© KHK EViR/Lennart Pieper

Paul-Wulf-Denkmal

Das Denkmal erinnert an Paul Wulf (1921-1999). Wulf wurde in sehr ärmliche Verhältnisse in Essen-Altenessen hineingeboren und von seinen Eltern aufgrund der materiellen Notlage der Familie bereits mit sieben Jahren in das katholische St. Vincent-Heim in Cloppenburg gegeben. Von dort wurde er 1932 in die Heil- und Pflegeanstalt Marsberg verlegt, in der auch geistig beeinträchtigte Kinder betreut wurden. Mit der Machtübernahme der NSDAP verschärfte sich die Situation für die Kinder massiv. Gravierende Effekte hatte u.a. das zum 1. Januar 1934 in Kraft getretene „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (GzVeN), mit dem die Zwangssterilisation körperlich oder/und geistig beeinträchtigter Menschen wie auch von Alkoholiker:innen forciert wurde.

Mit dem Gesetz wurden Zwangssterilisationen formal legalisiert: Geprüft und genehmigt wurden die Verfahren von sogenannten Erbgesundheitsgerichten; deren Ausgangspunkt waren Anzeigen und Anträge, die i.d.R. von behandelnden Ärzt:innen oder von Anstaltsleiter:innen für die Insassen von Kranken-, Heil- oder Pflegeanstalt sowie von Gefängnissen und Zuchthäusern gestellt wurden. Daneben waren Selbstanzeigen möglich, diese machen aber nur einen Bruchteil der Fälle aus. Zudem gab es durchaus ambivalente Konstellationen, dies zeigt auch das Beispiel Paul Wulfs. Wie er in seinen autobiografischen Notizen berichtet, waren Fälle der gezielten Tötung von Kindern, aber auch anderer ‚erbhygienischer Maßnahmen‘ in der Heil- und Pflegeanstalt Marsberg den Insass:innen wie auch ihren Eltern schnell bekannt. Die Eltern von Paul Wulf stellten daher 1937 einen Antrag auf Entlassung, dem aber nur unter der Bedingung der Zwangssterilisation zugestimmt wurde, in die die Eltern dann auch einwilligten. Die Diagnose lautete auf „angeborenen Schwachsinn ersten Grades“. Am 12. März 1938 wurde der damals 16-jährige Wulf im Paderborner Landeskrankenhaus zwangssterilisiert und anschließend entlassen (Wulf, S. 12).

Plakat auf dem Denkmal
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Die Forschung geht davon aus, dass bis Mai 1945 zwischen 300.000 und 400.000 Menschen in Deutschland zwangssterilisiert wurden. In mehr als der Hälfte der Fälle erfolgte die Zwangssterilisation aufgrund bestehender oder behaupteter geistiger Beeinträchtigungen. Mindestens 5.000 Frauen und Männer starben aufgrund medizinischer Komplikationen während der Eingriffe (Westermann u.a., S. 18).

Nach 1945 wurde das GzVeN zunächst ausgesetzt, aufgehoben war es noch nicht oder doch nicht generell: Immerhin erfolgte auf Länderebene bereits 1945 in Thüringen und Bayern eine Aufhebung. Am 8. Januar 1946 wurde das Gesetz dann in der Sowjetischen Besetzungszone abgeschafft. In Hessen und Baden-Württemberg wurde 1946 immerhin eine dauerhafte Aussetzung beschlossen. In Teilen der neugegründeten Bundesrepublik Deutschland galt das Gesetz allerdings nach 1949 fort, wenngleich die Anwendung unterblieb. In den frühen 1950er Jahren gab es sogar Forderungen, erneut Regelungen zur eugenischen Zwangssterilisation einzuführen, diese hatten aber keinen Erfolg.

Zugleich verwehrte man den Opfern der Zwangssterilisation noch lange ein Recht auf Entschädigung. Paul Wulf hatte es sich zur Aufgabe gemacht, mit gerichtlichen Mitteln, aber auch öffentlichen Protesten für eine Entschädigung und die Anerkennung des Unrechts zu kämpfen, das ihm und anderen Zwangssterilisierten angetan worden war. Erfolg hatte er schließlich, weil er über Jahrzehnte nicht aufgab und nicht zuletzt auch durch seine Recherchen und Ausstellungen, veröffentlichten Berichte und geführten Verfahren langsam ein Umdenken einsetzte. Nachdem Wulfs Klagen auf Schadensersatz von verschiedenen Instanzen abgelehnt worden waren, erhielt er ab 1979 als zwangssterilisiertes Opfer des NS-Regimes eine Erwerbsunfähigkeitsrente. 1981 beschloss der Bundestag, die (noch lebenden) Opfer der NS-Zwangssterilisierungen mit einer Summe von je 5.000 DM zu entschädigen. 1988 ächtete der Bundestag dann generell die auf Grundlage des GzVeN durchgeführten Zwangssterilisierungen, 1998 folgte mit dem „Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte“ die formale Aufhebung der auf Grundlage des GzVeN erlassenen Beschlüsse.

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An das Schicksal, aber gerade auch an die Proteste und die Aufklärungsarbeit Paul Wulfs erinnert Silke Wagners Skulptur „Münsters Geschichte von unten“. Die überlebensgroße Figur Paul Wulfs, die mit Plakaten und Berichten seiner Aktionen beklebt ist und immer wieder neu gestaltet wird, wurde im Rahmen der „Skulptur.Projekte“ im Jahr 2007 von den Leser:innen der Münsterschen Zeitung zum beliebtesten Projekt gewählt. Dennoch entschied sich der Stadtrat – der immer einige der Skulptur-Projekte für einen dauerhaften Verbleib im Stadtraum erwirbt – gegen den Kauf. Es folgten Proteste und ein „Skulpturenstreit“. Mit Hilfe von Spenden konnte die Skulptur schließlich gekauft und 2010 auf dem Servatiiplatz wieder aufgestellt werden. Im Juni 2020 beschloss die Bezirksvertretung Münster-Mitte, die Skulptur als Gedenkort an Wulf dauerhaft zu erhalten.

Ulrike Ludwig

 

Zum Weiterlesen

Stefanie Westermanti, Tim Ohnhäuser und Richard Kühl: Medizin im Dienst der „Erbgesundheit". Einleitende Bemerkungen, in: Stefanie Westermann, Richard Kühl, Dominik Gross (Hg.): Medizin im Dienst der „Erbgesundheit“. Beiträge zur Geschichte der Eugenik und „Rassenhygiene“, Münster 2009, S. 15-21.

Paul Wulf: Zwangssterilisiert. Biografische Notizen, in: Freundeskreis Paul Wulf (Hg.): „Ich lehre euch Gedächtnis.“ Paul Wulf – NS-Opfer, Antifaschist, Aufklärer, Münster 2021, S. 11-13.