Arbeitsschwerpunkte
- Literaturgeschichte (bes. Literatur um 1800 / 1900, Nachkriegsliteratur, Gegenwartsliteratur)
- Literarische Bedeutsamkeit
- Populärkultur und Literatur
- Kulturwissenschaftliche Zeitschriftenforschung
- Serialität
Literarische Bedeutsamkeit um 1800 und 1900.
Wie Texte als Zeichengebilde Bedeutung herstellen, ist den Literaturwissenschaften bekannt. Methodische Strömungen wie Semiotik, Strukturalismus und Hermeneutik haben ganze Bibliotheken mit der Erörterung dieser Frage gefüllt. Wie Literatur aber die Bedeutsamkeit, die Wichtigkeit und Tragweite eines verhandelten Sachverhalts ausstellt und wie sie sich selbst als künstlerisches Artefakt von Bedeutung in Szene setzt, das sind systematische Fragen, die man bislang selten im Fach gehört hat (vgl. die Ausnahme: Hörisch 2009). Das überrascht insofern, als in ihnen doch ein Kernbereich der literaturwissenschaftlichen Gegenstandsgrundlage angesprochen ist.
Als Reaktion auf dieses Desiderat profiliert das Projekt den Begriff ,Bedeutsamkeit‘ in sowohl historischer und systematischer als auch in heuristischer Weise. Mit einer Kombination aus begriffs- und geistesgeschichtlichen sowie verfahrenstheoretischen Zugängen fragt es nach den textuellen Markierungen, den Funktionen und Reflexionen von Bedeutsamkeit in literarischen, poetologischen und philosophischen Texten um 1800 und um 1900. Dabei wird eine exzentrische doppelte Semantik des Begriffs erkennbar: ,Bedeutsamkeit‘ adressiert in den ästhetischen Diskursen der Jahrhundertwenden zugleich Wichtiges und Belangvolles sowie Unklares und Undeutliches, das noch der Ausdeutung bedarf. Diese spezifisch hermeneutische Kontur rekonstruiert und präpariert das Projekt, um den Begriff so für die Analyse literarischer Texte – auch über die gewählten historischen Untersuchungszeiträume hinaus – heuristisch handhabbar und operabel zu machen.
Die beiden historischen Schwerpunkte des Projekts ergeben sich aus der Geschichte des Begriffs. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts taucht er als Neologismus in den Texten Schleiermachers und der Frühromantiker sowie in den Texten Goethes auf, um anschließend von Schopenhauer aufgegriffen zu werden. Bedeutsamkeit ist, so die These, ein Begriff der Säkularisierung, der auf Modernisierungsprozesse und das Geschichtsbewusstsein der Zeit antwortet. An einschlägigen literarischen Texten wie Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96) oder Novalis’ Heinrich von Ofterdingen (1802) lässt sich nachvollziehen, wie Bedeutsames durch Emphase und Pathos ins Werk gesetzt wird und wie Erzählinstanzen, Figuren, Leserinnen und Leser mit der textuellen Inszenierung von Ausdeutungssituationen konfrontiert werden, die sich als bedeutsame verstehen lassen (man denke etwa an die Lieder Mignons). Dabei zeigt sich, dass ein elaborierter Umgang mit dem Phänomen auf eine Balance zwischen bedeutsamer Schwere und Leichtigkeit setzt.
Das Projekt geht den Transformationen dieses Diskurses um 1900 anhand unterschiedlicher philosophischer Impulsgeber wie dem Bedeutsamkeitskritiker Nietzsche, der eine ,Umwertung aller Werte‘ konstatiert, und dem Lebensphilosophen Dilthey nach, der in Goethes Leben und Werk ein nachahmenswertes, bedeutsames Vorbild erkennt. Die Texte der Friedrichshagener Neoromantiker Wilhelm Bölsche und Bruno Wille, die der an Goethe und der Romantik gleichermaßen orientierten Weltanschauung des Monismus verschrieben sind, sowie Thomas Manns das lange 19. Jahrhundert resümierender Zauberberg (1924) fungieren als literarische Beispiele für die aktualisierte Verhandlung von Bedeutsamkeit um 1900.
Abgerundet wird das Projekt durch einen Ausblick auf die weitere Karriere des Begriffs und des Phänomens im Laufe des 20. Jahrhunderts. Martin Heideggers Existentialontologie tritt hier genauso auf den Plan wie die bedeutungsschwangere, von existentiellen Erfahrungen geprägte Literatur der 1950er-Jahre. Eine Zäsur ist nachdrücklich in den 1960er-Jahren zu beobachten, wenn etwa Theodor W. Adorno gegen den „Jargon der Eigentlichkeit“ (1964) Heidegger’scher Prägung polemisiert und Umberto Eco Literatur, die sich als ,große Kunst‘ ausgibt, ohne tatsächlich solche zu sein, als „Midcult“ etikettiert (Eco 1964). Seitdem, also seit dem Beginn der Postmoderne, ist ästhetische Bedeutsamkeit, die Markierung von Tragweite und Wichtigkeit bei gleichzeitiger Installierung von Momenten der Undeutlichkeit, freilich nicht verschwunden, aber die diskursiven Parameter, die Weisen des Sprechens über das Phänomen haben sich grundlegend geändert.
Damit rekonstruiert und reflektiert das Projekt erstmals systematisch einen nur sporadisch erfassten Diskurs der Moderne, der sich aber als entscheidend für den historischen Verlauf und das analytische Verständnis der Literatur erweist, wie sie innerhalb des germanistischen Fachs behandelt wird.