Juni 2021
Juni 2021

Münze des Monats

© Ivar Leimus

Der Investiturstreit – ein einzigartiges Münzzeugnis


Deutsches Reich, Kaiser Heinrich IV. (1056/1084–1105) mit Bischof Otbert von Lüttich (1091–1119)?, Pfennig, Lüttich oder Maastricht (aus dem Schatzfund von Kose/Estland 1982, nach 1121)
Silber, geprägt; Gew. 1,00 g, Dm. 16 mm
Eesti Ajaloomuuseum, Tallinn, Inv.-Nr. AM 25159:226


Links ein Gekrönter in faltenreichem Mantel, rechts ein Barhäuptiger mit vollem Haar, in geistlicher Kleidung mit dem Y-förmigen Pallium; unter der Krümme des Stabes in der Mitte ein Ringel, darüber eine Rosette aus sieben Punkten. Derselbe Gekrönte nimmt frontal die Vorderseite ein, mit demselben Mantel, derselben Bügelkrone und einem ausgesprochenen Schnurrbart; mit der Rechten schultert er ein Schwert, in der Linken hält er den Reichsapfel oder ein kurzes Lilienzepter. Die Umschrift „HENRICI//ERN“ läuft hier rückwärts, auf der Rückseite sind die Buchstaben „/TRE//“ locker außen verteilt.

Die Szene hatte es in sich, barg Sprengstoff, denn sie traf ins Mark der epochalen Auseinandersetzung zwischen weltlicher und geistlicher Sphäre, regnum und sacerdotium, in der zweiten Hälfte des 11. und im früheren 12. Jahrhundert. Unmissverständlich dargestellt ist die Übergabe des Krummstabs, Zeichen der geistlichen Amtsgewalt eines Bischofs oder Abts, seitens des Königs an den Geistlichen. Beide sind einander zugewandt, der König hat huldvoll den Kopf leicht geneigt, seine Rechte hält den Stab zum Geistlichen, dessen Rechte danach, die Krümme ist ihm zugewandt, greift. Der Ringel, ein Ring, auch ein geistliches Zeichen, ist bedeutungstragend, die Rosette bleibt Füllwerk. Der Vorgang, dass der König einem Geistlichen dessen Amtssymbole übergibt, ihn dadurch formal in sein Amt einweist, ihn investiert, war geübte Herrschaftspraxis. Doch eben diese wurde seit der Mitte des 11. Jahrhunderts im Zuge der Kirchenreform zunehmend vehement vom Papst infrage gestellt.

Papsttum und römisch-deutsches sowie zuvor fränkisches König- bzw. Kaisertum waren seit der Mitte des 8. Jahrhunderts aufs Engste miteinander verbunden. Karl I. der Große (768–814) war 800, als er das westliche Kaisertum erneuerte, vom Papst gekrönt worden (s. S. 133), ebenso Otto I. der Große (936–973) 962, als er dieses Kaisertum erneut erneuerte (s. S. 138). Demgegenüber war die weltliche Existenz des Papsttums, geistlich Nachfolger des Apostelfürsten Petrus, direkt vom König bzw. Kaiser abhängig. Karl wie Otto sahen sich dabei – neben dem Papst als geistlichem Repräsentant – als weltliche Repräsentanten der (westlichen) Christenheit; Otto III. (983/996–1002) überhöhte dies zuletzt zu einer Vorrangstellung des Kaisers. Daraus – und aus der gegebenen sakralen Würde des Königs – leiteten die Ottonen und Salier des 10. und 11. Jahrhunderts das Recht ab, über die Geistlichkeit, die Kirche, zu verfügen; für ihr Königtum war diese funktionelle wie personelle Verflechtung unverzichtbar.

Mitte des 11. Jahrhunderts, mit Papst Leo IX. (1049–1054), erhielt die Kirchenreform einen starken Impuls – nicht zuletzt durch einen toskanischen Kanoniker namens Hildebrand. Mit umfassendem Anspruch zielte sie auf eine Reinigung der Kirche, hinsichtlich der Lebensform der Geistlichkeit und v. a. des käuflichen Ämtererwerbs (Simonie). Weil die Investitur Geistlicher durch Weltliche, sogenannte Laien, nun als Simonie, als Ketzerei, gewertet wurde, strebte die Reform letztlich nach der Lösung der Kirche von der Welt. Der Streit zwischen König Heinrich IV. (1056/1084–1105) und Papst Hildebrand-Gregor VII. (1073–1085) entzündete sich 1075, woraufhin der König den Papst absetzte und der Papst den König exkommunizierte, ihn also aus der Gemeinschaft aller Gläubigen ausschloss.

Durch den Gang nach Canossa vermochte Heinrich nach dreitägiger Buße – barfuß im Büßerhemd im Schnee des Vorhofs der Burg am Nordhang des Apennin – im Januar 1077 zwar die Loslösung vom Bann zu erreichen. Er wurde damit wieder handlungsfähig, zumal sich die weltlichen und geistlichen Großen mit den Gregorianern zu verbinden drohten. Aber die Frage der Investitur verschärfte sich noch: 1078 und 1080 erließ Gregor ein allgemeines Investiturverbot durch Laien. Und die Wahl des Schwabenherzogs Rudolf von Rheinfelden durch die Fürsten im März 1077 zum Gegenkönig stürzte das Reich in einen Bürgerkrieg, der auch nach Rudolfs Tod 1080 längst nicht beendet war.

