierungssysteme gelernt, Parteien, Regierungssystem der Bundesrepublik. Das war so der Schwerpunkt von Prof. Wilhelm Hennis in Freiburg und später auch von Prof. Grosser in Münster. Historisches wurde eher am Rande behandelt. Die Seminare selbst waren gemütlich, bei Grosser waren es immer so etwa 20 Leute. Also keine großen Lehrveranstaltungen.
Wo hatte das Institut seinen Sitz, als Sie nach Münster kamen?
Wenn Sie vor dem Schloss stehen, war das Institut rechts davon. Da, wo heute das International Office ist. Das war ein ganz kleiner Laden, eingeschossiges Gebäude in Schichtbauweise. Dort waren wir untergebracht. Die Bibliothek war nicht gut bestückt. In Freiburg war das deutlich besser. Das meiste habe ich dann damals in der Stadtbibliothek gefunden, die ganz gut mit aktueller politischer Literatur ausgestattet war.
War Politikwissenschaft in der Zeit ein Einmann-Betrieb unter Prof. Grosser?
Das Institut war derzeit ein ziemlicher Männerladen. Neben dem Direktor Prof. Grosser gab es damals schon Herrn Woyke und Herrn Robert und einige Hiwis, die Herr Grosser z.T. aus dem Otto-Suhr-Institut mit nach Münster gebracht hatte. Unter den Hiwis war aber, soweit ich mich erinnern kann - nur eine einzige Frau.
Wofür haben sich Studentinnen und Studenten in der Zeit interessiert?
Die Mehrheit wollte ins Lehramt. Ich war da eher die Ausnahme.
Wie muss man sich das Studentenleben in Münster Anfang der 70er vorstellen?
Ein Hauch von 68 war nur sehr gering zu spüren. Münster war als Stadt bürgerlich etabliert. Natürlich gab es den MSB Spartakus und auch ein paar linke Gruppen, aber die spielten keine große Rolle. Es war nicht viel los. Außerdem habe ich nicht viel in Münster gemacht, weil ich
im ersten Jahr aus Familiengründen in Osnabrück gewohnt habe und dann immer gependelt bin. Im letzten Jahr musste ich dann sehr ranklotzen, um fertig zu werden. Bei den Germanisten waren die Erwartungen selbst im Nebenfach viel höher als in Freiburg. Da musste ich mich anstrengen. Und bei Prof. Grosser musste man schon auch etwas tun, wenn man da Boden unter die Füße kriegen wollte. Und ich hatte ja keinerlei Auswahl, bei wem ich sonst meine Magisterarbeit hätte schreiben können. Insofern durfte ich es mir mit ihm auch nicht verscherzen.
Wissen sie noch das Thema, über das Sie in Ihrer Abschlussarbeit geschrieben haben?
‚Interpretationsversuche politischer Motive der Studentenbewegung in der Bundesrepublik‘. Die Arbeit habe ich bei Grosser geschrieben. Anfang 1972 gab es noch kaum Literatur dazu, von daher fand ich es ganz interessant. Wenn man sich das heute anguckt, lacht man sich ja kaputt. Die Arbeit habe ich auf meiner alten Schreibmaschine geschrieben, mit fünf Durchschlägen. Kopierer gab es damals noch nicht. Einmal vertippt und man musste die ganze Seite nochmal abschreiben, das war schon ein besonderes Vergnügen.
Sie haben im Studium geheiratet - einen Mann von uns?
Nein, meinem Mann hatte ich schon Freiburg kennengelernt. Er ist dann ein Jahr nach mir nach Münster gekommen, um Philosophie zu studieren. Er hat dann ein Promotionsstipendium bekommen und wenn man verheiratet war, kriegte man 200 Mark mehr, aber das war natürlich nicht der einzige Grund, warum wir geheiratet haben.
Was haben Sie nach Ihrem Examen beruflich gemacht?
Ich bin dahin gegangen, wo ich eigentlich nie hinwollte, in die Schule. In der Zeit wurde in NRW ein Kollegschulversuch ins Leben gerufen, d.h. gymnasiale Oberstufe und Berufsschule wurden verzahnt. Ein Standort für solch einen Versuch war damals in Ahaus und die suchten händeringend Lehrer, die auch bereit waren sich auf den Versuch einzulassen. Und da mein Mann noch in Münster promovierte, habe ich mich mit meinen drei Fächern, also Politik, Soziologie und Deutsch, vorgestellt. Obwohl ich ja gar keine Lehrerausbildung hatte, wurde ich sofort mit Kusshand eingestellt. Damals dachte ich, das wäre erst mal nur für eine Übergangszeit, aber dann wurden 15 Jahre draus. Kurz nachdem ich mit dem Unterrichten begonnen hatte, gab es keinen Musikunterricht bei den angehenden Erzieherinnen mehr. Mein Vorgänger, ein Kirchenmusiker mit wenig Bezug zur Musikpädagogik, hatte das Handtuch geworfen. Meine Schulleiterin hatte mitgekriegt, dass ich Musik intensiv als Hobby machte und fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, mich da einzuarbeiten. Da habe ich ja gesagt. Erst mal nur für ein Jahr als Versuch und falls es mir Spaß machen würde, auch gerne weiter. Und dann habe ich schnell gesehen, dass mir das ganz viel Spaß machte. Die Schulleiterin hat mich am laufenden Meter freigestellt, um zu Fortbildungen zu fahren. Und so konnte ich mein Privatstudium zusammenstellen. Denn die Musiklehrerausbildung war damals sehr praxisfern. Und als ich nach 15 Jahren dann aus dem Schulunterricht rausgegangen bin, hatte ich nur noch eine Stunde Soziologie und sonst nur Musik und Rhythmik.
