Das Teilprojekt B07 untersuchte die postkoloniale Staatsbildung in Argentinien und Mexiko im Hinblick auf zwei Komplexe. Zum einen wurd die im Unabhängigkeitsprozess entstandene neue Rahmung von politischem Entscheiden in den Blick genommen. Im Zuge des Umbruchs von der Monarchie zur Republik wurden zu Beginn des 19. Jahrhunderts verschiedene Bereiche der politischen Ordnung als entscheidungsbedürftig angesehen und entstanden neue Handlungsfelder, die zum Gegenstand des Entscheidens wurden. Es wird daher untersucht, wie und aus welchen Gründen in dieser Ausnahmesituation grundlegende Aspekte, die die Ordnung und Organisation der politischen Verhältnisse betrafen, Entscheidungsprozessen unterworfen wurden. So erachteten die Zeitgenossen etwa die Klärung, wer überhaupt das Kollektiv, für das entschieden werden sollte, konstituierte und welche Akteure auf welcher Grundlage legitimer Weise als Entscheider auftreten konnten, als drängendes Problem.
Außerdem wurden Entscheidungen über Entscheidungsstrategien untersucht: Welche Regeln wurden für politische Entscheidungsprozesse geschaffen und institutionell verankert, und welche informellen Verfahren begleiteten die Normierungsversuche oder entstanden parallel zu ihnen? Die Auseinandersetzungen über Strukturentscheidungen in Bezug auf die politische Ordnung fanden teilweise in geregelten Bahnen statt, indem zum Beispiel Wahlverfahren für Repräsentanten oder Geschäftsordnungen für verfassungsgebende Versammlungen und später Parlamente erarbeitet wurden. Demgegenüber stand das Handeln der im Unabhängigkeitskrieg an die Macht gekommenen Caudillos. Im Vergleich zwischen Argentinien und Mexiko wurde herausgearbeitet, inwieweit formale Verfahren und institutionell verankertes Entscheiden Bedeutung erlangten und inwieweit politische Macht und Entscheidungen über die politische Ordnung abhängig von den Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Caudillos waren. Dabei spielte die Frage nach physischer Gewalt als Ressource in Entscheidungsprozessen eine wichtige Rolle. Gerade in der unmittelbaren Zeit nach den Unabhängigkeitsprozessen kam Gewalt eine große instrumentelle und symbolische Funktion in den Prozessen des Entscheidens zu; ihre legitimatorische Kraft geriet aber in den entstehenden Republiken bald zu den neuen Legitimationsinstanzen in Widerspruch. Über die Untersuchung der Prozesse des Entscheidens in dieser Zeit des Umbruchs leistete das Projekt einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Rolle von Gewalt in der Entstehung von postkolonialen Kulturen des Entscheidens in Lateinamerika.