DFG-PRojekt: mawlid-Texte aus dem 13. bis 18. Jahrhundert: Prophetenfrömmigkeit als rituelles Ereignis?
Projektleiterin: Dr. Ines Weinrich
Ab dem späten 12. Jahrhundert entsteht eine neue Form von Texten über die Geburt des Propheten (mawlid): kürzere prosimetrische Texte, die häufig nicht das gesamte Leben des Propheten behandeln, sondern vor allem seine Anfänge. Das Projekt erfasst mawlid-Texte in drei Dimensionen, die je nach Text unterschiedlich stark in den Vordergrund treten können: als literarisches Genre, als Texte zur Vermittlung religiöser Inhalte und als Skript für rituelle Aufführung. mawlid soll als literarisches, prosimetrisches Genre untersucht werden, das Elemente aus schriftlichen wie mündlichen Traditionen verknüpft und in engem Zusammenhang mit der zeitgleich aufkommenden Prophetenlobdichtung steht. mawlid soll darüber hinaus als Text für religiöse Unterweisung analysiert werden, indem die inhaltlichen Schwerpunkte und das durch sie vermittelte Bild des Propheten identifiziert werden. Schließlich wird mawlid als rituelles Skript gelesen, dessen Rezitation der ritualisierten Erinnerung der Geburt dient. Hier stehen seine performativen Elemente im Fokus, die auf die Partizipation der Zuhörer ausgerichtet sind, wie Gebete, begleitende Körperbewegungen, Rhythmus oder poetische Formen.
Die Auswertung textimmanenter Charakteristika wird ergänzt durch die Auswertung historiographischer und juristischer Literatur: arabische und europäische Reiseberichte, arabische Chroniken sowie Rechtsgutachten und Abhandlungen zur Ritualpraxis. Daneben fließen die Resultate der Beobachtungen zeitgenössischer Aufführungspraktiken von mawlid, Prophetenlobgedichten und Gebeten ein, die im Rahmen einer Feldforschung der Projektleiterin in Syrien und Libanon 2008-2013 erfolgten. Im Zentrum steht die Frage, wie weit Inhalt und Form korrelieren und Aufschluss über die Funktionen der Texte geben können.
Die mawlid-Texte interagieren mit anderen literarischen Texten und mit der sich neu herausformenden Ästhetik in mamlukischer Zeit einerseits sowie mit neu entstehenden Frömmigkeitsformen andererseits. Damit soll ein Beitrag sowohl zur historischen Religionspraxis als auch zur Literaturgeschichte des 13. bis 18. Jahrhunderts geleistet werden. Die Untersuchung erfasst aber nicht allein eine historische Praxis und ihre Texte, sondern eine religiöse Praxis mit Relevanz für den heutigen gelebten Islam, welche unter dem Druck selbsternannter Sprecher eines „korrekten Islam“ immer stärker in die Defensive gerät.