Exkursion Westkleinasien 17.09.-30.09.2012
Reisebericht
Montagmorgen, halb 10, typisches Münsteraner Wetter: Langsam, aber sicher findet sich ein Archäologie-Studierender nach dem anderen auf der Dauerbaustelle, die sich Bahnhof nennt, ein, bis schließlich ein kleines Grüppchen beisammen steht. Verschlafen, aber motiviert und gespannt auf das, was sie in den nächsten zwei Wochen erleben werden. Denn hier beginnt unsere Exkursion nach Westkleinasien unter der Leitung von Dr. Holger Schwarzer und Dr. H.-Helge Nieswandt.
Zwei Wochen später sollten wir nicht nur vollgepackt mit neuem Wissen, vielen Erfahrungen und unzähligen Fotos heimkehren. Auch einige Brocken Türkisch (nützlich oder trivial...), kreative Spitznamen, Kenntnisse über die Küche des Gastlandes und ihre möglichen Auswirkungen auf den durchschnittlichen mitteleuropäischen Verdauungstrakt sowie eine umfangreiche Zitate- und Weisheitensammlung („Das Besondere an der Symmetrie dieses Baus ist, dass er nicht symmetrisch ist!“) befanden sich in unserem Gepäck.
Natürlich hatten wir uns alle umfangreich auf diese Reise vorbereitet. Drei Tage dauerte unser Einführungsseminar, ein mit Karten, Grund- und Aufrissen, Basisinformationen und Detailfotos gespickter Reader wartete bei allen im Gepäck, bereit, vor Ort eingesetzt zu werden. Zudem hatte jeder von uns sein Thema vorbereitet und wartete gespannt auf den Moment, in dem das aus der Literatur gewonnene Wissen mit der Realität konfrontiert wurde. Doch egal wie gut man vorbereitet ist – vor Ort ist oft wieder alles anders. Dinge tauchen auf („Wo kommt diese Mauer her? Die ist nicht auf dem Steinplan!“) oder verschwinden („Irgendwo muss das Pyramidengrab doch sein…“).
Langweilig war es also nie.
Doch werfen wir einen Blick auf den ersten Tag.
Gegen 19 Uhr Ortszeit landeten wir in Izmir und wurden direkt von unserem „Fremdenführer“ Ali und unserem Busfahrer Ergün begrüßt. Diese beiden sollten uns zusammen mit dem Guide Mithat auf unserer Reise begleiten. Ali fand immer Lösungen, wo wir keine sahen, überzeugte mehr als einmal seine türkischen Landsleute, für unsere Gruppe den einen oder anderen Gefallen zu ermöglichen, und – nicht zu vergessen! – kümmerte sich um unser leibliches Wohl. Ohne die von ihm organisierten Mittagspausen mit frischem Brot, Käse, Tomaten und reichlich Obst, hätten wir wohl mit knurrendem Magen vor den Ruinen gestanden. Ergün brachte uns sicher (wenn auch nicht immer auf dem schnellsten Weg…) von einem Ort zum anderen und nahm unsere zaghaften Berührungsversuche mit der türkischen Sprache zum Anlass, seinerseits ein wenig Deutsch zu lernen. Mithat war uns vom türkischen Antiken-Ministerium als Guide zugewiesen worden. Doch half er uns immer, wenn es darum ging, mit uneinsichtigem Personal in den Kassenhäuschen zu diskutieren. Zudem sorgte er für den richtigen musikalischen Sound im Bus und während unseres mehrtägigen Aufenthaltes in Kusadasi, der Stadt, in der auch er seit einiger Zeit lebt, machte er sich abends mit uns auf und zeigte uns die Stadt. Ein toller Abend, den wir mit einem Bier und langen Gesprächen am Strand ausklingen lassen konnten. Ohne diese Drei wäre unsere Exkursion nicht das, was sie nun geworden ist, und wir sind sehr froh, sie kennengelernt zu haben!
Doch zurück zu unserem ersten Abend. Als wir am Bus angekommen waren, hatte Ali für jeden von uns schon ein gekühltes Efes (türkisches Bier, gebraut nach deutschem Reinheitsgebot) bereitgestellt. Doch nicht nur das türkische Bier lernten wir direkt kennen. Nachdem wir uns beim Abendessen gestärkt hatten, stimmten wir uns trotz völligen Unverständnisses mit einheimischem Fernsehen auf die kommenden zwei Wochen ein. Bei einem Glas des türkischen Nationalgetränks Raki beschlossen wir zudem feierlich den “Pantoffel-Pakt”. Welcher besagte: Jedes Exkursionsmitglied wird für die Dauer der Reise mit weißen Hotel-Pantoffeln zum Frühstück erscheinen. Eine Abmachung, die bravourös umgesetzt wurde.
Und am nächsten Tag ging es dann auch endlich archäologisch los!
Im Verlauf der zwei Wochen haben wir ein umfangreiches Programm bestritten, das sowohl ein großes fachliches Spektrum umfasste als auch vielfältige Eindrücke für uns bereithielt.