Einer der eifrigsten und bedingungslosesten Parteigänger Heinrichs war Bischof Otbert von Lüttich (1091–1119). Im Frühsommer 1091 wurde er in Oberitalien vom zwischenzeitlichen Kaiser in das Bistum investiert; Weihnachten 1091 zog er in Lüttich ein, Anfang Februar 1092 wurde er vom Kölner Erzbischof geweiht. All dies war gegen das Kirchenrecht: Laieninvestitur, zumal seitens eines nach 1080 seit 1085 zum dritten Mal Gebannten, Erhebung ohne Wahl durch Klerus und Volk der Lütticher Diözese, Weihe durch einen ebenfalls Exkommunizierten – und Simonie. Otbert schickte 300 Mark Gold – 3 600 Mark Silber, d. h. bald 1 Million Silberpfennige –, um sich vor Ort durchzusetzen. Und auch später löste er Finanzprobleme immer wieder dadurch, dass er Pfründen und Ämter verkaufte.

Die vorliegende Münze wird Kaiser Heinrich IV. mit Bischof Otbert zugeschrieben; eindeutig ist letzteres nicht, doch gehört sie nach Niederlothringen und passt in die Lütticher Münzreihe der Zeit. Die Bildaussage bleibt ohnehin: Der König investiert, und natürlich hatte Heinrich Otbert 1091 mit Ring und Stab (per anulum et baculum) investiert. An seinem Selbstbewusstsein ließ er mit seiner frontalen Präsenz im Münzbild und all seinen Machtsymbolen zudem keinen Zweifel. Ein Detail: Das Pallium, Zeichen eigentlich des Erzbischofs für dessen Teilhabe an der päpstlichen Gewalt, wurde vom Papst verliehen, verbunden mit einem Treueid – Otbert, wiederholt gebannt, hat dieses natürlich nie erhalten.

Die Lösung des Investiturkonflikts gelang erst nach dem Tod Heinrichs IV. 1106 und „seines“ Gegenpapstes Clemens III. (1084–1100), der ihn Ostern 1084 in Rom zum Kaiser gekrönt hatte; Gregor VII. war 1085 gestorben. Nach zähen Verhandlungen wurde am 23. September 1122 das Wormser Konkordat zwischen Kaiser Heinrich V. (1106/1111–1125) und Papst Calixt II. (1119–1124) besiegelt. Der König verzichtete auf die Investitur mit den geistlichen Amtssymbolen Ring und Stab und sicherte die freie, kanonische Wahl durch Klerus und Volk sowie die unbehinderte Weihe zu; die Wahl erfolgte aber in seiner Gegenwart, und bei zwiespältiger Wahl war er entscheidend beteiligt. Die weltlichen Hoheitsrechte der Kirche, die sogenannten Regalien, sollte der König nun getrennt mittels des Zepters, Zeichen seiner eigenen Amtsgewalt, vor der Weihe übertragen, wofür ihm ein Treueid zu leisten war. Investiturkonflikte gab es auch in England und in Frankreich, wo die Kirchenreform stark wirkte, doch konnten diese jeweils ohne die so grundsätzliche Konfrontation zwischen den Gewalten pragmatisch beigelegt werden.

Das Konkordat führte zu einer grundlegenden Veränderung der Reichsverfassung: Die hohe Geistlichkeit wurde wie die weltlichen Großen zu lehnsrechtlich an König und Reich gebundenen Fürsten. Und das Verhältnis von Königtum – in Canossa nachhaltig in seiner Sakralität beschädigt – und Papsttum, regnum und sacerdotium, wurde neu bestimmt. Der Papst beanspruchte nun nicht nur die absolute Führung in der Kirche – dieser römische Zentralismus in allen Belangen besteht bis heute fort –, sondern in der gesamten Christenheit, dem imperium christianum, in kaisergleicher Stellung über dem König bzw. Kaiser, der nichts als ein normaler Laie und in seinem Amt vom Papst abhängig war.

Die Münze vermag all die tiefgreifenden gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozesse, die die Zeit des Investiturstreits zu einer Epochenwende für Europa machten, nicht zu transportieren. Aber sie ist ein eindrucksvolles und zugleich das einzige Münzzeugnis, das die Kernfrage, diesen Streit von weltpolitischem Format, ikonografisch präzise thematisiert. Wann genau das Propagandastück, das nur in drei Exemplaren von zwei Stempelpaaren vorliegt, entstanden ist, spielt dabei keine Rolle. Erstaunlich ist jedenfalls, wie die damalige Zeit, die den Konflikt auch publizistisch, in Streitschriften, führte, auf das zentrale Bildmedium, das einzige echte Massenmedium, die kursierenden Münzen, verzichtete.

(Stefan Kötz)

 

Literatur:

  • Jensen, Jørgen Steen: A Maastricht coin representing the investiture of bishop Otbert of Liège by the emperor Henry IV in 1091, in: Spink Numismatic Circular 98/99 (1990), S. 310f.
  • Kluge, Bernd: Investiturstreit. Gemeinsames Auftreten von König und Bischof im Münzbild, in: Das Reich der Salier 1024–1125, Sigmaringen 1992, S. 456–459
  • Dengis, Jean-Luc: Les monnaies de la Principauté de Liège, Bd. 1, Wetteren 2006, S. 110–114, Nr. 211
  • Hartmann, Wilfried: Der Investiturstreit, München 32007
  • Kötz, Stefan: Der Investiturstreit. Kampfansage: Kaiser und Bischof in Eintracht vereint, in: Haymann, Florian / Kötz, Stefan / Müseler, Wilhelm (Hrsg.): Runde Geschichte. Europa in 99 Münz-Episoden, Oppenheim am Rhein 2020, S. 159–162 [Wiederabdruck]


© Eesti Ajaloomuuseum, Tallinn (Foto: Ivar Leimus)