Wenn wir an „Migration Food“ denken, fällt uns nicht als Erstes das typisch westfälische Wurstebrot ein. Doch tatsächlich ist es seit dem 17. Jh. mit einer Zutat aus fernen Ländern gespickt: dem Kumin. Das Fach Kulturanthropologie/ Europäische Ethnologie zeigt in der Ausstellung „Kleine Fächer – Große Potenziale“, wie sich Esskulturen durch Migrationsbewegungen verändern.
Das „Wurstebrot“ ist eine gekochte Grützwurst aus Blut, Schrot und Schweinefleisch. Zum Verzehr werden die geschnittenen Scheiben gebraten und mit Äpfeln verfeinert. Diese Speise gilt als Spezialität aus dem Münsterland und dem Osnabrücker Land. Seinen charakteristischen Geschmack erhält das Wurstebrot durch eine exotische Zutat: Kumin. Dieser Samen, auch bekannt als Kreuzkümmel, stammt aus einer Pflanze, die im östlichen Mittelmeerraum beheimatet ist. In alten Lexika wird sie auch „Römischer Kümmel“ oder „Ägyptischer Kümmel“ genannt: geographische Bezeichnungen, die ganze Welten ins Spiel bringen. Diese Vulgärnamen des Gewürzes dokumentieren seinen Reiseweg aus dem jüdisch-christlich-islamischen Mittelmeerraum nach Europa. Globaler Gewürzhandel ist schon seit Jahrhunderten belegt, damit wurde vor allem die soziale Oberschicht versorgt. Aber auch die arme Bevölkerung hatte an diesem Austausch teil: Seit dem Dreißigjährigen Krieg ist die sogenannte Hollandgängerei aus Nordwestdeutschland nachgewiesen. „Hollandgänger“ waren Angehörige der besitzlosen ländlichen Unterschicht, die zur Saisonarbeit in die Niederlande – umgangssprachlich: Holland – migrierten. Sie arbeiteten meist in der Landwirtschaft oder als Torfstecher, aber auch in den Häfen, als Seeleute sowie in der Fischerei beim Walfang und beim Heringsfang. Diese Wanderarbeiter brachten nicht nur den Saisonverdienst zurück, sondern auch Neuigkeiten, Nachrichten, andere Wörter und fremde Dinge. Jede Sprache ist voll von Wörtern, die solche Reisen hinter sich haben; sie heißen zwar „Fremdwörter“, dienen aber vor allem in Dialekten selbstverständlich der Verständigung. Und auch in der Esskultur des Alltagslebens wurden und werden neue Zutaten und Speisen immer wieder gern verwendet – im Falle des „Wurstebrots“ so selbstverständlich, dass man es als „westfälische“ Spezialität genießen kann, ohne den langen historischen und weiten geographischen Weg des Gewürzes Kumin aus dem Mittelmeerraum kennen zu müssen.