Wir haben uns Stätten aus dem frühen 1. Jahrtausend v. Chr. angeschaut (Alt-Smyrna) und standen vor Bauten, die zeitlich spät angesiedelt sind (als Beispiel sei hier eine der zahlreichen byzantinischen Befestigungen genannt: Metropolis. Besonders schön, weil sich die Bewohner dazu entschlossen hatten, die Mauer mitten durch das Bouleuterion zu ziehen, sodass heute eine durch die Mauer zweigeteilte Architektur erlebt werden kann). Wir wollten hoch hinaus und haben Berge erklommen (besonders eindrucksvoll in Erinnerung geblieben sind Priene und vor allem der Aufstieg auf den Burgberg von Pergamon!) und wir genossen malerische Buchten (Herakleia am Latmos). Wir schoben uns mit den Menschenmassen durch Ephesos und besichtigten Aigai, eine beeindruckende griechische Stadt, die an diesem Tag wohl keinen anderen Besucher außer uns gesehen hat. Und am folgenden Tag vermutlich auch nicht…
Wir standen in den wunderbar erhaltenen Ruinen von Ephesos, bewunderten das Theater, die Hanghäuser, die Celsus-Bibliothek, und fanden uns auf den Hügeln wieder, auf denen sich früher einmal die Stadt Antiochia am Mäander erhoben hatte, ein Gebiet, welches bis heute nahezu komplett unerforscht, in jedem Fall aber komplett unergraben ist.
Die Vielfalt der archäologischen Stätten war sehr groß. Einen großen Teil der besichtigten Bauten bildeten die Kultplätze. Von kleinen, in den Fels gehauenen Nischen für die Muttergottheit Kybele wie beispielsweise in Phokaia bis hin zu monumentalen Tempeln wie dem des Apollon von Didyma reichte die Bandbreite der Sakralbauten. Wir sahen Orakelheiligtümer, wie das des Apollon von Klaros, oder auch Kultplätze, die für römische Kaiser eingerichtet worden sind. Besonders beeindruckend war hier das auf dem Burgberg von Pergamon thronende Traianeum. Einige Tempel standen zu großen Teilen noch oder wieder aufrecht, von anderen waren nurmehr die Fundamente zu sehen. Ein eindrückliches Beispiel war uns hier das Artemision von Ephesos, eines der sieben Weltwunder der Antike, von dem jedoch nur geringe Reste erhalten sind. Und dies spiegelt nur den Variantenreichtum bei den Kultbauten wider. Darüber hinaus beschäftigten wir uns mit der Wohnbebauung sowie mit den Gebäuden, in denen das Volk Unterhaltung finden konnte. Jede Stadt, die in der Antike etwas auf sich hielt, besaß ein Theater. Auch die Gymnasien und Thermen waren für uns wichtige Anlaufpunkte (leider nicht das Vedius-Gymnasium…), ebenso wie die politischen Funktionsbauten: Bouleuterion und Prytaneion bildeten das politische Zentrum einer jeden Stadt. Die Vielfalt der Themen ist hier nur ansatzweise dargestellt, denn es fehlen noch die Marktplätze, Brunnenhäuser, die Befestigungsanlagen, Nekropolen, Stadien…. Und natürlich die vielen exzellenten Stücke, die wir in den zahlreichen Museen besichtigen konnten!
Auch hatten wir auf unserer Reise das Glück, auf wunderbare Kolleg*innen zu treffen, die sich viel Zeit für uns genommen haben und uns „ihre“ Ausgrabungen und Forschungsschwerpunkte zeigten. In Alt-Smyrna waren wir gemeinsam mit Prof. Dr. Ergün Lafli von der Dokuz Eylül Universität Izmir und einer Gruppe türkischer Studierender unterwegs. In Priene begleitete uns Dr. Axel Filges auf den manchmal anstrengenden Wegen durch das archäologische Gelände. Denn diese Stadt war im hippodamischen System am Reißbrett entworfen und an einen steilen Berghang gebaut worden. Und was macht man da aus einer Straße, die den Hang hinaufführen soll? Genau, eine große Treppe. Und so ging es bergauf und bergab durch dieses beeindruckende Grabungsgelände. Und Axel Filges kannte nicht nur jeden Schleichweg, sondern gab uns auch viele Informationen mit auf den Weg, über die nur ein Ausgräber verfügt und die in keinem Buch zu finden sind. In Herakleia am Latmos erwartete uns Prof. Dr. Richard Posamentir, der uns durch diese antike Ruinen führte, die heute teilweise von dem modernen Dorf Kapikiri überbaut sind. So ist beispielsweise das Bouleuterion in ein heute noch bewohntes Haus integriert. Blumentöpfe, die dekorativ auf Säulentrommeln gestellt waren, rundeten dieses Bild ab, was man so nicht alle Tage findet.
Und in Labraunda trafen wir den schwedischen Archäologen Prof. Dr. Lars Karlsson, der spontan seine Çay-Pause opferte, um uns etwas über die neuesten Ausgrabungen zu erzählen und uns auf einige Besonderheiten dieses außergewöhnlichen Kultplatzes für Zeus und Kybele aufmerksam zu machen.
Exkursionen sind für jeden Studierenden der Archäologie ganz besondere Erfahrungen. Bauwerke und Artefakte, die man nur von Bildern und aus Büchern kennt, stehen auf einmal real vor einem. Der Besuch der antiken Stätten ist für das Verständnis der Kultur und für die Vertiefung des gelernten Wissens unerlässlich. Erst wenn man einmal einen Steinplan mit dem tatsächlich dort liegenden Befund vergleichen konnte, hat man ihn wirklich verstanden und kann mit solchen Dokumenten richtig arbeiten. Es ist immer wieder aufregend, die Hypothesen, die in den Büchern so einleuchtend präsentiert werden, mit der Realität zu konfrontieren und festzustellen, dass es in Wirklichkeit gar nicht so einfach ist. Denn es gibt noch viele Fragen, die auf ihre Lösung warten und noch viele Themenfelder, die es zu bearbeiten gilt. Und natürlich ist es einfach ein atemberaubender Moment, zum ersten Mal vor dem Apollon-Tempel von Didyma oder auf dem Burgberg von Pergamon zu stehen und den Geist dieser antiken Stätten zu erleben. Dies sind die Momente, in denen man sich absolut sicher ist, warum man das Fach Klassische Archäologie studiert und liebt.