Als Form der politischen Praxis erweist sich Entscheiden stets als riskanter Prozess. Einmal erzeugte und akzeptierte Alternativen lassen sich im Akt der Selbstfestlegung nicht mehr vollständig eliminieren. Die Folgelasten einer Entscheidung fallen somit in erheblichem Maße auf ihre Repräsentanten zurück. Zumal die Genese und Ausweisung expliziter Entscheidungsalternativen als Produkt sozialer Interaktionszusammenhänge zu begreifen ist, markiert der Selektionsakt des Ent-Scheidens zugleich einen potentiellen Bruch im bestehenden Beziehungsgefüge. Umgekehrt mag eine Aufrechterhaltung von Kontingenz und Ambiguität zur Stabilisierung personaler und politischer Ligaturen beitragen und als Ressource herrscherlicher Autorität wirksam werden. Das Teilprojekt B01 hat diese Vorüberlegungen auf die Praxis monarchischer Herrschaft des Hoch- und Spätmittelalters übertragen. Es versteht das Nicht-Entscheiden als kulturell voraussetzungsvollen Mechanismus und zielte darauf ab, das Set jener sozialen Skripte zu identifizieren, die eine Untätigkeit des Herrschers in zeitspezifischer Weise sanktionierten. In diachroner Vergleichsperspektive widmeten sich zwei Unterprojekte dem Reichsregiment des vermeintlich entschlussfreudigen Staufers Friedrichs I. Barbarossa (Unterprojekt A; Bearbeiter: Konstantin Maier) und seines bisweilen als „Erzschlafmütze“ titulierten Amtsnachfolgers Friedrichs III (Unterprojekt B; Bearbeiterin: Maximiliane Berger). Gefragt wurde nach den Techniken und Taktiken dilatorischen Handelns bei der Erzeugung, Etikettierung und Auflösung von Entscheidungssituationen.
Zu untersuchen galt es, (1) auf welche Weise Entscheidungserwartungen an den Herrscher herangetragen oder innerhalb der personalen Konstellation des Königshofes erzeugt wurden. Rekonstruiert wurde ferner (2), in welchem Modus der erreichte Grad der Entscheidungsreife definiert wurde und über welches Handlungsrepertoire der Herrscher und seine Entourage zur Verzögerung, Verstetigung oder Verweigerung von Abläufen des Entscheidens verfügten. Komplementär dazu wurde (3) ausgelotet, inwieweit die beteiligten Akteure in der Lage waren, dilatorische Ungewissheit und Ambiguitäten in herrscherlichen Aussagen, Gesten und Inszenierungsakten hinzunehmen und wie sich dies auf die monarchische Autorität als formalisierte Anerkennungsrelation auswirkte. Schließlich wurde im Abgleich der Befunde aus beiden Unterprojekten die Frage untersucht, in welchem Ausmaß sich strukturelle Tendenzen der sozialen Verflechtung, organisatorischen Verdichtung und administrativen Komplexitätssteigerung auf Anwendung und Akzeptanz dilatorischer Praktiken auswirkten. Das Teilprojekt setzte sich in diesem Zusammenhang kritisch mit den entscheidungstheoretischen Zuschreibungen der Moderne auseinander, die im Verweigern von Deliberation und Dezision ein dysfunktionales und strukturzersetzendes Moment der Handlungsschwäche zu erkennen glaubt.