Und das haben Sie dann bis zum Ruhestand gemacht?
Nein. Ich konnte mir nie vorstellen vom Studienende bis zur Rente immer in derselben Institution zu sein und am selben Platz zu sitzen. In den 80er Jahren hatte ich berufsbegleitend Rhythmik studiert, schon damals mit dem Hintergedanken mich eines Tages selbstständig machen zu können und das habe ich dann auch gemacht. Ich bin in die Freiberuflichkeit gegangen. Das haben viele Leute nicht verstanden, einfach so eine gut bezahlte, unkündbare Stelle aufzugeben, aber ich habe es trotzdem gemacht. Im Nachbarort Nienborg eröffnete damals die Landesmusikakademie von NRW und ich bin dann freiberuflich in die Weiterbildung gegangen. Um Seminare zu geben, bin ich kreuz und quer durch die ganze Republik gereist, nach 1990 vor allem in die neuen Bundesländer. Das habe ich Jahrzehnte gemacht. Die letzten drei Jahre hatte ich dann eine feste Anstellung an der Landesmusikakademie als Fortbildungsreferentin. Mit 65 bin ich in Rente gegangen und habe dann noch so einiges auf Honorarbasis weitergemacht und jetzt aber einen klaren Strich gezogen. Ich bin Jahrgang 1949, 71 Jahre alt.
Sie sind ja auch außerhalb der Arbeit immer viel ehrenamtlich engagiert gewesen. Wie kam es dazu?
Das fing schon in der Schule an als Schulsprecherin. Im Studium war ich dann sehr in der katholischen Hochschulgemeinde engagiert. Wir hatten die naive Hoffnung, dass sich nach dem zweiten Vatikanum innerkirchlich einiges bewegen ließe. Das waren ganz spannende Zeiten. Ich war Sprecherin in der Studentengemeinde und Mitglied im Bundesvorstand der KDSE (Zusammenschluss aller Studentengemeinden in der Bundesrepublik). Nebenbei: alle, die dort in höheren Positionen involviert waren, haben später in kirchlichen Stellen Berufsverbot gekriegt. Bei mir war das auch so. Ich hatte mich mal als Leiterin einer Familien-Bildungsstädte beworben. Und dann kam nie eine offizielle Begründung für meine Ablehnung. Also, ich kann es nicht beweisen, aber es war auffällig. Die wollten uns nicht, wir waren denen zu links. Ich bin dann in meiner Münsteraner Zeit in die SPD eingetreten, obwohl ich aus einem ganz strammen CDU Haushalt komme. Ich hatte aber keine Zeit mich da großartig zu engagieren. Ich hatte eine Stellenaussicht als Jugendbildungsreferentin bei der Diözese in Osnabrück und das hatten sie abgelehnt mit der Begründung, dass ich in der SPD sei, dass sich das nicht verträgt. 1972 – das ist für heutige Verhältnisse echt unglaublich.
Später habe ich mich dann einige Jahre erst in der Fachgruppe für Gesellschaftslehre, dann in der Fachgruppe für Kunst und Musik engagiert. Das waren überregionale landesweite Fachgruppen, die die Aufgabe hatten, neue Curricula für den Kollegschulversuch in NRW zu entwickeln. In meiner freiberuflichen Zeit habe ich für den Verein, für den ich hauptsächlich freiberuflich gearbeitet habe, im Bundesvorstand viel ehrenamtliche Arbeit gemacht.
Und dann habe ich in Metelen, jetzt genau vor 20 Jahren, mit ein paar Leuten die Kulturinitiative Metelen gegründet, die heute eine ganz etablierte Einrichtung im Ort ist. Kulturell war da nicht viel los im Ort und der Heimatverein war ein richtig konservativer Haufen. Da war ich acht Jahre erste Vorsitzende und als ich in Rente ging, habe ich das nochmal vier Jahre gemacht. Wir bestreiten ein sehr vielseitiges Programm.
War die Politikwissenschaft ausschlaggebend für ihr Engagement?
Die Politikwissenschaft als solche hatte wenig Einfluss auf mein Engagement. Ausschlaggebend war eher mein Elternhaus.
Was würden Sie jungen Menschen empfehlen, die vielleicht heute Politikwissenschaft studieren wollen?
Auf jeden Fall viel Praxisorientierung. Schule ist ein extrem wichtiger Ort, um vernünftigen Politikunterricht zu machen. Das ist eine gute und wichtige Sache.
Haben Sich aus Ihrer Perspektive die Jungen Menschen von heute gewandelt in ihren Einstellungen, politischem Engagement und Leben?
Ja, viele Leute sind heute zwar bereit sich zu engagieren, aber nur projektmäßig. Langfristige Verpflichtungen möchte heute niemand mehr eingehen. Das war damals einfacher, deutlich einfacher als heute.