Das Teilprojekt B03 untersuchte das Verfahren der Spanischen Inquisition in der Phase seiner Etablierung während der Zeit der Katholischen Könige (1474-1516) als eine besondere, nicht-alltägliche, angesichts der anfangs zu überwindenden Widerstände sogar unwahrscheinliche Form des Entscheidens. In der Annahme, dass eine staatliche Untersuchungsbehörde, die Entscheidungen im Hinblick auf das Bekenntnis von Individuen zur religiösen Wahrheit zu fällen hatte, im historischen Vergleich als Ausnahme zu betrachten ist, wurde danach gefragt, inwiefern sich das Verfahren der Spanischen Inquisition von vorangegangenen und nachfolgenden Formen des Entscheidens, wie die der mittelalterlichen Ketzerinquisition oder weltlicher Gerichte, unterscheidet.
In einem ersten Schritt wurde der Prozess untersucht, der zu der Entscheidung führte, eine Behörde einzurichten, die zunächst über die Rechtgläubigkeit der Konvertiten aus dem Judentum und ihrer Nachfahren zu entscheiden hatte. Dies geschah im Kontext tiefgreifender sozialer Konflikte, die eng mit der religiösen Vielfalt der spanischen Königreiche und mit Versuchen gesellschaftlicher Gruppen – wie einflussreicher Neuchristen und Amtsträger, wie der Monarchen, – in Verbindung standen, die eigene soziale Rolle und das ihr jeweils zugrunde liegende gesellschaftliche Kapital zu bewahren bzw. auszuweiten.
Sodann wurde einerseits untersucht, wie die Inquisition – etwa über die Kodifikation orthopraktischer Entscheidungsindikatoren – fortschreitend weiteren Entscheidungsbedarf konstituierte und ihre Kompetenzen auf immer neue Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ausweitete (z.B. auf sexuelle Praktiken oder die Ehemoral), und wie in sozialen und kommunikativen Prozessen darüber entschieden wurde, was im Rahmen inquisitorischer Prozesse als entscheidbar galt und was nicht. Dabei wurde auch nach der funktionalen Bedeutung der getroffenen Entscheidungen für die Reproduktion sozialer Ordnung gefragt (Dissertationsprojekt: Sebastian Rothe).
Andererseits wurde der Frage nachgegangen, wie die Herausbildung der für die Spanische Inquisition kennzeichnenden Verfahrensautonomie mit der Art und Weise zusammenhing, wie und über welche Modi entschieden wurde, namentlich im Hinblick auf die Ausdifferenzierung von Verfahrensschritten und -rollen. Die maßgeblichen Entscheidungen wurden etwa in ein Vorverfahren verlagert und Mitgliedern der Öffentlichkeit sowie den Beschuldigten selbst anvertraut. Es stellte sich also die Frage, ob während des eigentlichen Verfahrens tatsächlich entschieden wurde oder aber – wie in späterer Zeit – die Richter die Existenz von Entscheidungsalternativen lediglich vortäuschten, und ob es gerechtfertigt ist, von einer spezifisch inquisitorischen Form des Entscheidens zu sprechen, die zwar formal modern anmutet, inhaltlich aber eher darauf abzielte, ein Bekenntnis zu staatlich vorgegebenen Macht- und Wahrheitsansprüchen zu erzwingen.