Villa ten Hompel
In der Geschichte der Villa ten Hompel spiegeln sich von der Erbauung 1924 bis heute gut 100 Jahre deutsche und europäische Zeit- und Rechtsgeschichte. Extremen Unrechtshandlungen bis zum Genozid im Nationalsozialismus folgten nach 1945 Versuche des Umgangs und der Kompensation hiermit. Heute ist die Villa ten Hompel als Münsters Geschichtsort ein Forum für Forschung, Dokumentation und Bildung.
Fabrikantenvilla in der Weimarer Republik
Der Name des Gebäudes am Kaiser-Wilhelm-Ring geht auf das Erbauerpaar Johanna und Rudolf ten Hompel zurück. Rudolf ten Hompel baute sein Unternehmen, die Wicking'schen Portland-Zementwerke, zum größten Zementbetrieb der Weimarer Republik aus. Zudem war er für die Zentrumspartei Abgeordneter im Reichstag. Wegen risikoreicher Investitionen, der Weltwirtschaftskrise 1929 und dem Zusammenbruch der Hausbank 1931 musste das Unternehmen an den Konkurrenten Dyckerhoff verkauft werden. 1935 wurde ten Hompel vom Landgericht Münster zudem u.a. wegen Veruntreuung und Konkursvergehen zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. 1939 ging das Gebäude in Staatsbesitz über.
Sitz der NS-Ordnungspolizei
Von 1940 bis 1944 war die Villa ten Hompel eine machtvolle Polizeizentrale. Der Stabssitz des Befehlshabers der Ordnungspolizei im Wehrkreis VI (ungefähr das heutige Gebiet von NRW) hatte eine Verfügungsgewalt über 200.000 Polizisten und Hilfspolizisten. Das Gebäude wurde während des Zweiten Weltkriegs ein Schreibtischtäterort. Von Münster aus wurden Verbrechen gegen die Menschlichkeit administrativ umgesetzt. Polizisten überwachten im Heimatrevier Arbeitserziehungslager und Lager für Zwangsarbeitende. Die uniformierte Polizei stellte in Deutschland und fast ganz Europa die Wachmannschaften für die Deportationszüge von Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma. Vor allem in Osteuropa waren sie an der Bewachung und ab 1943 auch Liquidierung von Ghettos beteiligt. Der Kriegseinsatz von mindestens 22 Polizeibataillonen wurde von der Villa ten Hompel aus koordiniert. Diese Einheiten waren systematisch am Holocaust beteiligt. Die als ordinary men bezeichneten Polizisten erschossen Hunderttausende von Jüdinnen und Juden oder verschleppten sie zur direkten Vergasung in die Mordlager der Aktion Reinhard.
Doppelter Umgang mit dem Nationalsozialismus nach 1945
Nach dem Ende der NS-Herrschaft wurde das Gebäude weiter polizeilich genutzt: Einerseits von der Wasserschutzpolizei für die westfälischen Kanäle, andererseits als Entnazifizierungs-Hauptausschuss für den Stadtkreis Münster. Dadurch, dass die Ordnungspolizei im Gegensatz zur Gestapo bei den Nürnberger Prozessen als nicht-verbrecherische Organisation eingestuft wurde, gelang vielen Polizisten eine lückenlose Kontinuität ihrer Karriere. Nur wenigen Polizisten wurde die Weiterbeschäftigung von der zuständigen britischen Besatzungsmacht verweigert. Als diese ab 1947 die Verantwortung an die Deutschen übergab, wurden von einem Berufungsausschuss überwiegend Fragen der Wiedereinstellung verhandelt. 1951 endete in Deutschland die Entnazifizierung, was als politisch-administrativer Versuch eines Schlussstrichs gewertet werden kann. Vor Gericht musste sich nur ein kleiner Teil derjenigen Polizisten verantworten, die an Massenverbrechen beteiligt waren. Lediglich drei Polizisten verurteilten NRW-Gerichte letztinstanzlich wegen Mordes oder Beihilfe zum Mord.
Von 1954 bis 1968 war in der Villa ten Hompel das Dezernat für Wiedergutmachung der Bezirksregierung Münster beheimatet. Verwaltungsmitarbeiter*innen prüften die Ansprüche von etwa 12.000 Antragsteller*innen auf Entschädigung oder Ausgleich. Doch zahlreiche NS-Verfolgte fielen durch das Raster des Bundesentschädigungsgesetztes wie Homosexuelle, zwangssterilisierte Menschen oder ausländische Zwangsarbeitende. Etwa zwei Drittel der Anträge wurden positiv beschieden. Viele Antragsberechtigte kapitulierten vor dem mühsamen Antragsverfahren, da die emotionale Belastung für sie extrem hoch war.
Münsters Geschichtsort
Seit 1999 ist die Villa ten Hompel der Geschichtsort der Stadt Münster: ein Institut zum Forschen, Dokumentieren und Sammeln, der Erinnerung und Bildung. In der Dauerausstellung Geschichte – Gewalt – Gewissen wird die belastete Geschichte des Hauses multidirektional verhandelt. In Angeboten für Schulklassen und berufsgruppenspezifischen Seminaren für Polizist*innen und Jurist*innen reflektieren die Teilnehmenden ihre Auseinandersetzung mit historischen Beispielen des Rechts, insbesondere aber auch des extremen Unrechts im Verlauf der letzten 100 Jahre Hausgeschichte. So werden eigene gegenwartsbezogene ethische Standpunkte für einen demokratischen Rechtsstaat und gegen jedwede Formen extremistischer und menschenfeindlicher Ideologien entwickelt und gefestigt. In internationalen Kooperationen zu Forschung und Bildung ist die Villa ten Hompel u.a. mit der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und dem United States Holocaust Memorial Museum Washington eng vernetzt.
Thomas Köhler
Zum Weiterlesen
Thomas Köhler u.a. (Hg.): Polizei und Holocaust. Eine Generation nach Christopher Brownings Ordinary Men, Paderborn u.a. 2023.
Thomas Köhler: Vom „Schrank der Schande“ auf die nationale Visitenkarte. Die Bundesrepublik und der Umgang mit nationalsozialistischen Massenverbrechen und dem Holocaust, in: Spätverfolgung von NS-Unrecht, hg. von Moriz Vormbaum, Berlin 2023.
Julia Volmer-Naumann: Bürokratische Bewältigung. Entschädigung für nationalsozialistisch Verfolgte im Regierungsbezirk Münster, Essen 2012.