Ex-Oberbürgermeister wird Honorarprofessor
Zwei Politiker als Uni-Dozenten
Kuriosum an der Uni Münster: Der ehemalige CDU-Oberbürgermeister Dr. Berthold
Tillmann und der frühere SPD-Fraktionschef Wolfgang Heuer unterrichten derzeit
20 Studierende der Politikwissenschaften in einem Masterkursus (früher sagte
man Hauptseminar). Der Titel der Veranstaltung: „Aktuelle Herausforderungen
und Perspektiven der Kommunalpolitik“. Vor einem Jahr hieß es: „Politische
Führung - Verhandeln und Entscheiden in der lokalen Politik“.
Jetzt steht das Dozenten-Duo am Scheideweg. Der Grund: Heuer wechselt als
Dezernent für Personal und Ordnung ins münsterische Rathaus. Tillmann
hingegen, der sich 2009 aus eben diesem Rathaus verabschiedete, wird zum
Honorar-Professor befördert. Am 26. Januar um 18 Uhr hält er seine
Antrittsvorlesung in der Aula des Universitätsschlosses.
Ein Vorgang, dem die Uni-Rektorin Prof. Dr. Ursula Nelles höchste
Aufmerksamkeit schenkt. „Wir betrachten Berthold Tillmann als große
Bereicherung für den Fachbereich“, so der WWU- Pressesprecher Norbert Robers.
Der (früh-)pensionierte 61-jährige Ex-Oberbürgermeister genießt derweil den
akademischen Alltag bei den Politikwissenschaftlern in vollen Zügen. „Ein
Honorar-Professor darf alles, was ein Professor darf, er bekommt nur kein
Honorar dafür“, flachst Tillmann. Also diskutiert er mit Studenten, korrigiert
Klausuren, betreut Dissertationen und engagiert sich in dem
„Forschungsnetzwerk Kommunal- und Regionalentwicklung“.
Sein Forschungsgebiet ist umso spannender, als Tillmann damit die Chance
erhält, das politische Handeln in seiner aktiven Zeit noch einmal zu
überdenken. Sein Dauerbrenner ist dabei die „langfristige Sicherheit der
kommunalen Finanzen“.
Der Wissenschaftler Tillmann gesteht, dass ihm bislang noch keine Idee
gekommen ist, die dem Oberbürgermeister seinerzeit das Leben leichter gemacht
hätte. Gleichwohl schwingt eine gehörige Portion Ernüchterung mit, wenn er
sagt: „Es fehlt die Genügsamkeit“.
Die Verantwortlichen in den Rathäusern stehen nach Ansicht Tillmanns
unverändert unter dem Anspruch, auf die Wünsche und Bedürfnisse der
Bevölkerung einzugehen. Angesichts der Finanzknappheit der meisten Kommunen
werde es aber immer wichtiger, Aufgaben schlicht abzuwiegeln.
Diese Herausforderung sei umso größer, als das Verhältnis zwischen einer
Kommune und ihren Einwohnern immer mehr zu „Lebensabschnittspartnerschaft“
werde. Die hohe Mobilität und Fluktuation mache es Politikern schwerer, klar
definierbare Milieus zu benennen, so Tillmann.
So sehr ihn die Politikwissenschaft interessiert, die Politik aber hat
Tillmann abgehakt. „Ich mische mich nicht mehr ein“, sagt er mit Blick auf das
Rathaus. Für lockere Gespräche mit alten Weggefährten ist der frisch-
gebackene Professor immer zu haben. „Aber es gibt keine Ratschläge“.
Klaus Baumeister, Westfälische Nachrichten, 14.01.2012
KOMMENTAR
Ex-Oberbürgermeister Tillmann wird Honorarprofessor - Wandel zwischen Welten
Er prägte Formulierungen wie „In einer Liga mit Oxford und Cambridge“, „City
of Learning“ oder jene Worte, die dann als offizieller Marketing-Slogan
Karriere machten: „Münster - die Stadt der Wissenschaft und Lebensart“.
Wie kaum ein anderer politischer Akteur in Münster hat der frühere
Oberbürgermeister Dr. Berthold Tillmann den Versuch unternommen, Brücken
zwischen den Hochschulen und der Stadtgesellschaft zu bauen, ihre
wechselseitige Abhängigkeit zu beleuchten und damit den zuweilen sehr langen
Weg vom Prinzipalmarkt zum Uni-Schloss (und zurück) zu verkürzen.
Inzwischen ist Tillmann sogar dazu übergegangen, diese enge Verbindung zum
Bestandteil seiner eigenen Biografie zu machen. Als promovierter
Politikwissenschaftler stieg Tillmann während seiner 30-jährigen Dienstzeit
bei der Stadt Münster auf bis zum höchsten Amt. Nach seinem Abschied aus dem
Rathaus 2009 ging er zurück zur Uni Münster und arbeitet dort jetzt als
Honorarprofessor.
In seiner Funktion als Kämmerer und Oberbürgermeister hat Tillmann fast 20
Jahre lang das finanzielle Dilemma der wohlhabenden Stadt Münster erlebt, die
ständig mehr Geld ausgibt als sie einnimmt. Es spricht für Tillmann, dass ihn
diese Frage nach seinem Rückzug aus der Politik weiter beschäftigt - und zwar
wissenschaftlich. Sein selbstkritischer Rückblick auf Münster und seine
zehnjährige Amtszeit fällt so aus: „Es fehlt die Genügsamkeit.“ Will sagen:
Das frühere Stadtoberhaupt musste zu vielen Menschen in zu kurzer Zeit zu
viele Wünsche erfüllen. Das geht buchstäblich ins Geld.
Genau hier schließt sich aber der Kreis, denn das Verlangen nach dem
sprichwörtlichen Sahnehäubchen, das Tillmann in seiner aktiven Amtszeit immer
wieder kritisierte, hat seine Wurzel in dem Status als Universitätsstadt.
Wo sonst der gesunde Menschenverstand regiert, muss in Münster für (fast)
alles eine Expertise und ein Gutachten herhalten - am besten von einem
Professor.
Klaus Baumeister, Westfälische Nachrichten, 14.01.2012